Transformationsgeschichte im osteuropäischen Vergleich

Notizen einer Konferenz in Reschitza, einer von der Deindustrialisierung schwer gezeichneten Stadt

Auch das ist eine Möglichkeit, mit der eigenen Industriegeschichte fertig zu werden: man sprengt sie weg. 2004 wurde einer der beiden europaweit letzten Hochöfen dieses Typs in Reschitza gesprengt
Foto: Zoltán Pázmány

Es sei ungewöhnlich, dass sich ein Bürgermeister derart engagiert an der Durchführung einer wissenschaftlichen Tagung beteiligt – doch sowohl für die Stadt selbst als auch für jemanden, der der Stadt nur noch gelegentlich einen Besuch abstatten kann, ist das eine gute Sache. Seit Ioan Popa als Bürgermeister der Stadt Reschitza vorstehe, seien die Veränderungen offensichtlich – Prof. Dr. Rudolf Gräf, Prorektor der Klausenburger Babeș-Bólyai-Universität (UBB) und seit Kurzem auch designierter Leiter des Hermannstädter Forschungsinstituts für Geisteswissenschaften, fand positive Worte zum Auftakt einer internationalen Konferenz im Tagungssaal des Stadtrats Reschitza. Unter dem Titel „Nach dem industriellen (Alb-)Traum: Erfahrungen, Erinnerungen und Erwartungen der (De)Industrialisierung in Südosteuropa, im Vergleich“ wurde der Wandel der Industrielandschaft beleuchtet. Neben der UBB, die die Hauptorganisation und die wissenschaftliche Leitung übernahm, beteiligten sich das Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung der Universität Regenburg unter seinem wissenschaftlichen Leiter Prof. Dr. Ulf Brunnbauer, der örtliche Stadtrat, und das Museum des Banater Montangebiets (MBM). Hauptorganisatoren vor Ort waren das Ehepaar Dr. Livia Magina und Dr. Adrian Magina, beide Mitarbeiter des MBM.

Bürgermeister Popa eröffnete die Tagung mit einem Vergleich: Wir wissen heute sehr viel über die Erbauer und die Geheimnisse der ägyptischen Pyramiden oder über den angeblichen Balkon der Julia und des Romeo in Verona, aber wir seien bis heute in Reschitza nicht im Stande, die technischen Pläne aufzufinden, nach denen 1947 eines der technischen Genies des Ortes, György Mészaros, die Seilbahn von Franzdorf/Văliug auf das Semenik-Plateau gebaut habe. Auch deshalb seien ihm, Popa, Industriegeschichte und solcherlei Tagungen wichtig und unterstützenswert, „(U)nd ich begrüße jede Gelegenheit, über die Industriegeschichte von Reschitza zu diskutieren: auch so kann die Gegenwart verändert werden.“

Prof. Ulf Brunnbauer befand, es gebe für eine solche Konferenz keinen besseren Austragungsort als Reschitza, mit seiner Industriegeschichte und seinem angepeilten Wandel, auch, um die Enttäuschungen Ost- und Südosteuropas als Folgen der Wende, die oft nicht erst 1989 eingesetzt hat, sondern vor- oder nachher, zu untersuchen. Der „Blick zurück“, die Hauptbeschäftigung der Historiker, ergebe keinen Sinn, wenn man „nichts daraus lerne“, meinte der aus Reschitza stammende Rudolf Gräf, der die Konferenz angeregt hatte. Die Erfahrungen, die Ost- und Südosteuropa mit der „(De)Industrialisierung“ gemacht habe, seien überall dieselben und im Detail doch so unterschiedlich.

Es folgten interessante Ausführungen von Dr. Florian Peters („Ballast abwerfen für den ‘Sprung in den Markt’. Marktradikale Trans-formation und Deindustrialisierung in Polen“). Der Forscher am Institut für Zeitgeschichte in München (mit Zweigstelle in Berlin) analysierte ausführlich die langfristige – und letztendlich sehr erfolgreiche – Transformation Polens und stützte sich dabei einerseits auf die in Polen (im Unterschied zu Rumänien) sehr transparenten Diskussionen zu jeder Transformationsphase der Wirtschaft, aber auch auf einen guten Zugang zu den polnischen Archiven für Forscher, die auch Dokumente der höchsten Entscheidungsebenen einsehen können. Diese müssten faktisch noch als Verschlusssache behandelt werden und einer Sperrfrist unterliegen. Vom Belgrader Institut für Philosophie und Sozialtheorie war die Soziologin Dejana Jovanovic zugeschaltet, die ihre Untersuchungsergebnisse zu den Um- und Zuständen der größten Kupfererzgrube Europas im serbischen Bor präsentierte. Die bulgarische Anthropologin Dimitrina Kofti, Lehrkraft an der Athener Pantheion-Universität, berichtete über den Wandel an einem 60 Kilometer von Sofia gelegenen, mit sowjetischer „Bruderhilfe“ erbauten Stahlwerk hinsichtlich der Struktur von Bevölkerung und Arbeitskräften.

Beim aufmerksamen Zuhören fiel auf, dass sowohl dem serbischen Kupferbergwerk als auch dem bulgarischen Stahlwerk im Transformationsprozess eines gemeinsam ist: hohe Korruption, Vetternwirtschaft, im Sozialismus bewährter Nepotismus, Sich-Warm-Betten auf Staatskosten, aber auch viel Nostalgie nach den „goldenen Zeiten“ der kommunistischen Vergangenheit und ein Hauch Bedauern ob verpasster Chancen im Transformationsprozess.

Ulf Brunnbauer hingegen sprach über „Vorzeigeprojekte und Problemkinder: Warum manche Betriebe untergehen und andere nicht untergehen können (am Beispiel des Stahlwerks Kremikovci in Bulgarien und der Werft Uljanik in Kroatien)“. Seine Schilderungen bildeten den einzigen Vortrag, der die Transformation zweier Unternehmen verglich: Beide hatten dieselbe Ausgangslage und haben, gewollt oder ungewollt, gänzlich verschiedene Ziele erreicht: Der Werft in Kroatien, die heute Kreuzfahrtschiffe baut, geht es im Gegensatz zum bulgarischen Stahlwerk grundsätzlich gut.

Peter Wegenschimmel, ein weiterer Vertreter des Regensburger Leibniz-Instituts, präsentierte indessen seine Ausfühurungen „Becoming a Black Box: Deindustrialisierung als endogener Faktor in der Unternehmenstransformation“. Das Publikum gewann den Eindruck, dass das Institut die vergleichende Forschung und Ursachenklärung bei den Transformationen Osteuropas eingehender thematisiert, während sich diese in anderen Ländern noch im Stadium der faktischen Bestandsaufnahme befindet.

Die Beiträge der zahlreichen rumänischen Forscher hingegen bewegten sich vor allem auf dem Gebiet historiografischer Klärungen. Immer noch scheint es auf dem Gebiet der rumänischen Geschichtsforschung und –schreibung einen enormen Nachholbedarf zu geben. Verpasstes auf fünfzig Jahren muss nachgeholt und eine ebenso große Forschungslücke geschlossen werden. Das wird vor allem an den Doktoranden Gräfs deutlich, die durchaus interessante Beiträge und viel Neues lieferten, etwa über Investitionen des österreichischen Staates in seinen Bergbau und sein Hüttenwesen (vor allem nach dem Verlust Schlesiens im Siebenjährigen Krieg), über Industrie und freie Marktwirtschaft im Neo-Absolutimus und Liberalismus, das Banat auf der Wiener Weltausstellung von 1873 (vor allem aufgrund fotografischer Zeugnisse), die Wirtschaftsentwicklung im Spiegel der kleinstädtischen Architektur (Roșia Montană und Abrud, Anina und Criscior, Fabriken und Stadtviertel in Reschitza), oder den Zusammenhang zwischen Sport und Wirtschaft. All das kann als Grundlagenforschung bezeichnet werden, doch die Synthese steht noch aus.

Eine Sonderstellung nahmen die durchaus beispielhaften Tätigkeiten des Italieners Stefano Petrungaro von der Foscari-Universität Venedig ein. Er präsentierte „Einstellungen zur Arbeit: Erwartungen, Erinnerungen, Enttäuschungen“, forschte zu Fragen der sozialen Auswirkungen der Transformation und erwies sich als reale Bereicherung der Konferenz.

Nicht zuletzt seien die Beiträge erwähnt, die sich mit der Konservierung des Industrieerbes beschäftigten (Volker Wollmann, Valentin Maier, Robert Nagy, Oliviu Gaidoș), wobei den (bis auf Bürgermeister Popa leider abwesenden) Entscheidungsträgern von Dr. Rudolf Gräf aufgezeigt wurde, dass die Bewahrung des Industrieerbes und aktive Industriearchäologie vorwiegend dank privater Vereine und Gesellschaften geschieht. Aufgrund gemeinsamer Leidenschaft würden sie Gelder sammeln, Projekte entwerfen, freiwillige Arbeit leisten und auch für die nachmalige Pflege und den Erhalt der Objekte (vor)sorgen. Auf Staatshilfe, wie das gelegentlich in sozialistischer Zeit geschehen ist (siehe das Zustandekommen des Dampflokmuseums von Reschitza) könne man sich weder in Reschitza noch anderswo verlassen. Das gelte eindeutig auch für den letzten Hochofen alten Typs in Europa, der im Hof des Reschitzaer Stahlwerks TMK steht.