Sport zwischen der Festigung nationaler Identität und politischem Kalkül

Abchasien gewinnt Weltmeisterschaft der unabhängigen Fußballverbände

Seit Freitag wird in Frankreich die beste Fußball-Nationalmannschaft Europas gesucht. Die rumänische Auswahl unterlag im Eröffnungsspiel dem Gastgeber, als Favorit ist die deutsche Mannschaft in das Turnier gegangen. In den kommenden vier Wochen werden Zehntausende in den Stadien und Millionen an den Fernsehgeräten, von Reykjavik bis Tirana und von Moskau bis Lissabon, mit „ihrer“ Nationalmannschaft fiebern. Doch Staatsbürgerschaft und Nationalität gehen häufig nicht einher. Vom Ural bis zum Atlantik gibt es über 300 nationale Minderheiten und Volksgruppen. Jeder siebte Europäer gehört einer autochthonen Minderheit an oder spricht eine Regional- oder Minderheitensprache. Die Organisation der nicht-repräsentierten Nationen und Völker (UNPO), eine Interessenvertretung für Staaten, Nationen und Völker, die bei den Vereinten Nationen nicht als Staaten anerkannt sind, vertritt weltweit 246 Millionen Menschen. Die Anerkennung durch die Vereinten Nationen ist allerdings eine Voraussetzung, um in Frankreich dabei zu sein. Denn der europäische Fußballverband UEFA macht die Mitgliedschaft eines Verbandes davon abhängig.

In den Augen der ConIFA, der Confederation of Independent Football Associations, ist das Bestehen einer Nationalmannschaft jedoch nicht an die Existenz eines Staates geknüpft. Der im Mai 2013 gegründete Verband gibt ihnen, den teilweise oder nicht anerkannten Staaten, den nationalen Minderheiten und staatenlosen Völkern sowie den sportlich oder politisch isolierten Regionen, die Gelegenheit, sich in einem internationalen Wettbewerb zu messen. „Die meisten Spieler unserer Mitglieder können nicht regelmäßig internationale Fußballspiele bestreiten oder sind nicht berechtigt, für eines der FIFA-Mitglieder aufzulaufen. Andere, auch wenn sie theoretisch für ein FIFA-Mitglied spielen dürften, haben das Gefühl, ein fremdes Land zu repräsentieren. Wir geben ihnen die Möglichkeit, für den Verband zu spielen, dem sie sich ihrem Herzen nach zugehörig fühlen“, so Sascha Düerkop, Generalsekretär der ConIFA. Wie Düerkop sieht es auch Sarhang Muhsin. Der Kurde trägt mit Stolz das Trikot der Autonomen Region Kurdistan, spielte allerdings auch schon für die irakische Auswahl. Er erklärt: „Ich trage definitiv mehr Leidenschaft in mir, wenn ich Kurdistan repräsentiere. Es fühlt sich merkwürdig an, für den Irak zu spielen. Ich spüre nicht, dass ich meine Nation vertrete, sondern vielmehr einen zusammengesetzten Staat.”

Vom 30. Mai bis zum 5. Juni hat die ConIFA in der Republik Abchasien ihre Weltmeisterschaft ausgetragen. Angetreten sind zwölf Mannschaften, darunter aus Rumänien das Szeklerland. Im Finale konnte sich der Gastgeber des „ConIFA World Football Cup 2016“ gegen den Punjab, eine geografische Region, die den Norden Indiens und den Osten Pakistans umfasst, im Elfmeterschießen durchsetzen. Schauplatz des Endspiels war das 4300 Zuschauer fassende und erst im vergangenen Jahr eröffnete Dinamo-Stadion in Suchumi, der Hauptstadt Abchasiens. Doch gekommen waren weit mehr Menschen, auf den Stadionmauern und hinter den Zäunen, von überall versuchten begeisterte Abchasen etwas vom Spiel mitzubekommen. Für die isolierte Kaukasus-Republik war das Turnier eine Festwoche und das dramatische Elfmeterschießen ihr Höhepunkt. Aaron Minhas, Spieler bei Beaconsfield Town FC in der neunten englischen Liga, verschoss seine Elfmeter für den Punjab, sein Gegenüber, Vladimir Argun, der in der usbekischen Liga für Kokand 1912 spielt, verwandelte und versank danach im Jubelmeer der auf den Platz stürmenden Zuschauer.

Doch das Leistungsgefälle zwischen den teilnehmenden Verbänden war groß. Während die besten Mannschaften aus Profispielern zusammengestellt wurden, rekrutierte sich beispielsweise die rätische Nationalmannschaft aus Freizeitspielern des helvetischen Kantons Graubünden. Sarhang Muhsin hingegen, der kurdische Torwart, bestritt fast 400 Spiele für Erbil SC in der ersten irakischen Liga und auch viele seiner Mannschaftskameraden spielen für den Club aus der  Autonomen Region Kurdistan. Der Gastgeber war wiederum gespickt mit Spielern aus der zweiten russischen Liga. Düerkop spricht von zwei Gruppen, „von fünf, sechs sehr starken Teams und fünf, sechs eher schwächeren Teams.“ Doch im Vordergrund, so der Generalsekretär, stehe der olympische Gedanke und der Austausch sowie das gegenseitige Kennenlernen. „Im Teamhotel haben Kurden, Türken und Armenier miteinander getanzt, etwas Einmaliges im aktuellen politischen Gefüge.“

Doch bis zur Austragung der Weltfußballmeisterschaft war es ein steiniger Weg. Die georgische Regierung, die nach dem verlorenen Sezessionskrieg vor 24 Jahren keinerlei Souveränität mehr über Abchasien ausübt, das Gebiet dennoch weiter beansprucht, sah das Turniers als nicht legitim an. Einreisen nach Abchasien über die Russische Föderation gelten als Verletzung der „territorialen Integrität“ des Landes. Und auch Absagen von Mitgliedsverbänden musste die ConIFA hinnehmen. Nachdem das Foreign and Commonwealth Office Sicherheitsbedenken vorbrachte, zog sich Ellan Vannin (Isle of Man) zurück, während die Roma aus unterschiedlichen Ländern aufgrund von Passproblemen einiger Spieler nicht anreisen konnten. Aus finanziellen Gründen mussten die Aymara, ein indigenes Volk in den Anden Südamerikas, die Einladung ablehnen und aus dem gleichen Grund konnten die Chagossianer, die die in Großbritannien lebenden einstigen Bewohner der Chagos-Inseln repräsentieren, lediglich dreizehn Spieler aufbieten. Überhaupt ist Finanzkraft der Verbände ein äußerst wichtiger Aspekt. Dabei sind die wirtschaftlichen Vorzeichen so unterschiedlich wie die sportlichen. Doch nicht wie man vielleicht denken mag, sagt Düerkop. „Mannschaften wie Padanien (Italien), Raetia (Schweiz) oder Ellan Vannin, eigentlich wohlhabende Regionen, sind komplett privat organisiert. Kurdistan oder Nagorny Karabach haben hingegen eine staatliche Organisation im Rücken und sind stabiler finanziert.“ Sie verfügen auch über professionelle Strukturen, mit zwanzig oder mehr Mitarbeitern. Die privat organisierten Verbände werden hingegen von einigen wenigen mit viel Herzblut geführt.

Auch die staatlichen Strukturen des De-facto-Regimes in Abchasien halfen bei der Organisation. Denn die Anreise bezahlt zwar jeder Verband selbst, doch für Organisation, Unterkunft und Verpflegung kommt der Gastgeber auf. Auf einer ersten Pressekonferenz nach dem Turnier rechnete Premierminister Artur Mikvabiya, trotz Sponsoren und den Einnahmen aus den Ticketverkäufen, mit einem Minus von 338.000 Euro. Doch für die international isolierte Republik – lediglich Russland, Nicaragua, Venezuela und Nauru erkennen das Gebiet von der Größe des Kreises Temesch/Timiş an – ist es nach der Dominoweltmeisterschaft 2011 ein weiterer Versuch, international auf sich aufmerksam zu machen. Über die sportliche Anerkennung soll die politische Anerkennung folgen. Denn für Nationen, die um ihren Platz in der internationalen Gemeinschaft noch streiten, geht es um Symbolik. Die Nationalmannschaft ist ein politisches Instrument im Kampf um Anerkennung. Entsprechend der sportlichen Qualität lassen sich demnach auch in Bezug auf das Bestehen der Verbände zwei Gruppen unterscheiden. Die einen – dazu gehören die Samen, Raetia oder Ellan Vannin – spielen um die Aufmerksamkeit für ihre Region oder Nation, die anderen, beispielsweise Kurdistan und Abchasien, um die Anerkennung als eigenständiger Staat. Laut Mikvabiya will sich die Kaukasus-Republik nun an die FIFA wenden und um Aufnahme ersuchen.

Den Weg der politischen Anerkennung über die sportliche bestreitet derzeit auch die Republik Kosovo. Die Kosovaren hatten 2008 ihre Unabhängigkeit von Serbien erklärt, doch nur 108 von 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen erkennen den Staat an. Laut FIFA-Regularien soll der Weg eigentlich genau entgegengesetzt gegangen werden – erst UNO, dann FIFA. Doch schon 1998 hatte der Weltverband Palästina aufgenommen, obwohl es völkerrechtlich keinen Staat Palästina gibt. Als Mahmoud Abbas im September 2013 die UN-Mitgliedschaft Palästinas beantragte, verwies er nicht zufällig darauf, als Fußballnation bereits anerkannt zu sein.