„Spüren, wie die Natur uns dankt!”

„Let’s do it, Romania“ bewirkt langsames Umdenken im Umgang mit Müll

Mihaela und Alina (vorne rechts) helfen, die Natur von erstickendem Müll zu befreien.

Zwischen Schwänen dümpelten mit Wasserlinsen überzogene Bierdosen – nun kann die Natur wieder aufatmen.

Alina (links) hilft, die Säcke zum Müllwagen zu schleppen.

Auch Vizebürgermeisterin Zenobia Mureşan (rechts) sammelt mit.
Fotos: George Dumitru

Wer durch die herrliche Landschaft Rumäniens streift, wird an vielen Orten mit der brutalen Realität konfrontiert: Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Achtlos von Campern zurückgelassene Plastikflaschen, wilde Müllhalden am Dorfrand oder im Wald entsorgter Baudreck ersticken unsere Natur.

Was den Gemeinden und Schulen bisher nicht gelungen ist, nämlich die Menschen im Umgang mit ihrem Müll zu sensibilisieren, das schafft offenbar langsam aber stetig  das größte Freiwilligenprojekt Rumäniens, die landesweite Sammelaktion „Let’s do it, Romania“. 

Die zivile Öko-Bewegung nahm 2008 in Estland unter dem Slogan „Let’s do it, World!“ ihren Anfang. Seither haben zwei Millionen Freiwillige an  Aufräumaktionen in Estland, Lettland, Portugal, Indien, Slowenien, Serbien, Finnland, Bulgarien, Rumänien, der Republik Moldau, der Ukraine, Ungarn, Russland, ja sogar in Kambodscha und Brasilien, teilgenommen.

Dass das ökologische Bewusstsein langsam auch hier Fuß fasst, zeigte die Aufräumaktion am 24. September 2011. Einer ersten Schätzung der Organisatoren zufolge nahmen über 250.000 Helfer teil, die mehr als 390.000 Müllsäcke sammelten. Trotzdem ein Tropfen auf den heißen Stein? Zugegeben, ja. Doch steter Tropfen höhlt den Stein...

Gut organisierte Internetplattform

Wir erfuhren von „Let’s do it, Romania“ aus dem Internet und waren begeistert: Die Plattform ist gut durchdacht und soll den Organisatoren helfen, die landesweite Aktion mit wenig Manpower Online zu koordinieren und das Ergebnis auszuwerten.

Doch für diejenigen, die auf dem Lande leben und mit der modernen Technik nicht immer Schritt halten können, ist sie sehr kompliziert:  Mit einem GPS-Gerät sollten die wilden Müllhalden identifiziert, fotografiert, in einem  Formular beschrieben und ins Internet hochgeladen werden. 

Auch die Sammler müssen sich  im Internet anmelden, entweder mit einer eigenen Gruppe oder als Teilnehmer. Die maximal zehn Mann starken Gruppen  können sich dann aus der elektronischen Karte einen Müllhaufen als Angriffziel aussuchen.

Offizielle Kontaktpunkte in jedem Landkreis sollten die Sammler registrieren, Handschuhe und Müllsäcke verteilen und den Abtransport der am Straßenrand zurückgelassenen Säcke sichern. Nach Reinigung des Ortes melden die Gruppenleiter  den Organisatoren dann per SMS Vollzug. Auf dem Ergebnis und der Zählung der Säcke basiert die offizielle Statistik.

Tanti Fănica ist  doch nicht online!

So jedenfalls die Theorie... Wie aber geht man in einem Ort vor, wo  Tanti Fănica und Nea Vasile gar kein Internet haben? 

Um hautnah zu erfahren , wie sich die Aktion auf dem Land gestaltet, melden wir uns bei der Plattform als „Zwei-Mann-Gruppe“ an, fotografieren im See schwimmende Flaschen, Blechdosen am Waldrand und bereichern die Internetkarte um zwei  offizielle Sammelziele, die man als rote Knödel auf der Onlinekarte bewundern kann.  Mehr klappt nicht mehr, denn die Seite von „Let’s do it, Romania“ ist fast die ganze Woche vor der Aktion blockiert. Zu viele Begeisterte haben sie wohl hoffnungslos überlastet –  eigentlich ein gutes Zeichen. Doch was nun?

Hektische Telefonate mit den Organisatoren bringen erst  im allerletzten Moment Klarheit: Ja, auch an unserem Wohnort gibt es einen Sammelpunkt. 
Pünktlich um acht Uhr morgens treffen wir also im Bürgermeisteramt von Periş ein. Die Eingangshalle ist leer. Wir sind gespannt, ob noch jemand erscheinen wird...

„Let’s do it, Periş“     tritt in Aktion

Eine halbe Stunde später quert  eine jugendliche wirkende, dynamische Frau mit braunem Pferdeschwanz und sportlicher Kleidung die Straße und stürmt durch die Flügeltür. Es ist Zenobia Mure{an, die Vizebürgermeisterin von Peri{. „Ja, wir haben eine Sammelaktion!“  bestätigt sie und dirigiert uns erst mal in ihr Büro:  „Die Sammler sind schon im Terrain“.

Auf unsere erstaunten Gesichter erklärt sie, dass sie nicht, wie an vielen anderen Orten, Schulkinder mobilisiert hat, sondern auf eine Basis an lokalen Sozialhilfeempfängern zurückgreift, den sogenannten „416“-ern. Diese müssen eine gewisse Stundenzahl an gemeinnützigen Arbeiten verrichten. Was Schulkinder betrifft, sei es kompliziert, die Einwilligung der Eltern einzuholen.

Wenn ein Kind nach der Sammelaktion krank würde, hätte man sofort die Müllaktion im Visier. Doch auf einmal tauchen überraschend zwei Mädchen auf, die sich unbedingt an der Aktion beteiligen möchten. Die sechzehnjährige Mihaela hat von ihrer  Mutter, der Buchhalterin des Rathauses, von der Sammelaktion erfahren.

Als sie jedoch im Freundeskreis nach Mitstreitern suchte, hatte leider schon jeder etwas vor...  Nur das neunjährige Nachbarsmädchen Alina rief sofort begeistert: „Au ja, ich will mit zum Müllsammeln!“, als ginge es um einen lustigen Sonntagsausflug. Die Eltern der Mädchen hatten nichts dagegen.  „Ihre Mütter haben sie sogar geschickt!“ lobt Frau Mureşan und fügt an: „Wir hätten sicher auch erwachsene Freiwillige, doch der Zeitpunkt der Aktion ist denkbar schlecht gewählt. Es ist Maisernte! Die Leute sind alle auf den Feldern“.  

Plastikflaschen zwischen Schwänen

Als wir zum Sammelplatz am Staudamm fahren, begegnen uns schon die ersten maisbeladenen Pferdewagen. „Wegen der wuchernden  Vegetation im Feld und am See kann man dort jetzt nicht aufräumen“, meint die Vizebürgermeisterin und fügt hinzu, dass sie für diese Gebiete im November bereits eine weitere Aktion mit Freiwilligen plant.  „Let’s do  it, Periş!“  Unsere im Internet angemeldeten Müllhalden  sind also gar nicht geeignet...  Ohnehin hat hier niemand ein GPS zu ihrer Lokalisation.

Das braucht es auch nicht, denn der Müll liegt überall herum. Wir konzentrieren uns auf das  zwei Kilometer lange Waldstück, das von Periş  nach Bălteni führt. Mit verrosteten Fahrrädern und Motorrädern treffen die ersten Helfer ein. Etwa 15 Männer und eine Frau, von denen sich keiner im Internet angemeldet hat. Sie haben am Morgen bereits in Buriaş gesammelt.

Wer hätte gedacht, dass „Let´s do it Romania“ eine Dunkelziffer an Müllsammlern hat? Frau Mureşan stattet alle mit Spießen, Säcken und dicken Handschuhen aus und streift sich selbst ein Paar über.  Es ist ihr 28. Hochzeitstag, den sie hier beim Müllsammeln verbringt! Der Gemeindesekretär witzelt am Telefon, er sei  jetzt bei den „niedrigen Arbeiten“  angelangt.  Dann verstreuen sich alle im Gelände.

Wir beginnen an der Staumauer:  In dieser wunderschönen Gegend haben Ausflügler deutliche Spuren hinterlassen. Aber auch jede Menge Bauschutt, Folien und Styropor zerren wir unter Baumwurzeln hervor. Aus den Binsen am Stausee taucht auf einmal eine Schwanenfamilie auf! Neben den braunen Jungvögeln  dümpeln mit Wasserlinsen dick überzogene Dosen und Flaschen, die sich an der Staumauer angesammelt haben.

Die Natur versucht, sich auf ihre Art zu wehren. Auf allen Vieren arbeiten sich zwei Männer die steile Staumauer hinunter. Pferdewägen voll Mais fahren an uns vorbei. Die Kutscher haben keine Ahnung, was hier vorgeht. Vom nationalen Müllsammeltag haben sie nichts gehört. Ein Nachbar, der uns beim Aufsammeln gesehen hat, fragte später ungläubig, ob wir denn jetzt bei der Gemeinde arbeiten.

Bäume geben uns Energie

Gegen Mittag verschwindet  Zenobia Mureşan, taucht kurz darauf mit Tüten beladen wieder auf: Cremehörnchen und Cola für alle! Ich suche die Kinder und finde sie eifrig sammelnd  im Straßengraben am Waldrand. Mihaela übt sich in Deutsch: „Das ist eine sehr gute Aktion  und wir spüren, wie uns die Natur dafür dankt!“.

Unsere Fotos will sie unbedingt in Facebook veröffentlichen. „Habt ihr schon mal einen Baum umarmt?“ frage ich die Mädchen. Beide nicken heftig mit dem Kopf. „Und?“ „Sie geben uns Energie!“ ruft Alina laut aus. Was denkt wohl  der  Wachposten an der Einfahrt zum umzäunten Gelände des Schutz-und Wachdienstes SPP, als wir dort kiloweise Zigarettenschachteln und Kaffeebecher aus den Brombeersträuchern ziehen?

Was denken die arbeitslosen Sozialhilfeempfänger, wenn eine Vizebürgermeisterin, zwei Mädchen und zwei  Zeitungsreporter stundenlang Seite an Seite mit ihnen im Dreck schwitzen? Mihaela meint, bei der nächsten Aktion solle man ruhig mehr Kinder mobilisieren: „Damit sie mal sehen, wie schwer es ist, hinter anderen herzuräumen!“

Einmal im Jahr zum Helden werden

Am Ende des Tages haben wir reichhaltige „Ernte“ eingebracht: 200 Müllsäcke wurden allein in Peri{ gesammelt, wie Frau Mureşan später berichtete. In Cojoc, das auch zur Gemeinde Periş  gehört, war noch eine Gruppe von fünf Studenten aus Bukarest zugange.

Gemeindemitarbeiter Nicolae Mircea relativiert den heutigen Erfolg: „Aufräumaktionen dieser Art haben wir fast  jede Woche“ .  Doch „Let’s do it Romania“ gibt den Müllsammlern wenigstens einmal  im Jahr die Chance, zu Helden zu werden. Hinzu kommt der erzieherische Effekt durch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, denn genauso wichtig wie die Müllbeseitigung ist es, ein Umdenken in der Gesellschaft einzuleiten.

Der Weg ist weit, aber auch entfernte Ziele erreicht man  mit vielen  kleinen Schritten.  Wenn Mihaela und Alina selbst Kinder haben, dann ist „Let’s do it Romania“  vielleicht längst Geschichte...