Umweltpolitik als vollendete Tatsache

Aushebelung der Umweltschutzgesetze durch das Ministerium für Umweltschutz, am Beispiel des Wasserkraftwerks im Schiltal

Vor mehr als zwölf Jahren, in der Vorbeitrittsphase Rumäniens zum EU-Beitritt, hat SPEEH (das ist, in Übersetzung, die „Gesellschaft zur Erzeugung von Elektroenergie in Wasserkraftwerken“) Hidroelectrica, ein Staatsunternehmen, mit den Planungen und den Bauvorbereitungen eines Wasserkraftwerks im Raum des Engpasses des Schil-/Jiu-Flusses, zwischen den Verwaltungskreisen Hunedoara und Mehedinți, begonnen – mitten in einem in derselben Vorbeitrittsphase stattfindenden Prozess der Schaffung von Naturschutzgebieten, als der staatliche Forstverwaltungsbetrieb Romsilva gezwungen war, im Handumdrehen Rumänien mit der für eine EU-Reife nötigen Fläche von Naturschutzgebieten auszustatten. Die Flussenge des Schils bekam damals den Status eines Nationalparks. Hidroelectrica wollte also im neugeschaffenen Nationalpark ein Wasserkraftwerk bauen.

Das rief die Umweltschützer auf den Plan, die erst mal nachprüften, wer zu diesem biodiversitätsfeindlichen Projekt par excellence seine Zustimmung gegeben hatte. Es waren die Kreisräte von Hunedoara und Mehedinți – nicht aber das damalige Ministerium für Umweltschutz. Das hatte ja eben erst, gemeinsam mit der Rumänischen Akademie der Wissenschaften, den Nationalpark ins Leben gerufen. Die Umweltschützer gingen vor Gericht. In bester rumänischer Rechtstradition dauerte der Prozess lange und zog sich durch die Instanzen immer höher. Bis das Bukarester Berufungsgericht im Dezember 2017 – also bereits in vollster PSD-ALDE-Regierungszeit und im zehnten Jahr der EU-Mitgliedschaft Rumäniens – einen definitiven Baustopp verfügte: weder nach rumänischer, noch nach europäischer Gesetzgebung kann in einem Nationalpark, in einem streng geschützten Naturareal, ein so radikaler Eingriff in die Artenvielfalt erfolgen, wie es der Bau eines Wasserkraftwerks ist.

Bis zur gerichtlichen Verfügung des Baustopps für das Wasserkraftwerk am Schil hatte SPEEH Hidroelectrica hier bereits rund 150 Millionen Euro investiert. Einer, der mit Argusaugen diese Entwicklungen verfolgte, war der ehemalige Investigativjournalist und Juraabsolvent Remus Mihai Goțiu, der seit Dezember 2016 für die bürgerliche und oppositionelle USR als Senator im Parlament sitzt. Goțiu, ein in Ilia geborener Klausenburger, war vor allem mit seinem preisgekrönten Enthüllungsbuch über die Machenschaften der kanadisch-rumänischen Gabriel Ressources aufgefallen („Afacerea Roșia Montan˛“), jenem Investmentkonsortium, das durch Tricks, Machenschaften und wahrscheinlich auch Schmiergelder auf höchster Staatsebene (denen, Behauptungen von Sozialisierungsplattformen im Internet zufolge, auch der damalige Präsident Traian Băsescu nicht ganz fremd war) die Ausbeutung der Goldvorkommen von Roșia Montan˛ starten wollte und das im Rahmen einer umfassenden und wohlkoordinierten zivilen Protestbewegung gestoppt werden konnte (auch mit dem Ergebnis, dass heute Gabriel Ressources vom rumänischen Staat 4,4 Milliarden Dollar Entschädigung für entgangene Geschäfte und in den Sand gesetzte Gelder fordert).

Laut eigenen Angaben fragte Goțiu nach dem Ende des Berufungsverfahrens, durch welches die Bauarbeiten am Wasserkraftwerk am Schil gestoppt wurden, die amtierende Ministerin für Umweltfragen und Probleme des Klimawandels, die Vizepremierministerin Gra]iela Leocadia Gavrilescu (ALDE, eine Ingenieurin, die aus der Erdölbranche kommt…), was denn nun mit den in den Sand gesetzten 150 Millionen Euro passiere, die Hidroelectrica bereits ausgegeben hatte? Und ob es dafür Schuldige gäbe, die zur Verantwortung gezogen werden?
Dies, nachdem Go]iu die Ministerin im Vorfeld mehrmals („im Sommer und im Frühherbst 2017“) darauf angesprochen hatte, dass sie als Verantwortliche seitens des Ministeriums durch die Duldung des Wasserkraftwerksbaus am Schil sowohl europäische als auch nationale gesetzliche Regelungen zumindest ignoriert. Die Antwort der Ministerin sei entwaffnend gewesen: „Sorgen in dieser Hinsicht sind fehl am Platz!“ Senator Goțiu: „Die Höhe war, dass die Ministerin mir diese Antwort ganz offiziell und schriftlich zukommen ließ! Und zwar nachdem sie bereits Kenntnis vom endgültigen Baustopp hatte, den das Bukares-ter Berufungsgericht ausgesprochen hatte.“

Im August 2018 kommt es in der Causa Wasserkraftwerk am Schil zu einem Protokoll zwischen dem Ministerium für Umweltfragen und Fragen des Klimawandels, vertreten durch die Ministerin Gra]iela Leocadia Gavrilescu, und den Rechtsvertretern von SPEEH Hidroelectrica sowie mit dem nahezu gesamten (ein paar Monate vorher, am 4. Mai 2018, eingesetzten) Vorstand, an der Spitze mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Bogdan-Nicolae Badea. Darin geht es vordergründig um harmlose, umwelt- und menschenfreundliche Dinge. Kurz: um Strohdrescherei rund um „das legitime Interesse von Hidroelectrica, Wasserkraftwerkszentralen zu nutzen und neue Kapazitäten zu entwickeln“. Und selbstverständlich darum, das alles „im Einklang mit den europäischen und nationalen gesetzlichen Regelungen betreffs Umweltschutz“ zu tun.

Das ominöse Protokoll wird, ohne viel Aufhebens, von Hidroelectrica am 13., vom Umweltministerium am 20. August registriert. Senator Go]iu hört davon und fordert von der Umweltministerin im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage („Gute Protokolle, schlechte Protokolle“) Einsicht. Die wird ihm, nach langem Zögern, mit dem Schreiben der Ministerin vom 17. Dezember 2018 gewährt, „in der Hoffnung, dass die hier gelieferten Informationen Ihnen nützen“. Aufgrund des Protokolls habe bereits eine Tagung im Umweltministerium stattgefunden, mit Hidroelectrica „und zwei NGOs“ (welche, wird offengelassen), „mit dem Zweck, Konzeptlinien für die Anwendung des LIFE 2019-Programms auszuarbeiten“.

Am Montag, dem 7. Januar 2019, ergriff Senator Remus Mihai Goțiu im Senat erneut in dieser Causa das Wort und beschuldigte die Umweltministerin und Vizepremierministerin Gavrilescu (die aus einem der umweltschädlichsten Wirtschaftsbereiche kommt, aus der Gummi- und Kautschukindustrie), im Protokoll mit Hidrotehnica bloß als Vorwand anzugeben, Strukturfonds akquirieren zu wollen für ein Projekt im Nationalpark in der Flussenge des Schils. In Wirklichkeit habe sie Hidroelectrica einen „Blankocheck“ ausgestellt, „um Übergriffe und Zerstörungen im Schiltal fortzusetzen“.

Mit einem solchen Protokoll „ignoriert das Umweltschutzministerium einen Rechtsspruch“, so Goțiu „und deckt die Vergeudung von Euro-Millionen durch ein Staatsunternehmen“. Sein Verdacht: „Die wollen uns vor vollendete Tatsachen stellen und das Projekt des Stauseebaus im Nationalpark Schiltal zu Ende führen. Damit wäre der Nationalpark faktisch aufgelöst, also wären auch keine Schutzmaßnahmen für die Artenvielfalt nötig. Und wenn keine Schutzmaßnahmen mehr nötig sind, dann „kann das Projekt post-mortem autorisiert werden“. Der Senator wollte wohl „post-factum“ schreiben…

Nochmal Senator Goțiu: „Das Vorgehen ist bereits patentiert bei anderen Stauseeprojekten an anderen Flüssen Rumäniens. Die Logik ihres Vorgehens: Es gibt keinen Grund mehr, etwas zu schützen, das bereits zerstört ist.“ Eine Antwort von Umweltministerin Grațiela Leocadia Gavrilescu stand noch aus, als dieser Beitrag abgeschlossen wurde.