Unterwegs auf Bukarests Straßen

An manchen Orten der Hauptstadt kann man das alte Stadtbild noch erahnen

Etwa 1870 tauchten in Bukarest zur Verwunderung der Bewohner die ersten Pferdebahnen auf.

Bukarest ist ein heißes Pflaster. Besonders was den Verkehr angeht. Täglich schieben sich Tausende Autos über die Boulevards und Plätze der Hauptstadt. Mit wildem Gehupe und scharfen Bremsmanövern werden alle anderen Verkehrsteilnehmer daran erinnert, wo ihr Platz im täglichen Gerangel auf den Straßen ist: nämlich eigentlich auf dem Bürgersteig. Wer sich trotzdem ohne Auto auf den Asphalt wagt, greift häufig auf öffentliche Verkehrsmittel zurück. Täglich werden mehr als eine Millionen Personen befördert.

1871 wurde die RATB (Regia Autonomă de Transport Bucureşti) gegründet und kurz danach zogen Pferde die ersten Straßenbahnen durch Bukarest.

Anstelle von Hufgetrappel quietscht es dort heute auf den Schienen. Ich versuche mir vorzustellen, wie es hier, an der Piaţa Sfântul Gheorge, vor 150 Jahren ausgesehen haben muss: Menschen wuseln zwischen Pferden und Karren. Autos waren in der Hauptstadt noch keine unterwegs. Ich steige in die Linie 21 Richtung Pasaj Colentina. Ursprünglich verband die Linie den Nordbahnhof mit dem Obor-Markt. Heute sind es von der Piaţa Sfântul Gheorghe lediglich fünf Stationen und ca. 27 Minuten Fahrzeit bis zur damaligen Endhaltestelle Ziduri Moşi. In der spärlich beleuchteten Bahn riecht es nach Minztee und es ist überraschend still. Nur einige Fahrgäste hängen auf den Plastiksitzen ihren Gedanken nach. Niemand steht im Gang. Die Bahn nimmt Fahrt auf. Dicht rumpelt sie an den Häusern in der Calea Moşilor vorbei. Es scheint, als müsste ich meine Hand nur ein wenig ausstrecken, um über die Fassaden streichen zu können. In den Seitenstraßen fernab der großen Boulevards hängt kaum Weihnachtsbeleuchtung. Statt dessen reihen sich reich geschmückte Altbauten neben kommunistischen Hochhäusern. Ich versuche mir vorzustellen, wie es hier im 19. Jahrhundert ausgesehen haben könnte. In einer Zeit, in der noch nicht große Teile der Altstadt zerstört wurden.

Wie haben sich wohl die Bewohner der Calea Moşilor beim Anblick dieses seltsamen Gefährts gefühlt? War es für sie vielleicht „nur“ eine große Kutsche oder haben sie bereits erkannt, dass der Fortschritt Einzug gehalten hat? Sicher ist nur, dass zu jener Zeit deutlich weniger Wagen auf den Straßen unterwegs waren als heute. Selbst in den schmalsten Straßen kommen uns Autos mit meist erbostem Gehupe entgegen. Es fühlt sich ein wenig an wie eine Zeitreise. Von den engen Straßen der Altstadt bewegen wir uns auf die Piaţa Obor zu.

Die Häuser werden moderner, die Straßen breiter. Dort ist auf einmal Platz. Mehrere Straßen kreuzen sich. An einer Ecke blinkt hektisch ein rosa Tannenbaum. Selbst auf der Straße ist die Marktatmosphäre zu fühlen, hasten doch Menschen und Autos wild durcheinander. Auch in der Bahn wird es voll. Wo zuvor nur Stille und Nachdenklichkeit herrschte, drängen und quetschen sich nun mit Einkaufstüten bepackte Menschen. Ich strecke meinen Rücken durch und rutsche etwas auf dem orangenen Plastiksitz herum. Neben mir plärrt eine Frau in einem roten Pelzmantel in ihr Telefon. An der nächsten Haltestelle, Ziduri Moşi, steige ich aus. Wie eine Endhaltestelle aus dem Jahr 1872 sieht es hier definitiv nicht mehr aus. Hochhäuser säumen die vielbefahrene Şoseaua Colentina. Keine Pferde oder Karren sind zu sehen.