Von Temeswar nach München und... eventuell zurück

Rumänisch-deutsches Doppeldiplom eröffnet Studien- und Berufschancen für angehende Bauingenieure

Anca Băra

Für Mihai Petrov geht es hoch hinaus, wenn er auf der Baustelle ist. Foto: privat

Der Alumni-Verein organisierte zusammen mit den Professoren an der TU München 2018 ein Abschiedsfest zum Ausstand von Prof. Dipl. Ing. Radu Băncilă. Ein Ausflug auf die Zugspitze gehörte auch zum Programm. Foto: privat

„Ich habe letzte Woche meine Masterarbeit eingereicht und bin sehr glücklich, dass ich es geschafft habe, den Masterstudiengang an der TU München bald abzuschließen. Insgesamt waren es sechs wundervolle Jahre voller Vorlesungen und Projekte, strebsamer Mitstudenten und unvergesslicher Erlebnisse mit meiner Familie in den Ferien. Geotechnik, Massivbau, Bauwerkserhaltung und Querschnittvertiefung Stahlbau und Tunnelbau waren die Schwerpunkte im Master”, so beginnt Anca Băra ihr Dankschreiben an Prof. Dr. Radu Băncilă, den vormaligen Leiter der deutschen Abteilung für Bauwissenschaften an der Polytechnischen Universität Temeswar (UPT). Die gebürtige Karlsburgerin war mit dem Berufsalltag eines Bauingenieurs dank ihres Vaters und anderer Familienmitglieder schon vertraut, die deutsche Sprache lernte sie doch erst parallel zum Studium in Temeswar/Timișoara am Deutschen Kulturzentrum. 

Die Aussicht, ins Doppeldiplom-Programm aufgenommen zu werden und mittels Vollstipendium ihre Ausbildung an einer deutschen Hochschule abzuschließen, motivierte sie, gute Leistungen an den Tag zu legen. Deshalb konnte Anca nach dem erfolgreichen Bachelor auch einen Masterstudiengang in Deutschland absolvieren und wurde dabei, ebenso wie im Grundstudium, vom Bayerischen Bauindustrieverband finanziell unterstützt. Die Absolventin lobt ihr Grundstudium an den beiden Partneruniversitäten durch das umfangreiche Angebot an verschiedenen Kursen und die Chance, auch wenn das Studium relativ lang ist, dies an zwei Orten durchführen zu können, aber auch, dass die Noten und Abschlüsse gegenseitig anerkannt werden. Die ersten drei Semester hat sie in Temeswar studiert, die darauffolgenden vier in München. 2018 beendete sie es mit Doppeldiplom und begann noch im selben Jahr den Master in München. Bauwesen ist ihrer Erfahrung nach längst kein Männerberuf mehr, wenn auch weniger Frauen direkt auf einer Baustelle anzutreffen sind. Dafür sind umso mehr in den Büros mit der Ausführungsplanung beschäftigt oder generell in Planungstätigkeiten involviert. Ancas Traumberuf wäre, in der Konstuktionsabteilung zu arbeiten, um sich kreativ in die Planung von Bauprojekten einbringen zu können, damit sie nach deren Bau auch die Ergebnisse sehen kann.

Dasselbe begeistert auch den 30-jährigen Alexandru Maier, dessen akademischer Werdegang durch den Besuch der deutschen Nikolaus-Lenau-Schule in Temeswar und des gleichnamigen Kindergartens davor einen sprachlich leichteren Start hatte als der von Anca. Es ist für ihn eine Leidenschaft, Baupläne in die Realität umgesetzt werden zu sehen. Das Studium selbst übertraf seine Erwartungen: „Die internationalen Beziehungen, welche diese Abteilung pflegt und welche Prof. Băncilă ins Leben gerufen hat, sind einzigartig in Rumänien. Dazu zählen nebst der Partnerschaft zur TU München, von deren Doppeldiplom-Programm ich profitieren konnte, jene zur polytechnischen Universität in Istanbul, zur Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, eine der anerkanntesten Universitäten für Ingenieurswissenschaften, ferner zur Hochschule in Konstanz und zur TU Graz. Diese internationale Vernetzung hat uns insbesondere durch Studentenaustausch und interdisziplinäre Projektgruppen geholfen, über den Tellerrand hinaus zu denken und zu merken, was für einen starken Einfluss unsere Branche weltweit hat“. Auch Alexandru machte anschließend an den Doppeldiplom-Bachelor einen Master an der TU München und wählte die Vertiefungsrichtungen Bauprojektmanagement, Baurecht, Bauphysik für Massivbau und nachhaltiges Bauen. Als Vorteile des Doppeldiploms sieht er jedoch weit mehr als nur die Möglichkeit des Masters an einer deutschen Universität: Man habe die Chance, zwei doch recht verschiedene akademische Systeme kennenzulernen, werde dadurch flexibler und auch die interkulturelle Menschenkenntnis werde immens gefördert. Potenzielle Arbeitgeber oder Geschäftspartner würden diese Doppeldiplom-Absolventen als besser vorbereitet wahrnehmen, fügt Alexandru Maier hinzu. Er war als Werkstudent angestellt worden und bekam dann als Bauprojektmanager nach dem Masterabschluss eine feste Stelle. Inzwischen ist er für eine britische Beratungsgesellschaft für europäische Großprojekte tätig. Trotzdem setzt er sich als mittelfristiges Ziel, sein Wissen und die bisherige Erfahrung im Organisieren von Bauprojekten und von städtebaulichen Maßnahmen in Rumänien einbringen zu können, also in Bälde im Banat eine entsprechende Stelle zu besetzen. 

Um die Absolventen des Doppeldiplom-Programms der Temeswarer Fakultät für Bauingenieurwesen und der TU München hat sich im Laufe der Jahre eine eng vernetzte Gemeinschaft an hoch qualifizierten Berufstätigen gebildet. Die Alumni gründeten sogar den „Verein für die Unterstützung der am Berufsanfang stehenden Bauingenieure Prof. Dr.-Ing. Radu Bancila e.V.”. Sinn und Zweck des Münchner Vereins ist zum einen die Vernetzung der Alumni, aber eben auch, den fachlichen, interkulturellen und interdisziplinären Austausch mit den neuen Studenten aus Temeswar zu fördern. Die wichtige Rolle, die der Gründer der deutschen Abteilung für Bauingenieurwesen am Polytechnikum in Temeswar in der Begleitung der Studenten bei den internationalen Austauschprogrammen hatte, wobei er manchen sogar als Mentor zur Seite gestanden war, sollte durch die Namensgebung unterstrichen werden.

Mitglied im Verein ist auch Mihai Petrov, ein gebürtiger Temeswarer, der sich für das Studium des Bauinigenieurwesens in deutscher Sprache nach Absolvieren der Lenauschule entschied,  um eine Kontinuität bei der Bildung in deutscher Sprache zu haben und weil er sich schon damals gut vorstellen konnte, dass es ihm Spaß machen würde, in der Baubranche tätig zu sein. Das Studium bestätigte diese Intuition, der Aufbau und die Fächer gefielen ihm. Als er dank seiner guten Noten das Angebot bekam, im Doppeldiplom-Programm mitzumachen, sagte er zu, weil er nebst der akademischen auch die Lebenserfahrung machen wollte. Das Leben weiter weg von Zuhause sollte ihm bei der Selbstfindung helfen, sagt Mihai. Nach dem Bachelorabschluss und einem Praxissemester folgte der Master mit den Schwerpunkten Massivbau, Bauphysik, Baukonstruktion und Bauprozessmanagement. Mihai hat sich auf Hochbau spezialisiert und ist seit knapp fünf Jahren Projektleiter für Schlüsselfertigbau. Dank des Vollstipendiums konnte er sich auf das Studium konzentrieren und hatte ein relativ sorgloses Studentenleben. Seines Erachtens sind alle Teilnehmer am Doppeldiplom-Programm eine Erfolgsstory, „denn es wurde viel in uns investiert, sowohl an Vertrauen als auch an Chancen und Wissen. Professor Băncilă hat uns sehr viel für unser Leben mitgegeben”. Das Studium in Deutschland habe ihm besonders geholfen, sich Dinge selbstständiger zu erarbeiten und mit Unvorhergesehenem besser umzugehen, „was in unserem Beruf absolut notwendig ist“. Für den Arbeitgeber habe es nicht gezählt, dass er sein Studium in Rumänien begonnen oder dass er internationale Erfahrung gesammelt hatte, sondern eher, dass er Mihai und seine Arbeit schon seit der Beschäftigung als Werkstudent in seinem Unternehmen kannte.

Fünfzig Studienplätze gibt es ab dem Wintersemester 2021/2022 an der deutschen Abteilung für Bauingenieurwesen der UPT, davon 27 gebührenfreie. Als Aufnahmekriterium gilt der Bakkalaureatsdurchschnitt, egal welche Prüfungen dafür abgelegt wurden.


Chronologie einer akademischen Partnerschaft 

Bereits vor der Gründung der deutschen Abteilung für Bauingenieurswesen begann 1990 der Aufbau akademischer Beziehungen mit der  Technischen Universität München (TUM). Am 19. Februar 1991 schlug die Geburtsstunde der Abteilung mit  deutscher Unterrichtssprache an der Fakultät für Bauingenieurwesen an der Polytechnischen Universität Temeswar (UPT) und am 1. Oktober 1991 war der Semesterstart für die ersten 18 Studenten, von denen fünf Jahre später elf ihren Abschluss gefeiert haben. Am 25. Juni 1993 unterschrieb der Dekan der Fakultät für Bauwesen die Partnerschaft mit der TU München, die durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst, der eine Vielfalt an akademischen Initiativen förderte, intensiviert wurde. Im Jahr 2005 schlossen die beiden Universitäten das Doppel-Diplom-Abkommen für den Bachelor in Bauingenieurwesen, gefolgt im Jahr 2006 von der Gründung der Partnerschaft mit dem Bayerischen Bauindustrieverband zur Förderung der Baubranche und deren Nachwuchs, die die seither jährlich Double-Degree-Stipendien an die leistungsstärksten Bachelor-Studierenden der deutschen Abteilung vergibt. Seit 2014 kommen jährlich zwei Stipendien für den Masterstudiengang hinzu.