Vom Genuss der Abgeschiedenheit vom Elektronischen

Öko-Tourismus in dem kleinen Örtchen Reußdorf in Zentralsiebenbürgen

Der Flensburger Jonas Schäfer hat in Reußdorf/Cund mit Valea Verde ein kleines Urlaubsparadies für Gelegenheitsaussteiger geschaffen.

Die gepflegten Wiesen mit Kinderspielplätzen, Lagerfeuerplatz und Sportanlagen hinter den Häusern von Valea Verde werden intensiv genutzt.

Der ruinenreiche „Dorfplatz“ von Reußdorf: Von hier geht`s in ein Seitental in Richtung Valea Verde.

Ab Mittag und bis am frühen Nachmittag ist auf der Speiseterrasse von Valea Verde viel los. Sogar Altrocker Peter Maffay saß dort mit einer Entourage, als wir das Einsamkeitsidyll besuchten.
Fotos: Werner Kremm

Handy und Smartphone sind auch in Urlaubszeiten kaum mehr aus dem Alltag wegzudenken: Mit der richtigen App mal schnell checken, wo man die nächste Pizzeria findet, per MMS den Schnappschuss von gerade eben schnell an die Freunde zu Hause verschicken- viele wollen darauf auch in den Ferien nicht verzichten. Doch in  Reußdorf/Cund funktioniert das alles nicht. In dem kleinen siebenbürgischen Nest im Zentrum Rumäniens gibt’s kein Internet und so gut wie keinen Handyempfang. Dennoch hat  sich Cund, wie Reußdorf auf Rumänisch heißt, zu einem Treffpunkt für Touristen aus ganz Europa gemausert, die gerne auf das verzichten, was die meisten für unverzichtbar halten – nämlich auf  Internet und Handy. Hier ein paar Stimmen und Impressionen vom Urlauber-Aussteigerdorf.
Für die meisten, die in der  belebten Fußgängerzone im Hermannstadt einen Kaffee trinken, ist das Handyklingeln im Urlaub völlig normal. Statt auf die  sorgsam sanierten mittelalterlichen Häuserfassaden blicken sie auf ihre Smartphones. Doch es geht auch anders – gar nicht so weit weg. Ein junger Mann, Anfang 30, nimmt am Tisch Platz – und schickt genervte Handy-Opfer „am besten nach Cund, ein guter Tagesausflug. Reußdorf. Man muss schon sagen, wir sind in einer sehr glücklichen Lage. Die Gäste kommen von überall….“ Christian Cismaru kommt in kurzen Hosen und Polo-Shirt an den Tisch. Der junge Hermannstädter organisiert Öko-Tourismus in Siebenbürgen. Das kleine Dörfchen Reußdorf, das auf Rumänisch Cund und auf Ungarisch Kund heißt, ist sein Lieblingsbeispiel für naturnahes Reisen. Man könnte das auch Aussteiger-Urlaub nennen.

„Die beste Sache ist eigentlich die Abgelegenheit des Ortes. Es gibt keinen Handy-Empfang. Und es gibt keine Möglichkeit, ans Internet ranzugehen.“ Schon die Autofahrt nach Reußdorf ist ein Abenteuer: Die mit reichlich Schlaglöchern gepflasterte Straße wechselt sich ab mit unwegsamen Kies- und Schotterpisten.  Die rund zweistündige Anfahrt aus Richtung Hermannstadt wird zur gefühlten Ewigkeit. Nicht einmal alle Wegweiser stimmen. Oder sie fehlen gänzlich. Und das Navi streikt lieber.
Dann endlich: nachdem das angerostete Schild ‚Cund/Kund‘ aufgetaucht ist, heißt es, an der alten, ungepflegten Dorfkirche am besten das Auto stehen lassen und zu Fuß weiterlaufen, auf einem Kiesweg. Hinter einer Kurve taucht plötzlich ein Holzgebäude auf, eine Art Farm. Valea Verde. Auf der Terrasse sitzen gut zwei Dutzend Besucher. „Insofern ist das schon eine tolle Sache: Als ich hier reinkam, habe ich gedacht. Okay, unerreichbar – super-gut!“ Michael Weiss erweckt einen durch und durch erholten Eindruck: Der grauhaarige, vital wirkende Endfünfziger aus Deutschland – er ist einer der vielen ausgewanderten Siebenbürger Sachsen – blickt von der Terrasse auf die saftig grünen Hänge gegenüber.

Dass er von hier aus, abgesehen von drei privaten Festnetztelefonen im ganzen 192-Seelen-Dorf,  weder telefonieren noch im Internet surfen kann, genießt er in vollen Zügen.  „Wenn man nicht entkoppelt ist von dieser medialen, digitalen Welt, sag´ ich mal, kann man sich nicht entspannen. Wenn das Telefon ständig klingelt oder man ständig irgendwelche E-Mails lesen muss, das ist nichts. Man braucht mal den einen oder anderen Moment, um Ruhe zu finden.“
Anna Mitea, Anfang 30, wurde in Siebenbürgen in einer deutsch-rumänischen Mischehe geboren, lebt aber seit Jahrzehnten in Wien. Die langen schwarzen Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden kam sie, lässig gekleidet in Shorts und Sportschuhen, für ein paar Tage nach Reußdorf.
„Das ist ein Segen. Man kommt aus einer informationsüberfluteten Umgebung. Und ich habe mich sehr gesehnt danach, aus dem Büro zu flüchten und hierher zu kommen, um einfach Ruhe zu haben und auch die Möglichkeit, ein bisschen Pause einzulegen.“

Doch nicht alle auf der kleinen Terrasse sind darüber glücklich. Der Engländer  Roy Tucker, ein hagerer, dürrer Mann Anfang 70, blickt ziemlich missmutig auf seine beiden Smartphones auf dem Tisch, die einfach nicht klingeln wollen. Seine Frau habe ihn in ihrer Naturverbundenheit nach Reußdorf mitgenommen. Doch Roy Tucker hat für die elektronische Abgeschiedenheit nichts übrig.
„Also ich ganz persönlich hab’s schon gerne, wenn ich mit meinem Handy telefonieren oder schnell eine E-Mail verschicken kann. Und man kann ganz generell sagen: Die Internet-Verbindungen in Rumänien sind besser als bei uns zu Hause, in England. Nur in diesem speziellen Ort hier funktioniert das gar nicht gut: Kein Signal weit und breit, außer in einem winzigen Streifen, den als Geheimtipp erfährt, wer es überhaupt nicht lassen kann – wie ich. Ich hoffe, die strengen sich bald an, um einen besseren  Handy-Empfang hinzukriegen.“ Doch die Reußdorfer denken gar nicht daran. Und der Flensburger Jonas Schäfer fühlt sich schon als Reußdorfer. Schließlich lebt er schon seit ein paar Jahren im Ort. In seiner eleganten weißen Kochjacke wirkt der stämmige Enddreissiger wie ein Sternekoch eines Gourmet-Tempels. Vor Jahren brachten er und sein Vater Hilfslieferungen nach Rumänien. Irgendwann beschlossen Jonas Schäfer und seine Frau, genau dort etwas Neues aufzubauen, wo die Abgeschiedenheit zum Programm werden kann: in Reußdorf. Und sie schufen Valea Verde, das Grüne Tal. „Ich bin Smartphone-Besitzer und ein alter Get-it-Freak. So, ich habe immer die neuesten Telefone gehabt, habe das auch nach wie vor. Aber es ist ein wahnsinniges Privileg, wenn ich das Handy nur dann anmache, wenn ich diesen Ort verlasse und bin dann überrascht, wie viele Anrufe ich selbst dann noch bekomme, obwohl mich Menschen teilweise über Wochen und Monate nicht auf dem Handy erreichen und dabei auch ganz verzweifelt sind.“

Dann verfällt Jonas Schäfer in eine Art Flüsterton.  Mit leiser Stimme beichtet er:  Auch auf seiner  Farm in Reussdorf gebe es einen Internet-Hotspot. Davon wüssten aber nur wenige. „Ich habe natürlich noch ein hohes Kommunikationsaufkommen, weil wir auch noch ein Geschäft zu führen haben. Da heißt also: Natürlich schreibe ich viele E-Mails, und selbstverständlich pflege ich eine Website. Doch der andere Lebensrhythmus ist ganz entscheidend für uns.“ Wo sich Schäfers Hot-Spot genau befindet, mit welchem Passwort man hineinkommt – das bleibt für die allermeisten in Reußdorf ein gut gehütetes Geheimnis. Die einheimischen Kinder, die auf der Straße spielen, wachsen deshalb noch so auf wie ihre Groß- und Urgroßeltern: Ohne Kontakt zum World Wide Web. So etwas gibt es tatsächlich noch –  mitten in Europa, im siebenbürgischen Reußdorf. Auch mal „Reussdorf“ geschrieben...