Vor Ort Verbündete finden

Schutz deutschen Kulturerbes in Rumänien – ein gemeinsamer Auftrag

Lebhafter Vortragsstil, gut strukturiert: Horst Göbbel versteht es, die Zuhörer in den Bann zu ziehen.

Erster Vortrag einer geplanten Reihe im Schillerhaus. Darin will Horst Göbbel als weitere Themen präsentieren: „Schicksalsjahr 1945 – Deutsche aus Rumänien am Scheideweg“; „Tiefpunkt 1945 – Deportation in die Sowjetunion“; „Die Stimme der Deportierten – Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und ihre ‚Atemschaukel‘“; „Kirchenburgen und Klöster in Rumänien“; „Siebenbürgen – Modell für Europa?“
Fotos: George Dumitriu

Wem Kulturerbe gehört, ist immer eine schwierige Frage: Den direkten Nachfahren, sofern die Erblinie, die sich immer mehr verzweigt, eine solche Zuordnung überhaupt erlaubt? Dem Staat, auf dessen Gebiet es sich befindet? Der Institution, die es geschaffen hat, zum Beispiel einer Kirche? Wem gehört es rechtlich – von wem wird es moralisch beansprucht? Der Begriff „Weltkulturerbe“ will zudem suggerieren, dass es eine Art Kulturerbe gibt, das – egal auf welchem Staatsgebiet es sich befindet – moralisch uns allen gehört. Und deshalb geschützt werden sollte für unsere Kinder und Kindeskinder, die Weltenbürger der Zukunft – die hoffentlich vernünftiger werden als unsere Generation, wenn man bedenkt, was aktuell mit Palmyra in Syrien geschah: Extremisten zerstörten Kulturerbe für immer, in einem lächerlichen Krieg gegen die Geister der Vergangenheit...

Mit dem Beispiel Palmyra beginnt eindrucksvoll auch der Vortrag von Studiendirektor a. D. Horst Göbbel, der am 12. Oktober im Kulturhaus „Friedrich Schiller“ stattfand. Der aus Jaad/Livezile bei Bistritz/Bistriţa stammende, 1973 ausgewanderte und heute in Nürnberg lebende Siebenbürger Sachse hat dort eine Vortragsreihe zum Thema Kulturerbe begonnen, die mit dem Titel „Das Kulturerbe der Deutschen in Rumänien – Reichtum und Auftrag“ losgeht. „Der Reichtum Rumäniens in Europa ist fast unübertroffen – topografisch, ethnisch, konfessionell, kulturell, Flora und Fauna betreffend“, leitet Göbbel ein und verweist exemplarisch auf die deutsche Kirchenburgenlandschaft, die mittelalterlichen Städte und Dorfensembles in Siebenbürgen, aber auch auf die Moldauklöster in der Bukowina, „und nicht nur jene, die im UNESCO-Welterbe erfasst sind“. „Wem gehören heute die sächsischen Kirchenburgen?“, fragt der Vortragende in den vollen Saal hinein, in dem auch zahlreiche Schüler aus deutschen Schulen sitzen. „Den zwei, drei alten Sachsen, die noch im Dorf leben, den Fortgegangenen oder den jetzt dort Lebenden, den Rumänen – oder vielleicht gar Europa?“, provoziert er. Am Beispiel des Kulturerbes der mehrheitlich ausgewanderten Deutschen will er die Frage nach der Verantwortung, die ein solcher „moralischer Besitz“ nach sich zieht, veranschaulichen.

Was ist Kulturerbe – und wer ist dafür zuständig?

Hierfür bedarf es zunächst einmal einer Bestandsaufnahme: Was gehört überhaupt zum Kulturerbe? Nicht nur Bauwerke, sondern auch Brauchtum, Feste, Tänze, Ess- und Trinkkultur, Musik, Arbeits- und Wohnkultur, das Schulwesen und vieles mehr. „Verfolgt man die deutsche Sendung im rumänischen Fernsehen, die über all diese Dinge vor Ort berichtet, erkennt man zudem sehr schnell, dass deutsches Kulturerbe in Rumänien noch höchst lebendig ist!“, bemerkt der Vortragende. Dass mittlerweile auch Rumänen deutsche Traditionen weiterpflegen, tut der Sache keinen Abbruch. Denn Kulturerbe darf sich auch befruchten lassen – und andere befruchten, meint Göbbel. Als Beispiel verweist er auf den Urzellauf, ursprünglich ein rein sächsischer Brauch aus Agnetheln/Agnita. Nachdem es dort nach der Auswanderung der Deutschen erst mal lange keine Urzeln mehr gegeben hatte, schloss sich 2007 eine Gruppe Rumänen zusammen, um den sächsischen Brauch wieder aufleben zu lassen. Doch auch in Deutschland sind die peitschenknallenden Lumpenwesen in vielen Städten aus der Fastnachtsszene längst nicht mehr wegzudenken – eingeführt von den Siebenbürger Sachsen. Ähnlich beim Essen: Sarmale, Vinetesalat (Auberginenmus) oder Zacusca gab es bei den deutschen Einwanderern nicht – doch heute gehören diese rumänischen Gerichte wie selbstverständlich zu den Siebenbürger Spezialitäten, erklärt Göbbel.

Auf der Suche nach dem moralisch Zuständigen für den Schutz des deutschen Kulturerbes in Rumänien stelle man sich daher zwei Fragen: Was ist das Kulturerbe Rumänien und den Rumänen wert? Was ist es Deutschland und den Deutschen wert? Die Fragen seien sogar wichtiger als die Antwort, meint der Pädagoge, denn sie lösen erst Nachdenken aus. Ihn selbst brachten sie auf folgende sechs Thesen:
1. Das deutsche Kulturerbe in Rumänien ist in seiner Gesamtheit nicht zu retten.
2. Die deutsche Minderheit in Rumänien ist mit seiner Erhaltung überfordert.
3. Entscheidend ist es daher, gleichgesinnte Partner vor Ort zu finden.
4. Die heute in Rumänien lebenden Menschen sind Erben der zivilisatorischen Hinterlassenschaften der Deutschen. Sie müssen dieses Erbe aber auch annehmen. „Nicht den drei Sachsen im Dorf gehört die Kirche, denn morgen sind sie weg – es gibt ja auch biologische Realitäten“, mahnt er eindringlich, „das Erbe aber bleibt.“
5. Man muss die „Erlebnisgeneration“ unter den Deutschen in oder außerhalb Rumäniens motivieren, den Auftrag anzunehmen. „Mir jedenfalls ist es nicht gleichgültig, was mit den Kirchenburgen passiert!“,  illustriert er am eigenen Beispiel.
6. Nicht zuletzt müssten gemeinsam mit Partnern aus Politik, Wirtschaft, NGOs und Einzelnen, aus Rumänien, Deutschland oder der EU, Konzepte zur Rettung dieses Kulturerbes entwickelt werden.

Viele positive Beispiele

„In vieler Hinsicht sind wir da schon auf dem richtigen Weg“, meint der Vortragende zuversichtlich und verweist auf zahlreiche Musterbeispiele, hier werden nur einige angeführt:
- Das Kloster Maria Radna im Banat: Nur vor wenigen Jahren war die katholische Wallfahrtskirche in Lippa/Lipova eine Ruine, das Kloster 2003 wegen Mangel an Novizen aufgelöst. Doch am 1.3. 2012 wurde ein Vertrag zu ihrer Restaurierung zur Entwicklung des kulturellen Tourismus unterzeichnet – am 2. August 2015 fand die feierliche Segnung statt. Das Projekt wurde mit 10 Millionen Euro – ein großer Teil davon nicht zurückzuerstatten – von der EU finanziert.
- Banater ländlicher Barock: Längst sind die deutschen „Lebkuchenhäuser“ mit den schmucken Giebeln auf rumänische Besitzer übergegangen. Doch diese haben die typisch deutschen Giebel samt Inschriften von Erbauern und Instandsetzern weiter gepflegt.
- Der deutsche und der rumänische Staatspräsident tragen gemeinsam die Schirmherrschaft für die „Stiftung Kirchenburgen der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien“, um die vielfältige Kirchenburgenlandschaft in Siebenbürgen zu schützen.
- Die Wassertalbahnstiftung – mit deutscher und schweizerischer Beteiligung – zur Rettung und touristischen Nutzung der Wassertalbahn, einst von den Zipsern in Oberwischau/Vi{eu de Sus aufgebaut.
- Aber auch die ADZ als deutsche Minderheitenzeitung, einschließlich ihres „Deutschen Jahrbuchs“.

Freilich gibt es auch Negativbeispiele: verfallende, nicht mehr zu rettende Kirchenburgen wie in Senndorf/Jelna oder Wermesch/Verme{. Was tun, wenn Gebäude aufgrund demografischer Veränderungen nicht mehr genutzt werden? Eine mögliche Lösung ist die Übernahme durch andere Gemeinschaften, wie dies im Falle von 23 evangelischen Kirchengebäuden durch die orthodoxe Kirche geschehen ist. Die Kirchen sind in gutem Zustand, beweist Göbbel anhand mehrerer Bilder. Sie werden für orthodoxe Gottesdienste genutzt, der Denkmalschutz verbot allerdings deren Innenbemalung. „Unsere orthodoxen Christen haben in Nordsiebenbürgen sogar gelernt, im Gottesdienst zu sitzen, weil die Bänke schon da waren“, schmunzelt der Vortragende. In einigen Fällen haben Nachfolger Gedenktafeln für die Vorbesitzer angebracht, zweisprachig, oder ursprüngliche deutsche Sprüche über dem Kircheneingang belassen und restauriert.

Beispiele:
- Tschippendorf/Cepari: Der Eingangsspruch über der Kirche wurde belassen, die Grabsteine des verlassenen deutschen Friedhofs wieder aufgerichtet.
- Bistritz/Bistriţa: Einst sächsische Gemeindesäle sind heute Kulturhaus.
- Botsch/Batoş: Eine zweisprachige Gedenktafel erinnert an die einst im Dorf lebenden Deutschen.
Als strahlendes Beispiel bezeichnet Göbbel die Restaurierung der Kirche von Mönchsdorf/Herina durch den rumänischen Staat, plus Geldern der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung und von aus Kanada ausgewanderten Sachsen. Aber auch die Wiederinstandsetzung der 2008 durch einen Brand stark beschädigten evangelischen Kirche in Bistritz: 250.000 Euro waren gesammelt worden, über zwei Millionen Euro hat die Stadt Bistritz investiert. Heute ist die Kirche die einzige in Rumänien mit einem spektakulären touristischen Panoramalift in den Glockenturm. „Die Rumänen in Bistritz sind stolz auf die deutschen Vorfahren“, freut sich Göbbel, der selbst aus dem Bistritzer Dorf Jaad stammt und diesen genauso als Zuhause betrachtet wie Nürnberg.

Wie das Geheimnis erfolgreichen, gemeinsamen Denkmalschutzes lautet? Horst Göbbel projiziert es in Form zweier Sinnsprüche an die Wand: „Was man kennt, das schätzt man, was man schätzt, das schützt man“. Aber auch, passend zum Veranstaltungsort: „Was man nicht aufgibt, hat man nie verloren“ (Schiller).