Vernetzung deutscher Sprachinseln im östlichen Europa

ADZ-Gespräch mit Prof. Dr. Hermann Scheuringer über ein spannendes Nischen-Forschungsprojekt

Prof. Dr. Hermann Scheuringer. Foto: www.uni-regensburg.de

Vom 11. bis 13. April fand in Konstanza/Constanța eine Tagung mit dem Titel „Deutsche Sprache und Kultur in Bessarabien, Dobrudscha und im Schwarzmeerraum” statt. Organisator war das Forschungszentrum für Deutsch in Mittel-, Ost- und Südosteuropa (DiMOS), eine wissenschaftliche Einrichtung der Universität Regensburg, in Kooperation mit dem Forschungszentrum für Germanisten in der Dobrudscha (CCDG) an der Universität „Ovidius“, Konstanza. Im Mittelpunkt dieser Tagung (darüber wurde in der ADZ vom 20. April 2019  gesondert berichtet) und ähnlicher Veranstaltungen in der Vergangenheit steht der Austausch zwischen Experten aus allen Bereichen der germanistischen Forschung - Linguistik, Literatur, Übersetzung, Didaktik - und Deutschlehrern aus dem östlichen Europa. Ziel von DiMOS ist, die deutsche Sprache im Rahmen der historischen und heutigen Mehrsprachigkeit und in enger Einbeziehung der dortigen Nachbarsprachen zu erforschen und zu dokumentieren. Das Deutsche wird dabei nicht als Nationalsprache betrachtet, sondern als Interregionalsprache und Sprachklammer in Mittel-, Ost- und Südosteuropa als Folge jahrhundertelanger Migrationsbewegungen, erklärt der Leiter und Gründer von DiMOS, Prof. Dr. Hermann Scheuringer von der Uni Regensburg, im Gespräch mit Nina M a y.


Herr Professor Scheuringer, was bedeutet DiMOS, wie kam es zur Gründung - und was war die Idee dahinter?


DiMOS heißt „Deutsch in Mittel-, Ost- und Südosteuropa“ und ist einfach ein schönerer Terminus für östliches Europa, eingeführt an der Uni Regensburg. Im Jahre 2006 wurde dazu eine Forschergruppe gegründet, damals noch mehr oder minder informell, einfach als Gesprächsrunde. Um 2012 herum hab ich mich dann sehr bemüht, diese Treffen zu institutionalisieren. Seit 2013 sind sie das und seit 2014 sind sie finanzierbar.

 

Sind Sie also sozusagen der Gründervater?


Ich bin jedenfalls von Anfang an dabei gewesen, vor 2006.

 

Was ist die Idee von DiMOS?

 

Hintergrund ist, dass die Uni Regensburg innerhalb des Staates Bayern deklariert ist als Schwerpunkt Forschung mit Fokus auf östliches Europa. Das betrifft vor allem die Historiker, die sind ganz gewichtig, es gibt ein Ungarisches Institut und ein paar andere in diesem Zusammenhang. Da konnten wir uns gut platzieren, denn man hatte Interesse daran, auch die deutsche Sprache im östlichen Europa zu dokumentieren. Ich bin damals 2010 nach Regensburg berufen worden. Dazu kam mein Forschungshintergrund, dass ich damals schon viel im östlichen Europa in und an der deutschen Sprache gearbeitet habe.

 

Deutsche Sprache im östlichen Europa - gilt das als exotisches Gebiet?


Es steht zumindest nicht im Vordergrund. Innerhalb der germanistischen Variationslinguistik oder Dialektologie ist das sicherlich eine Nische.

 

Und wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?

 

Ich gehöre nicht zu denen, die einen entsprechenden familiären Hintergrund haben, wie etwa die Siebenbürger Sachsen. In meinem Fall bin ich, wie viele Binnenraum-Sprachwissenschaftler, über die Dialektologie dazugekommen, weil es letzten Endes doch so ist, dass alle Deutschen im östlichen Europa irgendwann einmal aus dem Stammsprachraum ausgewandert sind – wenn auch, wie die Siebenbürger Sachsen, vor 900 Jahren. Im Rahmen eines großen Unternehmens, das ich begründet und an dem ich mit anderen gearbeitet habe, dem Sprachatlas von Oberösterreich, wollte ich dann auch die Sprachinseln, die von Oberösterreich aus besiedelt worden sind, unbedingt erfassen. Das sind die drei Landlergemeinden bei Hermannstadt, das ist Oberwischau in der Maramuresch und das sind noch ein paar Dörfer im Banater Bergland und in der Ukraine. So bin ich automatisch immer mehr in das Gebiet deutsche Sprache in Rumänien, in der Ukraine usw. reingekommen. Und so habe ich gewechselt vom Hauptarbeitsgebiet Dialektologie des Binnenraums zu Variationen und diesen ganzen Sprachinseln und Sprachgruppen im östlichen Europa.

 

Nur zum Verständnis: Was ist der Unterschied zwischen Dialekt, Varietät und Hochsprache?


Dialekt ist im Deutschen einigermaßen festgelegt auf Nicht-Hochsprache. Varietäten sind natürlich auch Hochsprache-Varietäten. Sie wissen ja, dass Ioan Lăzărescu und ich – auf seine Initiative, das muss ich sagen – an einem Wörterbuch gearbeitet und versucht haben, dieses Konzept, dass die deutsche Sprache in Rumänien auf der hochsprachlichen schriftlichen Ebene eine Varietät der deutschen Hochsprache ist, populärer zu machen.

 

Welche Aktivitäten betreibt DiMOS hauptsächlich?


Das Hauptziel war zunächst, alle Forscher, die sich mit deutscher Sprache im östlichen Europa befassen, irgendwie zusammenzubringen. Dieses große Forschernetzwerk hat vorher gefehlt. Davor gab es nur lauter Einzelpersonen. Wir sprechen aber ausschließlich die an, die sich mit deutscher Sprache hierzulande (Anm.: Interviewort Rumänien) befassen, also nicht jemanden, der einfach nur Heine oder Goethe studiert. Heute auf der Tagung ging es z. B. um Baltschik, um Sulina. Es sind auch viele Teilnehmer aus der Republik Moldau anwesend, DaF-Didaktiker, da geht es dann darum, dass man die Leute in diesem Raum aktiviert. Nachdem DiMOS institutionalisiert war und ein Budget hatte, konnten wir Jahrestagungen und regionale Tagungen veranstalten. Wir hatten z. B. eine Tagung in Pristina (Kosovo) zum albanischen Kulturraum, wir hatten eine in Zadar (Kroatien) oder eine in Leibach/Ljubljana (Slowenien) über deutsch-slowenische mitteleuropäische Sprachkulturraumbeziehungen. In diesem Kontext ist auch diese Tagung in Konstanza zu sehen. Außerdem gibt es Tagungssammelbände und viele andere Publikationen. Wir können Gastwissenschaftler einladen und ein Stipendienprogramm ausschreiben. Jedes Jahr bewerben sich bei uns ein paar Leute aus dem osteuropäischen Raum. Es gibt Master- und Doktorarbeiten, derzeit z. B. eine Dissertation über die südliche Bukowina.

 

Mit wem arbeiten Sie in den verschiedenen Ländern zusammen?


Man arbeitet im Lauf der Jahre mit allen möglichen Universitäten zusammen, in unterschiedlichem Ausmaß. Ich persönlich habe ja von Wien her schon einen Grundstock an Beziehungen und Bekanntschaften, darum hat man mich für dieses Gebiet nach Regensburg berufen. Ioan Lăzărescu von der Germanistik-Fakultät der Uni Bukarest kenne ich seit gut zwei Jahrzehnten, manche andere auch, es gibt große Universitäten, wie die Bukarester Uni, mit sehr viel Potenzial. Budapest übrigens auch. Manche sind ganz klein, aber stechen irgendwie heraus. Manche neue wollen wir erst heranziehen, z. B. die Unis in der Moldau, da sind die Leute aus Belz/Bălți unglaublich aktiv. Von dort war schon eine ganze Schar in Regensburg und jetzt sind ganz viele hier.

 

Ergibt sich denn ein konkreter Nährwert aus dieser Vernetzung?

 

Ja, man kann einen benennen, denn einen gewissen ideologischen Hintergrund haben wir natürlich. Dass wir einfach, ohne aufdringlich „deutsch“ sein zu wollen, auf diese historisch nicht nur schlechte Rolle - wir wissen, wie schlecht die Deutschen historisch agiert haben in Europa – sondern auf die gute, verbindende Rolle über so viele Jahrhunderte zurückgreifen, die weiterhin besteht. Die zuweilen verdeckt worden ist, in kommunistischen Jahren tabuisiert wurde. Also, dass man dieses Gute wieder aufgreift und Deutsch als verbindende Sprache wieder aktiviert im östlichen Europa, so gut man es nur kann.

 

Geht es dabei um reine Wissenschaft - oder gibt es auch Produkte für die breite Öffentlichkeit?

 

Reine Wissenschaft geht gar nicht in diesem Zusammenhang. Wir arbeiten immer mit den regionalen und nationalen Organisationen der Deutschen zusammen. Hier z. B. mit dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR), das funktioniert perfekt. Da gibt es ein paar herausragende Leute, wie Erwin Țigla in Reschitza, deren Interesse es ist, dass das Thema ständig propagiert wird. In Ungarn läuft es auch gut, dort ist eine Riesenorganisation. Ob wir jetzt übermäßig zu deren Erhalt beitragen, weiß ich nicht… Aber wir versuchen immer, dass von denen welche dabei sind und dass auch nichtwissenschaftliches Publikum kommt. Eine Sensibilisierung des Themas findet sicher mit unserer Hilfe statt.

 

Gibt es positive Beispiele zu dem, was Sie bewirken konnten? Vielleicht auch vor dem Hintergrund kultureller Zusammenstöße?


Eines unserer Schwerpunktgebiete ist Bosnien und Herzegowina. Das ist ein sehr schwieriger Staat, der sich nicht vom Fleck bewegt, der sich ständig paralysiert, die drei Volksgruppen und zwei Entitäten gegenseitig. Doch wir haben tatsächlich letztes Jahr in Sarajewo eine Tagung gehabt, und das schöne Ergebnis ist, was ich mir und uns zugute halten kann, dass wir die Leute, die der Krieg auseinanderdividiert hat und die doch dieselbe Sprache sprechen, die gleiche Mentalität haben, zwangsbeglückt haben: Wir haben sie zur Konferenz gemeinsam eingeladen. Und sie haben sich alle gemeinsam unterhalten, wunderbar! Sie brauchen ja nicht einmal einen Dolmetscher, ob sie nun Serben, Kroaten oder Bosniaken sind. Die sind selber nicht zusammengekommen, es war praktisch keine Kooperation da. So haben wir wohl auch dazu beigetragen, dass 2018 der Bosnien-und-Herzegowina-Germanistenverband gegründet wurde. Das Faszinierende ist: Alleine ging das nicht, aber von außen konnten wir es bewegen.

 

Mit welchen Ländern kooperieren Sie?


Mit allen, die irgendeinen deutschen Bezug haben, eine deutsche Tradition. Es gibt fast überall eine deutsche Minderheit, sogar in Bosnien. Es gibt wenige Länder wie Montenegro, wo es nie eine deutsche Siedlung gab. Georgien hatte eine deutsche Siedlung und Armenien eine große Tradition des Deutsch-Gelehrtseins, in Eriwan gibt es seit Langem ein Deutsches Haus. Heute ist keiner von denen hier, aber wir planen, drei Länder – Georgien, Armenien und Aserbaidschan – zusammenzubringen. Aserbaidschan und Armenien verkehren nicht miteinander, die sind im Kriegszustand. Aber man kann sie nach Georgien einladen, nehme ich an. Wir haben den Vorteil, uns ein bisschen naiv geben zu können, es geht ja nicht um Politik - und so bringen wir viele Leute zusammen.

 

Was ist für Sie persönlich das spannendste Land, mit dem Sie zusammenarbeiten?


Die Republik Moldau ist ganz schön spannend, weil sie zwischen Westen und Osten in Europa steht, und das spürt man überall. Bosnien auch, aus denselben Gründen, aber auch deprimierend, weil sich nichts vom Fleck bewegt. Polen - sehr, sehr schwierig... Die Ukraine ist faszinierend, da tut sich viel. Das ist ein großes Land, das mit Vehemenz nach Westen in Richtung EU und NATO strebt, das spürt man. Wir haben übrigens eine große Ukraine-Initiative geplant: Wir wollen im Herbst eine große Konferenz in Lemberg machen, mit allen Teilen der ukrainischen Germanistik und Deutschlehrern, aber auch mit dem dortigen Verband der Deutschen in der Ukraine.

 

Gibt es in anderen Ländern Osteuropas deutsche Schulen und Studiengänge wie in Rumänien?


Ja, das gibt es in Ungarn. Die beiden großen Länder, in denen Deutsch wirklich gut dasteht, sind Rumänien und Ungarn.

 

Vielen Dank für die interessanten Ausführungen.