Was deutsche und rumänische Wahlplakate erzählen

Wachsende EU-Verdrossenheit und nationalistische Ressentiments gefährden auf Dauer die europäische Idee

Totgesagte leben länger: Obwohl sich die Leader des verblichenen USL-Bündnisses Victor Ponta (PSD) und Crin Antonescu (PNL) dauerbefehden und zahlreiche Wahlbüros die Verwendung des Kürzels USL verboten haben, was vom Zentralen Wahlbüro (BEC) bestätigt wurde, prangen in der Hauptstadt unzählige Werbeplakate, die dem verwirrten Wähler verkünden: Die USL lebt – wählen kann man sie nicht.
Foto: Rohtraut Wittstock

Als in Deutschland zum diesjährigen Jahreswechsel eine Debatte über die neue EU-Freizügigkeit sowie die angeblich damit einhergehende „Armutsmigration“ und „Ausnutzung der Sozialsysteme“ aufkam, nutzten die CSU („Wer betrügt, der fliegt“) und andere rechtspopulistische Parteien wie die Alternative für Deutschland (AfD) das Thema, um strengere Einreiseregularien, auch innerhalb der EU, zu fordern. In der Folge war oft von „den Rumänen und Bulgaren“ die Rede, so als ginge es hier um ein untrennbar miteinander verbundenes Duo: Tim und Struppi, Laurel und Hardy, Batman und Robin. Wer damals „die Rumänen und Bulgaren“ sagte, meinte eigentlich „die Sinti und Roma“, was die ganze Diskussion nur noch perfider machte. Dass 2012 aus keinem anderen europäischen Land mehr Ärzte nach Deutschland gekommen waren, als aus Rumänien, interessierte genauso wenig wie die Tatsache, dass allein die Zuwanderer aus eben diesen beiden Ländern durch ihre in Deutschland getätigten Sozialabgaben die anfallenden Sozialleistungen arbeitsloser Landsleute problemlos kompensierten. Der rhetorische Eifer war also nicht nur in der Hinsicht eine Katastrophe, dass er faktisch falsch war und einen adäquaten Blick auf den Alltag und die Mobilität von Sinti und Roma verhinderte, sondern auch deshalb, weil er bewusst ein falsches Zeichen für die Europawahl am 25. Mai gesetzt hatte.

Das Meinungsforschungsinstitut YouGov veröffentlichte kürzlich eine Studie, die zeigt, wie wenig Vertrauen die Bürger westeuropäischer Staaten in die EU haben. Bei einem direkten Referendum würden nur ein Drittel der Franzosen für den Verbleib in der EU stimmen. Großbritannien kommt auf knapp 40 Prozent. In Deutschland sind es immerhin noch 57 Prozent. Da überrascht es wenig, dass die AfD in Umfragen derzeit bei knapp 8 Prozent liegt. In Frankreich und Großbritannien scheint es sogar zum ersten Mal möglich, dass rechtspopulistische Parteien die Europawahl für sich entscheiden. Das wirklich Besorgniserregende an dieser Entwicklung ist allerdings nicht eine vermeintliche Apokalypse in Brüssel, die wird es auch diesmal nicht geben, sondern der innenpolitische Druck, den die EU-Skeptiker auf die etablierten Parteien ausüben. In dem Versprechen von Großbritanniens Premier David Cameron, bis spätestens 2017 ein Referendum über die EU-Zugehörigkeit abzuhalten, offenbart sich das ganze Dilemma.

Geplant als ein strategischer Zug, um der europakritischen UKIP den Wind aus den Segeln zu nehmen, befeuerte dieser Vorschlag stattdessen nur noch die EU-Austrittsbemühungen. Auch der populistische Jargon von „Armutsmigration“ und „Ausnutzung“, dem die CSU verfallen ist, schlägt in die gleiche Kerbe. Die deutschen Wahlplakate zur Europawahl sind ein Sinnbild dieser Entwicklung. Während sich die CDU die Dreistigkeit herausnimmt, einfach mal mit dem Gesicht Merkels auf Stimmenfang zu gehen, obgleich sie natürlich nicht zur Wahl steht, und auch die SPD mit Inhaltsleere zu glänzen versucht, tönen von den Plakaten der AfD Parolen, die sich zwischen dumpf und europafeindlich nicht entscheiden können. Da heißt es dann: „Mut zu Deutschland“, oder: „Die Schweiz ist für Volksentscheide. Wir auch.“ Was so ein Volksentscheid, wie ihn sich die AfD vorstellt, alles anrichten kann, hat sich gezeigt, als in der Schweiz für eine Begrenzung der Einwanderung gestimmt wurde.

Interessant erscheint die Umkehr solcher Ignoranz in Rumänien. Laut einer Umfrage haben zwar 76 Prozent aller Rumänen Vertrauen in die Zukunft der Europäischen Union, die Wahlplakate versuchen jedoch eine andere Geschichte zu erzählen. Aller Zufriedenheit zum Trotz werden hier eigentümlich nationalistische Ressentiments geschürt. Dass die Großrumänien-Partei (PRM) davon träumt, Rumänien auferstehen zu lassen, während sie, zugegeben etwas vage, die Mafia niederschmettert, überrascht wenig, dass aber parteiübergreifend zu derart martialischen Slogans gegriffen wird, ist verwunderlich. Da wird von der Bauernpartei (PNŢCD) die Verteidigung Rumäniens in Europa beschworen oder von der Forţa Civică ein Wechsel (in Europa?), eventuell auch mit Gewalt (Schimbă-i cu FORŢA“) herbeigesehnt. Dass aber sogar Premier Victor Ponta und seine PSD Menschen nach Brüssel schicken wollen, um dort Rumänien zu verteidigen, scheint der traurige Höhepunkt dieser „Platz-an-der-Sonne“-Rhetorik zu sein.

Dazu passt, dass die PSD eine Petition gestartet hat, die sich unter dem Titel „Rumänien verdient mehr“, gegen die „Diskriminierung der Rumänen“ innerhalb der EU richtet, da viele „ausgebeutet und ungerecht behandelt“ würden. Inmitten dieser Grabenkämpfe wirkt es beruhigend, dass wenigstens die Liberaldemokraten „Europa in jedes Haus“ bringen wollen. Innenpolitisches Kalkül besitzt in diesem Zusammenhang, wie so oft, eine fatale Außenwirkung, das gilt für die CSU genauso wie für die PSD.
In Anbetracht solcher Divergenzen muss ein Hauptaugenmerk zukünftiger EU-Politik auch darauf liegen, dass die europäische Idee nicht zu einer ökonomischen Zweckgemeinschaft verkommt. Andernfalls könnten die Rechtspopulisten das letzte Wort behalten.