„Von den Menschen kann man sehr viel lernen“

ADZ-Gespräch mit dem Vorsitzenden der AMG-Stiftung, Helmut Weinschrott

Helmut Weinschrott und die ehemalige bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm beim Oktoberfest im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus. Das Fest wird alle zwei Jahre veranstaltet. Helmut Weinschrott ist seit 28 Jahren im Sozialbereich tätig. Die Einrichtungen, die er verwaltet, haben sich zu Vorzeigeprojekten entwickelt.

Der aus Bakowa stammende Helmut Weinschrott hat seit ihrer Gründung 1994 den Vorsitz der Adam-Müller-Guttenbrunn-Stiftung inne.

Das Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus liegt im Zentrum von Temeswar. Hier befinden sich das Altenheim und der Sitz des Deutschen Forums.
Fotos: Zoltán Pázmány

Für Helmut Weinschrott (69) sind die Sozialprojekte der Adam-Müller-Guttenbrunn-Stiftung sein Lebenswerk. Es war Ostern 1990, als der Grundstein des Altenheims in Bakowa gelegt wurde, erinnert sich der Stiftungsvorsitzende. „Bakowa war das Lehrlingsstück, Sanktanna das Gesellenstück und Temeswar das Meisterstück“, sagt er. Inzwischen haben sich alle Einrichtungen der AMG-Stiftung im Banat zu Vorzeigeprojekten entwickelt. Vor genau 28 Jahren ist also Helmut Weinschrott in den Sozialbereich eingestiegen und seitdem am Ball geblieben. Sein langjähriger Einsatz lässt sich zeigen. Im Gespräch mit ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu erzählt Helmut Weinschrott unter anderem, welches die aktuellen Herausforderungen in der Altenpflege sind und welche Genugtuung die Arbeit als Heimleiter birgt.

Welche Projekte betreut die Adam-Müller-Guttenbrunn-Stiftung zurzeit im Banat?

Die Adam-Müller-Guttenbrunn-Stiftung umfasst fünf Einrichtungen. Diese sind in Bakowa, Sanktanna/Sântana, Temeswar/Timișoara, Billed und Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare angesiedelt. Es handelt sich um drei Altenheime in den drei erstgenannten Ortschaften und zwei Sozialstationen in Billed und Großsanktnikolaus. In den Altenheimen haben wir insgesamt 137 stationäre Plätze. In den Sozialstationen bieten wir Heimpflege und Essen auf Rädern. Essen auf Rädern stellen wir praktisch in all diesen Ortschaften den interessierten Senioren zur Verfügung. Wenn ich das ausrechnen würde, so könnte ich sagen, wir betreuen etwa 450 Personen täglich.

Wie finanzieren sich diese Sozialprojekte?

Die Finanzierung wird aus drei Quellen gesichert. In erster Linie sind es die Beiträge der Heimbewohner – 80 Prozent der Rente, unabhängig davon, wie groß die Rente ist. Es sei denn, die Rente ist so klein, dass ihnen nicht 25 Euro monatlich als Taschengeld bleiben… Diese Mittel stellen 35 Prozent der Gesamtkosten dar. Dann haben wir die Subventionen vom rumänischen Staat, die nähern sich in etwa zehn Prozent der Gesamtkosten. Wir bekommen vom rumänischen Staat 250 Lei pro betreute Person im Monat. Den Rest und somit den Großteil der Mittel sichert die deutsche Bundesregierung.

Gehören auch Spenden zu ihren Finanzquellen?

Die Spendenfreudigkeit der Anfangsjahre ist leider vorüber. Spenden kommen ganz selten und es ist praktisch recht unbedeutend, was an Spenden eingeht.

Wer sind die Betreuten aus den Altenheimen, die Sie verwalten?

Es gibt mehrere Aufnahmebedingungen, die die Betreuten erfüllen müssen. Erstens müssen sie sich in Altersrente befinden. In zweiter Linie wollen wir uns um jene Leute kümmern, die niemanden mehr haben und die isoliert irgendwo in den Ortschaften leben. Priorität haben ehemalige Russland- und Bărăgan-Deportierte. Wir stellen auch das Beherrschen der deutschen Sprache als Bedingung, soweit das möglich ist. Mehr als 90 Prozent der Menschen, die in unseren Heimen leben, haben einen Bezug zur deutschen Sprache.

Verschiedene Tätigkeiten wie Turnstunden oder Kaffeenachmittage werden den Temeswarer Heimbewohnern angeboten. Trotz des abwechslungsreichen Alltags in Altenheimen wie beispielsweise im AMG-Altenheim ist die Einstellung der Bürger Rumäniens diesen Einrichtungen gegenüber keine positive. Wie gehen Sie als Heimleiter damit um?


Das ist eine gute Frage. Es hat sich leider nicht viel geändert. Die Leute wollen in ihrer gewohnten Umgebung bleiben, d. h. in ihrem Haus. Wir haben über 300 Anträge, von denen ist aber ein Großteil von Menschen, die zu uns kommen, den Antrag stellen und sagen: „Ich komme, wenn ich nicht mehr kann“. Ich versuche, die Leute zu überzeugen, dass das nicht die richtige Einstellung ist. Wie Sie schon vorhin sagten: Wir bieten den Leuten sehr viel. Wer zu uns kommt, der hat den Herrgott an der großen Zehe erwischt. Und die Leute wollen trotzdem nicht kommen. Wenn sie dann kommen, dann kommen sie im letzten Lebensabschnitt und wir sind womöglich überfordert, weil wir ja nicht als Krankenpflege-, sondern als Altenheim ausgestattet sind. Diejenigen, die rechtzeitig kommen, die können einen wunderbaren Lebensabend bei uns genießen.

Wie viel Zeit verbringen die Menschen im Altenheim?

Das ist auch verschieden. Wir haben sehr viele, die über 10-15 Jahre hier bleiben. Wir hatten unlängst einen Todesfall, bei dem es sich um einen Menschen handelte, der seit Beginn, also seit 1994 im Altenheim in Temeswar gelebt hat. Diese Leute haben es immer wieder betont: „Wenn wir nicht hergekommen wären, wären wir längst gestorben“.

Was bietet eigentlich das Altenheim in Temeswar seinen Bewohnern?

Einmal die Unterkunft und Verpflegung. Dreimal in der Woche werden in unserer Kapelle Gottesdienste abgehalten, dann gibt es die Turnstunden und zweimal in der Woche organisieren wir Kaffeenachmittage. Die Tür zum Deutschen Forum, wo die verschiedensten Veranstaltungen stattfinden, ist immer offen. In unmittelbarer Nähe befindet sich der Botanische Garten und es gibt einen direkten Zugang dazu. Wer wirklich in die Kirche gehen möchte, der kann in den Dom, der ganz in der Nähe liegt, gehen. Der 700er Marktplatz befindet sich auch in der Nähe. Wir liegen ja mitten in der Stadt.

In einem großen Altenheim muss auch viel Personal beschäftigt werden. Wie schwer ist es für Sie, Fachpersonal zu finden?

Es ist ganz schwer, weil wir nicht die Summen bezahlen können, die die Leute im Ausland verdienen. Das ist schon ein Problem. Die geschulten oder eingelernten Leute aus unseren Einrichtungen, die auch noch Deutsch können, die sind schnell weg. Wir hatten in den letzten zwei Jahren etwa 15 Abgänge. Wir mussten also 15 neue Leute einlernen. Es gibt keine Altenpflegeschule in Temeswar, nur diese Kurse, wo man nur das Theoretische mitbekommt, aber das eigentliche Praktikum findet hier im Haus statt. Und wenn die Leute schon etwas können, dann sind sie weg.

Was kann man dagegen tun?

Nur wenn der Lohn stimmt, bleiben sie. Und da werden wir uns niemals mit Deutschland, Österreich oder Italien vergleichen können.

Wie viele Mitarbeiter sind in all den fünf Projekten beschäftigt?

Wir haben zurzeit 74 Mitarbeiter. In Temeswar gibt es die meisten – mehr als 40.

Sie haben die Russlanddeportierten erwähnt, die ebenfalls zu den Betreuten gehören. Sie selbst sind 1949 in der ehemaligen Sowjetunion zur Welt gekommen, da Ihre Eltern deportiert waren. Wie war es denn für Sie, mit diesen Menschen zu arbeiten?

Ich kann diese Leute nur bewundern. Was sie im Leben alles miterlebt haben… Es gibt solche, die in Russland und im Bărăgan verschleppt waren. Und es gibt sogar Männer, die auch noch den Krieg mitgemacht haben. Da muss man schon Respekt vor diesen Leuten haben.

Sie arbeiten mit den Menschen und für die Menschen. Was ist das Schwierigste daran?

Schwierig ist alles. Das sind erwachsene Leute und keine kleinen Kinder. Das sind erfahrene Leute mit Vorstellungen, die man nicht immer erfüllen kann. Die Überzeugungsarbeit ist eine sehr schwierige Arbeit. Aber es sind auch viele interessante Begegnungen und Begebenheiten, die sich im Laufe des Tages ereignen. Von den Menschen kann man sehr viel lernen. Dafür muss man aber stets offen sein. Es ist eine sehr intensive psychische Belastung, die manchmal den Alltag prägt.

Seit 28 Jahren sind Sie in diesem Bereich tätig und suchen zurzeit nach einem Assistenten. Heißt das, dass Sie eventuell daran denken, sich zurückziehen?

Es ist eine sehr abwechslungsreiche Tätigkeit. Kein Tag ist wie der andere. Man meint es, aber es ist nicht so, denn es sind Menschen, mit denen man arbeitet, und keine Maschinen, die man programmieren kann. Man muss auf ihre Bedürfnisse eingehen. Es sind nicht nur die verstrichenen 28 Jahre, sondern man kommt auch in das Alter, wo man fühlt, dass man irgendwann mal Schluss machen muss und das ist bei mir nicht mehr weit.

Welche Anforderungen haben Sie an die(den) künftige(n) Assistentin(Assistenten)?

In erster Linie müsste sie/er Kenntnisse aus dem sozialen Bereich mitbringen, die ich 1990 nicht hatte und die ich erlernen musste. Er/Sie muss die deutsche Sprache beherrschen, da die Finanzierung aus Deutschland kommt und auch die Umgangssprache bei uns im Haus die deutsche Sprache ist. Als Drittes muss sie/er wirtschaftliche Erfahrung haben, was nicht sehr einfach ist. Außerdem muss man für diesen Job viel Zeit mitbringen. Wenn die Familie nicht mitspielt und einen nicht unterstützt, dann funktioniert es nicht. Wenn meine Frau in all diesen Jahren nicht dabei gewesen wäre, hätte ich das bestimmt nicht machen können.