Von Abelsberg bis Zoltán, dazwischen Brediceanu, Cosma, Roth

Im neuen Lexikon der Temescher Anwaltschaft geblättert

Von dem 1885 im heute serbischen Plankenburg/Baka Palanka geborenen und 1969 in Temeswar/Timişoara gestorbenen Alfred Abelsberg bis hin zu dem 1879 in Ungarn geborenen und hauptsächlich im Banater Bergland tätigen Miksa Zoltán reicht die mehrere hundert Einträge zählende Liste der Banater, insbesondere der Temescher Anwaltschaft, die der sich heute in Ruhestand befindende Temeswarer Anwalt Lazăr Gruneanţu zusammengetragen hat. Sein vor Kurzem im Temeswarer Artpress-Verlag erschienenes Lexikon der Anwälte der Temescher Anwaltskammer, „Avocaţii Baroului Timiş. 1875 – 2015: lexicon”, ist ein im Vorhaben und Umfang einzigartiges Werk, das die von Gruneanţu seit mehreren Jahren erforschte Geschichte der Anwaltschaft im Banat auf besondere Art und Weise vervollständigt.

Gruneanţu, 2004 bis 2012 Dekan der Anwaltskammer Temesch, ein in Zorlenţu Mare bei Karansebesch/Caransebeş geborener Banater Rumäne, hatte sich schon vor etlichen Jahren der Geschichte des Banats und insbesondere der Banater Justiz verschrieben und mit besonderer Akribie in den Archiven der Temeswarer Gerichte und der Anwaltskammer nachgeforscht, aber auch in jenen von Pantschowa/Pancevo im serbischen Banat, von Szeged und Subotica, von Karansebesch und selbstverständlich im Temeswarer Nationalarchiv sowie in den Archiven des orthodoxen Erzbistums. Wertvolle Informationen lieferten ihm ferner der Verband der Anwaltskammern Rumäniens in Bukarest und die Landesrentenkasse der Anwälte Rumäniens. Bereits 2013 legte der forschungsbegeisterte Gruneanţu eine Geschichte der Temescher Anwaltskammer vor („Istoria Baroului Timiş”, Mirton-Verlag, Temeswar, 2013), folgerichtig rundet nun der in Temeswar allseits bekannte Anwalt sein Werk mit dem vorliegenden Lexikon ab.

In seinem Vorwort präsentiert der Autor die Geschichte der Anwaltschaft im Banat seit dem ungarischen Gesetz Nr. 34 aus dem Jahre 1874, aufgrund dessen ein Jahr später in Temeswar eine Anwaltskammer gegründet wurde, die Vorläuferin des heutigen „Baroul Timiş”. Mit der Leidenschaft des Hobbyhistorikers erläutert Lazăr Gruneanţu die Umgestaltung der Justiz und der Anwaltschaft nach 1920, die Anpassung der berufstätigen Anwälte ungarischer, deutscher, jüdischer oder serbischer Herkunft und österreichisch-ungarischer Ausbildung an das rumänische Rechtssystem, sodann den Ausschluss der jüdischen Advokaten aus dem Berufsstand durch die antisemitische Gesetzgebung während der Diktatur Ion Antonescus und den Ausschluss 1945 all jener, die sich der Hitler-Propaganda schuldig gemacht hatten, die Entnazifizierung des Berufsstands und die kommunistische Terrorwelle.

An so mancher Kurzbiografie, die Gruneanţu verfasst, lässt sich die wechselhafte, zuweilen tragische Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts leicht darstellen. Es sind Männer, die, des Öfteren aus ärmlichen Verhältnissen kommend, es weit gebracht haben: Sie studierten in Budapest, Wien, Graz oder Berlin, sie promovierten in Leipzig oder Graz, sie übten ihren Beruf nicht nur in Temeswar aus, manchmal sogar in Fiume/Rijeka an der Adria, als königlich-ungarische Notare, ließen sich dann im Banat nieder, waren drei- oder viersprachig, passten sich nach 1920 an die neuen Gegebenheiten an und brachten es weit im aufblühenden Temeswar. Sie waren angesehene Bürger der Stadt, manchmal Bankdirektoren, saßen in Verwaltungsräten, vertraten namhafte Unternehmen, nahmen am Tagesgeschehen regen Anteil. Bis sie dann ausgeschlossen, deportiert, umgebracht wurden, in deutschen KZs oder, später, in den Gefängnissen des Kommunismus. Die Überlebenden schreiben als betagte Herren Anträge am laufendem Band: auf Wiederaufnahme in die Anwaltschaft, auf Auszahlung einer Pension, auf Anrechnung der Arbeitsjahre. Meist werden die Anträge zurückgewiesen, des Öfteren mit der manchmal sogar expliziten Begründung, die ein ehemaliger, stets von guten Absichten beseelter Kollege liefert: Der Bittsteller halte nichts von der Arbeiterklasse und außerdem habe seine Ehefrau 7 Hektar Weingarten geerbt.

Insofern ist das Lexikon, das Anwalt Lazăr Gruneanţu zusammengestellt hat, ein Stück Banater und rumänischer Nachkriegsgeschichte. Mit all ihren Wirren, mit all den Emporkömmlingen und Wendehälsen. Gruneanţu beschränkt sich selbstverständlich auf harte Fakten: Geburtsdatum, Studienjahre und -orte, berufliche Laufbahn, Ruhestand, Tod. Aber zwischen den Zeilen blickt die Geschichte durch. Die große Geschichte, die sich im Kleinen auswirkt. Für einige, die in Temeswar und im Banat den Anwaltsberuf ausgeübt haben, konnte der Autor nur spärliche Informationen finden, für so manche überhaupt keine. Viel Archivmaterial ist verschwunden, manche Dokumente nahm die ungarische Verwaltung in den Jahren 1918 – 1920 mit nach Ungarn, brisante Papiere wurden in den Schicksalsstunden der 1940er oder 1950er zerstört und kurz nach der Wende verrotteten zahlreiche Personalakten der Temeswarer Anwälte von früher in den Archiven des Kreisgerichts, bis ein Teil davon in das neue Archiv der seit 1995 aufgrund einer zeitgemäßen Gesetzgebung funktionierenden Temescher Anwaltskammer hinübergebracht werden konnte.

Unter den Anwälten, die in der Zwischenkriegszeit in Temeswar gearbeitet haben, befinden sich so manche Berühmtheiten, zum Beispiel Otto Roth (1884 - 1956), der Verfechter der Banater Republik von 1919, oder Aurel Cosma (1867 - 1931), der erste rumänische Präfekt des Kreises Temesch (1919 - 1920), sodann auch erster rumänischer Dekan der Temeswarer Anwaltskammer. Und selbstverständlich die Lugoscher Legenden: Coriolan Brediceanu (1850 - 1909) und sein Sohn, der Anwalt, Politiker und Diplomat Caius Brediceanu (1879 - 1953). Oder der Temeswarer Bürgermeister, Präfekt und Unterstaatssekretär Coriolan Băran (1896 - 1979), eine herausragende Persönlichkeit, deren Memoiren von besonderem Wert für die Temeswarer und Banater Geschichte der Zwischenkriegszeit sind. Băran erging es schlecht, 1948 wurde er aus der Anwaltskammer ausgeschlossen, er wurde mehrmals verhaftet und musste seinen Lebensunterhalt als unqualifizierter Arbeiter bestreiten. Der Oberste Gerichtshof schlussfolgerte 1994, dass sich Băran keiner Tat gegen die Arbeiterklasse schuldig gemacht und dass er seine politischen Ämter nicht missbraucht hatte und hob die Urteile der kommunistischen Gerichte aus dem Jahre 1956 auf. Eine späte Wiedergutmachung, aber immerhin eine.

Hervorzuheben ist die Hartnäckigkeit, die der Autor an den Tag gelegt hat, er hat nach Fotos gesucht, hat verstaubte Dossiers herausgeholt, hat Verwandte, Enkel und Urenkel aufgetrieben, er hat Leute angeschrieben, sie ausgefragt, hat alte Bilder verglichen und Informationen überprüft, selbst in Zeitungskollektionen, in Jahrbüchern, in den Annalen der Gerichte oder des Justizministeriums. Ein knapp 580 Seiten starkes Buch ist dabei entstanden, inklusive den äußerst willkommenen Übersichtstabellen und dem Bildmaterial. Dass der Mann seinen Beruf liebt, dass er ihn mit großer Freude ausgeübt hat, dass er mit seinem Lexikon eine Hommage an den Berufsverteidiger beabsichtigt hat, steht außer Zweifel. Aber sein Lexikon der Temescher Anwaltschaft ist als doppelte Hommage zu verstehen, erstens an den Anwaltsberuf und zweitens an das Banat.

Überhaupt ist die Veröffentlichung auch als ein Zeugnis des multinationalen, vielsprachigen Banats zu verstehen, ein Zeugnis einer vergangenen Zeit. Man schaue sich einen einzigen Buchstaben an, beispielsweise B: Baar, Bachusz, Bacso, Balász, Bally, Balogh, Bárdossy, Basch, Beck, Behavetz, Berg, Berger, Blaschuty, Blickling, Bock, Böhm, Böss, Braun, Breier, Brück, Bückl, Buding, Bukovetz, Bürg, Bürger, Butta. Hinzu gesellen sich die Herren und Damen Baboş, Baciu, Badea, Baicu, Balaci, Baltă, Bandu, Barboni, Barna, Băcilă, Bădescu, Bălan, Bălănescu, Băleanu, Bărbulescu, Bâcă, Bejan, Beligăr, Belu, Benea usw. Es ist das Banat im Kleinen, das untergegangene Banat. Es lebt fort auch dank des Lexikons von Lazăr Gruneanţu.