Touristen mit Knopfaugen

Stofftiere, Puppen und Gartenzwerge reisen um die Welt

Puppe „Marcel“ wirbt für die Stadt Constanța an der Schwarzmeerküste
Foto: Viorel Papu

Ein Häkelschwein in Rio de Janeiro
Foto: haekelschwein.de

Unagi Travel organisiert Ausflüge für Plüschtier-Reisegruppen
Foto: unagi-travel.net

Der Esel „Lucky“ in den österreichischen Alpen
Foto: toyvoyagers.com

Vor dem Kasino in Constanţa steht ein Junge mit gelber Kappe, schulterlangen Haaren und Sommersprossen. Er lächelt schelmisch in die Kamera. Der Junge ist aus Plastik, heißt Marcel und ist eine der Tausenden von Puppen, die zwischen 1970 und 1989 am Fließband der Fabrik „Arădeanca“ produziert wurden. Anfang der 90er Jahre, als man in Rumänien zum ersten Mal Barbie-Puppen kaufen konnte, ist Marcel in Vergessenheit geraten. Bis Ende 2015, als der Fotograf Viorel Papu seine alte Puppe „wiederbelebt“ hat. Papu hat Marcel an allen bekannten und weniger bekannten Orten in Constanţa fotografiert und die Fotos ins Internet gestellt. Durch seine Online-Kampagne wollte er potentielle Touristen aus dem Ausland auf die Stadt an der Schwarzmeerküste aufmerksam machen. Es ist ihm fast über Nacht gelungen: die Fotos mit Marcel am Strand, in einem Fischerboot, vor dem Aquarium, auf der Decke eines alten Volga-Wagens oder im Zug Richtung Eforie Nord verbreiteten sich in Windeseile um die Welt.

Berühmte Gartenzwerge

Inzwischen hat „Marcel Ştrengarul“ eine eigene Facebook-Seite, auf der fast täglich neue Fotos gepostet werden. Vorläufig nur von der Schwarzmeerküste, es kann aber sein dass der sympathische Marcel auch weiter reisen wird. Die Idee, eine Puppe oder ein Stofftier an verschiedenen Orten der Welt zu fotografieren, ist nicht neu. Das wissen wenigstens diejenigen, die sich an den Film „Die fabelhafte Welt der Amelie Poulain“ erinnern. Dort fotografiert eine Stewardess ihren Gartenzwerg  unter dem Eiffelturm, neben der Freiheitsstatue oder auf dem roten Platz in Moskau und verschickt die Fotos als Ansichtskarten.
Vom Film wurden viele inspiriert. Weltweit hat man Reisen für Gartenzwerge organisiert. In Belgien erreichte der Gartenzwerg Jerome Angus Graham III. landesweite Bekanntheit, nachdem er bis in die Antarktis gelangte. Der Zwerg mit Sonnenbrille und Badelatschen wird von seinem Eigentümer als Reisebegleitung verliehen und seine Erlebnisse werden in einem Reisetagebuch veröffentlicht. Laut Wikipedia reichen die Ursprünge des Motivs ins Australien der 1980er Jahre zurück.

In der Zeitung „Sydney Morning Herald“ war zu lesen, dass einer Frau der Gartenzwerg gestohlen wurde. An dessen Stelle hat sie folgende Nachricht vorgefunden: „Liebe Mami, ich habe es nicht mehr ausgehalten, ich bin abgehauen, um die Welt zu sehen. Sei mir nicht böse, ich bin bald zurück“. Von einem ähnlichen Fall berichteten die englischen Medien im Jahr 2008. Der Student Simon Randles stahl einen 3,6 Kilogramm schweren Gartenzwerg aus einem Vorgarten von Derrick. Er taufte ihn „Murphy“ und bereiste zusammen mit ihm Südafrika, Australien und China. Nach der Rückkehr brachte Randles den Zwerg Murphy in den Vorgarten zurück. Neben ihn legte er eine Einkaufstasche, die ein Album mit 48 Fotografien enthielt, die während der Weltreise aufgenommen wurden. Der Student schrieb auch einen Brief an den Eigentümer. Darin stand, dass der Zwerg für einige Zeit verschwunden wäre, da das Leben mehr zu bieten hätte als den ganzen Tag den Straßenverkehr zu beobachten.

Reiseagenturen für Plüschtiere

Auch Eigentümer von Plüschtieren verreisen oft mit ihrem Lieblings-Teddy. Statt auf einem Regal zu verstauben oder den ganzen Tag auf einem Kissen zu verbringen liegen die Plüschtiere am Strand von Rio de Janeiro oder sitzen an Bord eines Helikopters und blicken auf die Landschaft. Sehr viele Erwachsene packen ihren Spielzeug-Freund gern ins Gepäck ein und machen dann Reisefotos mit ihm, die sie in den sozialen Netzwerken verbreiten. Oft verreisen die Plüschtiere jedoch alleine. Plüschtier-Reiseagenturen machen es möglich. Zu den Kunden dieser Agenturen gehören Leute, die entweder keine Zeit oder nicht das nötige Geld zum Verreisen haben. Oft sind es auch Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen zu Hause bleiben müssen, und ihre Plüschfreunde auf Reisen schicken. Mit Hilfe von Facebook können sie den Teddy oder die Stoff-Giraffe virtuell begleiten.

Die japanische Agentur Unagi Travel hat ein riesengroßes Angebot: es gibt Städtereisen nach Tokyo, Pilgerreisen mit Tempelbesuch und Ausflüge an die japanische Westküste. In Japan genießen Stofftiere ein besonderes Ansehen. In manchen Restaurants aus Tokio gibt es Teddys als Tischnachbarn, damit Singles nicht alleine essen. Und für Stofftiere, die schon das hohe Alter erreicht haben, gibt es im Chofu-Kujuii Tempel in der Nähe von Tokio ein Altersheim. Hier werden sie von ihren Besitzern hinterlassen, wenn sie „ausgedient“ haben. Puppen, Bären, Krokodile, Mäuse, Hello Kitty-Katzen und Delphine aus Plüsch kommen täglich mit der Post in die Agentur. Von dort aus geht es in den Ausflug, den der Besitzer für sein Stofftier ausgewählt hat. Eine Tokio-Tour kostet 35 Dollar, ein Drei-Tage-Trip zur Sado-Insel knapp 50. Auf jeden Fall günstiger als für Menschen. Nach dem Ausflug wird das Tier an den Eigentümer per Post zurückgeschickt. Dieser erhält außerdem ein  Erinnerungsfoto und eine CD mit den Reiseeindrücken.

Von Berlin bis New York

Aber auch in Europa boomt das Plüsch-Tourismusgeschäft. In Berlin werden seit über 10 Jahren Urlaube für Kuscheltiere von der Agentur „Teddy Tours“ veranstaltet. „Sie besitzen ein Plüschtier, das dringend mal Erholung vom Alltag braucht? Dann sind sie hier genau richtig“, wirbt das nach eigenen Angaben weltweit erste Reisebüro für Kuscheltiere. Bei „Teddy Tours“ kann man eine Woche Urlaub für das Plüschtier buchen- inklusive Stadtrundfahrt durch Berlin und Picknick im Tiergarten. Die Besitzer erhalten ein Album mit Urlaubsfotos und eine Postkarte. Menschen aus aller Welt schicken ihre Teddys nach Berlin. Diese werden mit dem Fahrrad zur Siegessäule, zum Checkpoint Charlie und ans Brandenburger Tor gefahren. Bis heute haben über 400 Plüschtiere aus aller Welt Berlin durch „Teddy Tours“ kennengelernt. Bei der Sektion „Kundenfeedback“ auf der Webseite des Unternehmens gibt es viele Fotos von den weitgereisten Kuscheltieren. Auf einem von ihnen ist der Teddybär Hans neben der Berliner Mauer zu sehen. „Hans ist gestern nach einer sehr langen Reise zu Hause angekommen.

Meine Mutter ist sehr glücklich und mag die Urlaubsfotos sehr“, schreibt Damian aus Australien. Die Kosten eines Teddy-Urlaubs betragen zwischen 39 und 139 Euro, je nachdem von wo das Plüschtier anreist und welches Paket der Eigentümer auswählt. Auch „Plüsch Expeditions“ bietet Stofftier-Reisegruppen Ausflüge nach Kopenhagen, Wien, Paris, aber auch nach Kanada oder in die USA an. Die günstigste Reise kostet 29 Euro. Für 230 Euro kann ein Teddybär mit First Class nach New York fliegen.
Auch die Webseite Toy Voyager gibt den Plüschtieren die Möglichkeit, die Welt zu bereisen. Hier funktioniert es wie bei einem Klassenaustausch. Man schickt sein eigenes Stofftier weg und kann dafür ein anderes beherbergen und mit in den Urlaub nehmen. Die Eigentümer, die sich auf der Webseite registrieren, bekommen eine einmalige ID-Nummer und können Online-Reisetagebücher für ihre Stofftiere erstellen, in denen sie Fotos hochladen und posten. Unter dem Profil der Tiere können die Besucher der Seite Informationen über das Stofftier und über die Länder, die es bereist hat, erhalten. Wie etwa: „Hallo Leute, mein Name ist Lucky und ich bin ein Esel. Ich werde allen meinen Gastgebern Glück bringen“. Wer Lucky mit sich in den Urlaub nehmen will, kann ihn mittels eines Online-Formulars kontaktieren.

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Nützliche Links:

http://www.toyvoyagers.com/
http://unagi-travel.net/
http://haekelschwein.de
http://www.teddy-tour-berlin.de
http://www.teddy-on-worldtrip.com
https://www.facebook.com/Marcel-Strengarul-470824453084960