Was uns wirklich glücklich macht

Über die Kunst eines minimalistischen Lebensstils

Weniger ist mehr: Minimalismus als Lebensstil fordert, sich wieder auf das zu besinnen, was der Mensch im Leben wirklich braucht.
Foto: Greg Westfall

Joshua Fields Millburn führte ein langweiliges Yuppie-Leben. Er verdiente gut, war verheiratet. Dann starb 2009 seine Mutter und im gleichen Monat verließ ihn seine Frau. Für Millburn wurde es seine dunkelste Stunde. Er fing an, sein Leben infrage zu stellen und suchte nach einem neuen Sinn. Seinem besten Freund Ryan ging es nicht sonderlich besser. Nachdem er den sogenannten „Corporate Dream“ gelebt hatte, wurde er entlassen und mit einem Mal verlor auch sein Leben an Bedeutung. Ryan merkte, dass sich sein Leben darauf reduzierte, Geld zu haben und sich Glück zu kaufen. Doch je mehr er sich gönnte, desto schlechter ging es ihm. Nichts, was er kaufen konnte, brachte ihm inneren Frieden. Er war in einer Sackgasse gelandet. Einen Ausweg kannte er nicht.

Den Ausweg hatte sein Freund Joshua gefunden. Denn obwohl auch Joshua eine Scheidung durchmachte und seine Mutter verloren hatte, war er glücklich und zufrieden. Denn Joshua hatte in seiner Ratlosigkeit einen neuen Weg gesucht - und dafür sein Leben gründlich neu überdacht. Er entdeckte für sich den „Minimalismus“ als Lebensstil. Er verzichtete auf alles Überflüssige, hörte auf, konsumorientiert zu denken und begann stattdessen, andere Prioritäten zu setzen. Und es half. Joshua ist selbstbestimmter geworden und führt heute ein erfüllteres Leben. Dieser Wandel ging an seinem besten Freund Ryan nicht vorbei. Sodass auch Ryan 2010 eine „Packing Party“ organisierte und sich damit von seinem alten Leben verabschiedete und ein neues anfing. Mit der Packing Party trennte sich Ryan von allen überflüssigen Dingen. Was er nicht wirklich brauchte, gab er her. Dann gründete er zusammen mit Joshua  einen Blog: www.theminimalists.com.    

Heute lesen über zwei Millionen Menschen ihre Einträge und lassen sich von ihrem Lebenswandel inspirieren. Joshua kündigte 2011, um seiner eigentlichen Leidenschaft nachzugehen, dem Schreiben.

Das Ziel aus den Augen verloren

Unser alltägliches Leben ist überladen. Ständig werden wir abgelenkt. Überflutet von zu vielen Informationen, von Medien und Werbung manipuliert, Dinge zu kaufen und zu konsumieren, die wir eigentlich nicht brauchen. Viele verwechseln Wohlstand mit Glück. Wir wollen jemand sein, wir wollen Erfolg ausstrahlen, wir wollen uns alles leisten können, wir wollen Sicherheit und ein möglichst einfaches Leben. Wobei für viele „einfach“ oft bedeutet, möglichst nichts mehr zu tun. Darum hören immer mehr Menschen auf, ihren Träumen zu folgen und Risiken einzugehen. Statt das zu tun, was einem gefällt, entscheidet man sich für etwas, das einfach ist: Ein achtstunden Job in einem Großunternehmen, ein Darlehen von der Bank, um sich ein Haus zu leisten, eine traditionelle Ehe, ein routiniertes Leben ohne Überraschungen, wo man sich genau ausrechnen kann, wie die nächsten 20 Jahre ausschauen werden. Alternativen werden als unnatürlich abgestempelt und verworfen.

Doch obwohl wir durch diesen Lebensstil ein gewisses Maß an Komfort sichern können, fehlt oft etwas in unserem Leben. Wir sind nicht glücklich. Und viele wissen nicht, wieso.

Sie glauben, Geld sei das Problem. Natürlich kann man nicht glücklich sein, wenn man täglich Ausgaben hat, für die man hart arbeiten und Kompromisse eingehen muss. Doch dann, wenn man endlich Geld hat, gibt man es für materielle Dinge aus. Für eine Designer-Ledertasche, eine Armbanduhr, ein Smartphone, eine Nacht im Luxushotel. Damit befriedigt man zwar gewisse materielle Bedürfnisse, vernachlässigt aber die seelischen. Man kümmert sich eigentlich nicht um sich selbst. Es fehlt auch die Zeit dazu. Weil man sich die falschen Ziele gesetzt hat. Viele Menschen verschwenden heutzutage ihre Energien für die falschen Überzeugungen.

Worauf es wirklich ankommt

Je fortgeschrittener unsere Welt wird, desto oberflächlicher. Einen Ausweg bietet, so Joshua, Ryan und viele andere, der Minimalismus als Lebensstil. Joshua Becker empfiehlt, zuerst auf das zu achten, was einen ablenkt. Er hat neun Ablenkungen identifiziert - hier die wichtigsten:

Der Traum von einem besseren Morgen hält viele Menschen davon ab, die Gegenwart zu genießen. Viele setzen sich Ziele oder hegen Wünsche, die man nur morgen erfüllen kann, oder die ein besseres Leben versprechen, irgendwann in der Zukunft. Statt sich darauf zu konzentrieren, was man irgendwann haben könnte – obwohl dieser Wunsch nicht vollkommen verkehrt ist – sollte man anfangen, dankbar zu sein, für das, was man heute hat.

Perfektionismus ist eine andere Ablenkung. Anstatt mit sich selbst zufrieden zu sein und sich auch Qualitäten und gute Eigenschaften zuzuschreiben, übt man die strengste Form von Selbstkritik. Man möchte unbedingt der Beste sein und wenn man es nicht erreicht, macht man sich selbst deswegen klein. Das führt zu geringem Selbstwertgefühl und einem miserablen Leben.

Viele hängen an der Vergangenheit und können sie nicht loslassen. Statt sich auf das Jetzt zu konzentrieren, denken sie immerzu nur darüber nach, was sie bisher alles falsch gemacht haben und können sich ihre Fehler nicht verzeihen.

Die Anhäufung von Gegenständen ist eine weitere Ablenkung, die Becker als eine der Hauptursachen aufzählt, weshalb wir häufig unglücklich sind. Wir versuchen, durch den Kauf teurer Gegenstände zu ersetzen, was uns  fehlt: Selbstbewusstsein, Eigenliebe, die Fähigkeit zur Bindung an andere Menschen, eine gesunde Selbsteinschätzung und Dankbarkeit für das, was man eigentlich schon hat. Und das führt dazu, dass wir immer mehr Geld besitzen wollen. Wir wollen reich sein, weil reiche Menschen sich alles leisten können, weil sie Erfolg ausstrahlen. Doch in vielen Fällen sind reiche Menschen nicht weniger unglücklich.

Wir müssen uns immerzu mit anderen vergleichen. Wir vergessen, dass wir unabhängig davon, ob wir nun berühmt oder reich sind, existieren. Dass wir einfach sind. Nichts kann uns das wegnehmen und nichts kann es für uns schlechter machen. Der Erfolg eines anderen beeinflusst mein Leben nicht so sehr, wie man es oft gerne glauben möchte. Das Einzige, was unser Leben beeinflusst, ist die Art und Weise, wie wir darüber denken und wo wir unsere Energien hineinstecken.

Letztendlich müssen wir aufhören, uns als Opfer zu sehen. Die Welt ist dafür viel zu groß und wir darin viel zu klein. Es gibt Menschen, die haben Kriege durchgemacht, andere leben als Sklaven, haben überhaupt keinen Besitz, keine Familie, keine Freunde, keine Chance auf ein besseres Leben. Je besser es uns geht, desto mehr müssen wir uns in Dankbarkeit üben und uns darauf zurückbesinnen, was wirklich wichtig ist. Glücklich sein ist ein Privileg und eine Verantwortung. Und es ist nicht das Schlimmste, zu versuchen, sich selbst zu mögen und Mitgefühl für andere zu empfinden.