Von Quoten zu „Likes“

Wie das Internet das Fernsehen verdrängt

Symbolbild: sxc.hu

Wenn auf Youtube das Jahr zurückgespult wird, entstehen kuriose Videocollagen, bestehend aus schrägen Musikclips, durchgedrehten Sketches, skurrilen Werbungen und Videotagebüchern von Alltagsmenschen, die eigentlich nicht der Rede wert sind. Sie sind immer witzig, voller Gefühl und – was besonders wichtig ist – so überaus menschlich. Eine Mischung aus gekünsteltem Fernsehschmalz und Näher-am-Leben-dran-Dokumentation. Und kaum ein Ausschnitt wird von einem der vielen Youtube-Zuschauer nicht erkannt. Denn die ganze Welt hat die populären Clips gesehen oder zumindest der Teil der Welt, der über einen Internetzugang verfügt.

Dabei sind diese Collagen, die inzwischen auf Youtube eine feste Tradition geworden sind, nur ein Best Of der meist angeklickten und meist angeschauten Videos auf der Video-Plattform. Hinter dem großen Spektakel verbergen sich im Grunde nur Zahlen, nur Statistiken. Lied X wird als Hintergrundmusik verwendet, weil es sich über 100 Millionen Menschen angehört haben, der Videoblogger Y darf durchs Bild hopsen, weil sein Videokanal die meisten Abonnenten besitzt und ein schwedischer Autohersteller stiehlt der Konkurrenz die Show, weil ein abgehalfterter Actionstar aus Belgien einen Spagat zwischen zwei seiner Lastwagen macht. Die sensationellen Videos landen dann schnell in den sozialen Netzwerken, Links werden unter Freunden zugeschickt. Und genauso schnell entsteht das, was man heutzutage ein „Internetphänomen“ nennt.

So hat der bekannte Video-Blogger Shay Carl inzwischen zwei Millionen Abonnenten, die sich täglich auf Youtube seine kurzen Filme anschauen. Darin geht es um nichts anderes, als sein Leben und das seiner Familie. Genau wie in der Filmkomödie „EDtv“ von Ron Howard verfolgen Millionen von Menschen Carls Leben täglich. Der Komiker und Musiker Peter Shukoff sowie der Schauspieler Lloyd Ahlquist haben mit ihren gestellten Rap-Battles das Internet erobert. Die beiden schlüpfen in die Rollen bekannter Persönlichkeiten sowie fiktiver Gestalten und lassen sie gegeneinander in einem Rap-Duell antreten. Die Zuschauer entscheiden über Twitter, welcher der Kontrahenten in den jeweiligen Videos gewinnt. Inzwischen läuft auf Youtube die dritte Staffel der überaus beliebten Serie, die ausschließlich im Internet zu sehen ist.

Die Zeiten, in denen gewöhnliche Menschen mit minimalen Mitteln Filme für Youtube produzieren, sind zwar nicht vorbei, aber sie müssen zunehmend mit professionellen Produktionen konkurrieren, die fast genauso aufwendig gemacht sind, wie Fernsehproduktionen. Denn es findet eine Migration statt. Immer mehr junge Menschen verzichten auf Fernsehen und suchen nach einem Ersatz im World Wide Web. Statt stupide Reality-Sendungen wie „Frauentausch“, dann doch lieber Shay Carls Video-Blogs. Denn Carls Familie ist sympathischer und authentischer, näher am Leben dran, einer von uns sozusagen. Aber auch die zahlreichen Do-it-yourself-Videos, die filmischen Gebrauchsanleitung und Schnellkurse machen Youtube und ähnliche Plattformen attraktiver als die gute alte Mattscheibe. Wer nicht weiß, wie man eine Krawatte bindet oder eine Waschmaschine bedient, findet bestimmt ein passendes Video dazu. Auch in Rumänien ist dieser Trend angekommen. Immer mehr junge Studentenprojekte versuchen, sich auf Youtube zu etablieren. Animationsserien wie Robotzi oder Kurzfilme schaffen es schnell und leicht ins Internet.

Über die Qualität der jeweiligen Angebote kann man sich streiten. Der Erfolg hängt ohnehin vom Publikum ab, der jedes Video kommentieren und bewerten kann. So schafft es ein Künstler wie Justin Bieber, das meist geschaute Video auf Youtube zu besitzen, doch wirklich beliebt ist der Sänger kaum, wenn man sich die spärlichen „Likes“ so anschaut. Auch die Jugendliche Rebecca Black musste schnell erfahren, wie hart Showbusiness sein kann. Ihre Eltern hatten eine Produktionsfirma angeheuert, die ihr ein Lied komponierten und dazu ein Musikvideo produzierten. Der Song „Friday“ wurde eines der meist angeklickten und weitergeleiteten Videos vor zwei Jahren, jedoch hatten Internetuser kaum löbliche Worte für die junge Sängerin. Der dümmliche Liedtext machte sie zur Lachnummer.
Video-Plattformen wie Youtube und Vimeo verdrängen allmählich das Fernsehen. Als der bekannte Musiksender MTV Anfang der 1980er Jahre auf Sendung ging, wurde das Lied „Video Killed the Radio Star“ ausgestrahlt – ein schlechtes Omen für ein Medium, das wegen einem anderen einen Großteil seines Publikums verlor. 30 Jahre später bräuchte man ein neues Lied, eins, das alle daran erinnert, dass Fernsehen zwar nicht untergeht, aber allmählich die zweite Geige spielt.