Verkaufen wir nun unser Land oder nicht?

Mehr Besonnenheit in der Mediendiskussion zur Liberalisierung des Bodenverkaufs / Gründe zur Sorge gibt es dennoch

Symbolfoto: sxc.hu

Unter den Beitrittsdokumenten zur EU, die Rumänien bis 2007 unterzeichnet hat, befindet sich auch die Verpflichtungserklärung, ab dem 1. Januar 2014 den Grundstücksmarkt zu liberalisieren. Das hat in diesem Jahr in national(istisch) orientierten Medien zeitweilig eine echte Hysterie ausgelöst, ähnlich wie in den 1990er Jahren, als man immer wieder den Ruf: „Wir verkaufen unser Land nicht!“ („Nu ne vindem ţara!“) hören musste. Besonnenere Publikationen sprechen vom „Mythos 2014“ und versuchen sich in objektiven Analysen der Lage, in welchen sie auch Argumente dafür bringen, warum die eifrig geschürte Angst vor einem Ausverkauf des Ackerlands und der Wälder Rumäniens unbegründet ist.
Diese Argumente lassen sich zu sechs Hauptargumenten zusammenfassen. Das erste: Ackerland, Grund und Boden konnten auch bisher in Rumänien käuflich erworben werden. Wer das vorhatte, der hat es längst getan.

Schrankenbauer Staat

Dazu musste ein Ausländer als natürliche Person seinen festen Wohnsitz in Rumänien haben, wenn er Grundstücke erwerben wollte, eine Firma bzw. Rechtsperson musste ihren Firmen-(Gesellschafts-)sitz in Rumänien haben. Letztere Option war die häufigste: Privatpersonen gründeten Firmen mit Gesellschaftssitz in Rumänien – ohne ihren Wohnsitz zu wechseln bzw. ohne die doppelte Staatsbürgerschaft anzunehmen – und konnten Grundstücke erwerben, je nach verfügbaren Mitteln. Dem Ausverkauf an Grund und Boden hat der rumänische Staat, der die Angst vor dem „Wir verkaufen unser Land nicht!“ nie so recht aus seiner Staatsphilosophie ausgemerzt hat, immer wieder vorzubeugen versucht. Auch jüngst. So etwa muss ein rumänischer Staatsbürger eine Art Vorkaufsrecht der Grundstücksnachbarn beachten, bzw. seine Verkaufsabsicht zuerst den Grundstücksnachbarn bekannt geben und erst wenn diese an einem Kauf nicht interessiert sind, dann kann er weiter und ohne Restriktion nach Käufern suchen. Es wurde ein richtiger Bannkreis von Restriktionen konstruiert, der Schritt für Schritt abzubauen ist, bevor ein Grundbesitz tatsächlich verkauft werden kann.

Es stimmt natürlich, dass der Grundbesitz in Rumänien viel billiger zu haben ist als im westlichen Ausland. Nur stellen sich die rumänischen Medien auch die Frage, ob Ackerland in Rumänien tatsächlich günstiger zu bearbeiten ist als im Ausland, zumal die billigeren Arbeitskräfte hierzulande in der Landwirtschaft wegen des hohen Mechanisierungsgrads viel weniger ins Gewicht fallen als in der Industrie bzw. der Lohnarbeit. Das ist das dritte Gegenargument der Besonnenen bezüglich eines Grundstückskauffiebers der Ausländer in Rumänien ab dem 1. Januar 2014. Außerdem diskriminiert die EU nach wie vor die osteuropäischen Mitgliedsländer ganz offen durch die geringeren landwirtschaftlichen Subventionen – die zudem in Rumänien nie zeitgerecht ausgezahlt werden, denn der rumänische Staat muss wohl immer erst selber ein bisserl mit den EU-Subventionen wurschteln. Außerdem gibt es in Rumänien viel weniger Regierungsprogramme im landwirtschaftlichen Bereich, die den Landwirten zusätzliche Subventionen zukommen lassen (subventionierte Produkte, wo der Staat einen Teil der Produktionskosten übernimmt, staatliche Bewässerungsprogramme usw.), also Konkurrenzvorteile verschaffen.

Die Logik der Wirtschaft

Zum dritten gibt es eine gewisse „Wirtschaftslogik“, sagen die rumänischen Medien, denn Rumänien importiert einen Großteil seines Bedarfs an landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Schweinehälften sind in manchen westeuropäischen Staaten – etwa Deutschland, Österreich, Ungarn – zeitweilig bis zu halb so teuer wie in Rumänien. Ganz einfach weil Rumänien zur Zeit nicht billiger produzieren kann. Die elementare Wirtschaftslogik sagt also, dass es weiterhin günstiger ist für die großen Fleischverarbeitungsbetriebe, im Ausland ihre Rohstoffe zu kaufen. Selbst Zwiebeln und Knoblauch werden in Polen bzw. China viel günstiger gezogen – trotz des Transportaufwands. Das Hinterherhinken Rumäniens in der Technologie macht auch in der Landwirtschaft vieles viel zu teuer. Aber Technologie kostet.

Viertens zahlt Rumänien immer noch seinen Tribut für die kommunistische Gleichmacherei, die seinerzeit Ion Iliescu dem Land bei der „Bodenrückgabe“ bescherte. Unter seiner Stabführung war das weitgehend eine Boden-Zueignung und führte zur extremen Zerstückelung des Ackerlands. Die rund 9,4 Millionen Hektar Ackerland Rumäniens sind zwar nicht mehr (u. a.) in 3,8 Millionen Subsistenzbesitztümer (von je 0,5 Hektar) aufgeteilt, sondern inzwischen auf geschätzte bloß 2,5 Millionen, aber die fehlende Bereitschaft zur Zusammenlegung des Ackerlands („Was, schon wieder eine Kollektivwirtschaft?!“) ist immer noch ein Riesenhandicap der rumänischen Landwirtschaft. Und wer hat schon Zeit und Interesse, sich eine größere Fläche Ackerland durch Kauf zusammenzuflicken? Auch in einem solchen Zusammenhang sollte mal der jüngste skandalumwitterte Bodenkauf der Familie des Staatspräsidenten Băsescu gesehen werden. Fakt ist – das sagen die Grundstücksmakler immer öfter – dass es in Rumänien kaum noch größere zusammenhängende Flächen zu kaufen gibt.
Nicht zuletzt die Frage der Kreditvergaben und der Zinsen für Kredite: In Westeuropa sind die Kreditverzinsungen unvergleichlich günstiger als in Rumänien. Außerdem funktionieren die Unterstützungsprogramme für kleine und große Farmen. In Rumänien redet man davon. Schon lange.

Zunehmend schlechtere Böden

Zu alldem kommt, dass sich die Böden in Rumänien nicht nur nicht vollständig von den chemischen Keulen der kommunistischen Zeit erholt haben – auch wenn viele seit Jahren brachliegen und bloß Disteln und Unkrautsamen produzieren – sondern dass sie zunehmend schlechter werden. Rechnet man die Angaben der Kreisämter für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (DADR) zusammen, kommt man auf etwa eine Million Hektar Ackerland, die übers Jahr brachliegen. Vor fünf-sechs Jahren sprachen die Landwirtschaftsämter in ihren Berichten sogar noch von rund drei Millionen Hektar Brachland.
Der schlimmer betroffene Teil sind die geschätzt 500.000 Hektar Land, die nur noch durch teure Rekuperationsmaßnahmen wieder nutzbar gemacht werden können, total degradierte Böden, die vom Staat als „unproduktives Land“ eingestuft sind. Diese werden überhaupt nicht zum Ackerland gezählt, aber weiterhin in den Statistiken geführt. Meist sind das Böden, die nie kultiviert waren, die „immer schon“ so existierten, ihrem Schicksal überlassen waren. Zwei Prozent der rund 24 Millionen Hektar Gesamtfläche Rumäniens.

Die größten solchen Flächen sind auf altem Kulturland in Westsiebenbürgen: im Verwaltungskreis Alba. 43.276 Hektar augenblicklich unnutzbares Land sind da vorhanden. Im Verwaltungskreis Klausenburg sind es 33.452 Hektar. Hinzuzufügen ist auch, dass ein (aber relativ geringer) Teil dieser Flächen Taubgesteinhalden und Rückstände von der Erzanreicherung aus dem siebenbürgischen Erzgebirge sind – Dinge, gegen die man in der Roşia-Montană-Bewegung der Umweltschützer ankämpft.
Dass die geringste unnutzbare Brachlandfläche in Bukarest zu finden ist (93 Hektar), das gehört zu den Normalentwicklungen Rumäniens: Es hängt eindeutig mit den Grundstückspreisen und -angeboten zusammen.

Übrigens steigt auch die verbaute Fläche in Rumänien zuungunsten der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen rasant an. 2000 betrug die verbaute Fläche Rumäniens 632.856 Hektar, zehn Jahre später waren 728.256 Hektar mit allerlei Bauwerken bedeckt. Das ergibt einen Rhythmus des Verbauens der Landschaft von mehr als 9500 Hektar pro Jahr oder einen jährlichen Zuwachs der verbauten Flächen von 15 Prozent. Inzwischen nähert sich die verbaute Fläche Rumäniens den 3,5 Prozent der Gesamtfläche des Landes. Das ist zwar noch nicht besorgniserregend (gemessen an anderen Ländern, wo die Verbauung der Landschaft schon viel früher begonnen hatte und nie durch restriktive Maßnahmen eingeschränkt war, weder durch Ortsanlage- und Verlegungspläne, noch durch „Dorfsystematisierungen“), aber auch das hat mit den Preisen der Grundstücke und der Liberalisierung des Bodenverkaufs zu tun.

Keine Wertverminderung durch Wassermangel

Eine akute Gefahr stellt inzwischen der Wassermangel für die Böden Rumäniens dar. Einerseits heißt es schon lange – und die Satellitenaufnahmen weisen es nach – dass manche Gebiete Rumäniens allmählich in einen wüstenartigen Zustand geraten. Auf den aus großer Höhe aufgenommenen Bildern sind sie bereits sandgelb eingezeichnet. Das hat mit dem Klimawandel zu tun. Mindestens soviel wie mit der Zerstörung der großen Bewässerungsanlagen in der Bărăgan-Steppe in den Jahren 1990-95.
Aber die Statistiken der Landwirtschaftsämter zeigen auch, dass einerseits die von Ceauşescu initiierten Maßnahmen – etwa zur Gewinnung von Ackerland durch Trockenlegung von Schwemmland, Sümpfen, Auen und dem Donaudelta – heute noch wirksam sind: Den größten Verlust an Wasser- und Feuchtflächen haben der Verwaltungskreis Tulcea und das Donaudelta verzeichnen müssen: 24.326 Hektar zwischen 1990-2010. 1990 waren im Verwaltungskreis Tulcea 366.458 Hektar mit Wasser bedeckt, 2010 nur noch 342.132 Hektar. An zweiter Stelle der Verluste an solchen Flächen liegt Brăila (7116 Hektar), aber dann folgt schon Sathmar (6789 Hektar), darauf die Donauanrainerkreise Ialomiţa (- 6315 Hektar), Konstanza (- 5410 ha) und Călăraşi (- 5130 ha).

Insgesamt hat Rumänien in zwanzig Jahren 70.000 Hektar wassergeflutete Flächen verloren (das ist fast genau dreimal die Gesamtfläche der Landeshauptstadt Bukarest) – und das nicht unbedingt zugunsten der Güte der Ackerflächen. Denn auch in gebirgigen Verwaltungskreisen werden durch die großzügige Förderpolitik der Produktion von alternativer Energie und den Bau von Kleinwasserkraftwerken Bäche angezapft, aufgestaut, „kontrolliert“ abfließen gelassen, was zu einer unnatürlichen Wasserzufuhr für die landwirtschaftlich genutzten Flächen führt und, durch die Abholzungen zwecks Einrichtung der Aufstaubecken, zu massiven Veränderungen am Oberlauf vieler Gewässer führt – mit bislang nicht überschaubaren Folgen für deren Unterlauf und die angrenzenden Ackerflächen.
Fakt bleibt, dass etwa ein Drittel der Wasserflächenverluste der letzten zwanzig Jahre in Rumänien in den gebirgigen Verwaltungskreisen verzeichnet wurden. Insgesamt 30 der 42 Verwaltungskreise Rumäniens – Bukarest mit eingerechnet – haben eine Verkleinerung ihrer Wasserflächen erlitten. Auch damit ist vielerorts die Güte des Ackerlands gesunken, ohne einen erheblichen Einfluss auf die Grundstückspreise auszuüben.