Was verstehen wir eigentlich unter der Brückenfunktion?

Experten aus verschiedenen Bereichen sagen ihre Meinung

Bernd Fabritius Foto: BdV-Archiv

Alexandru Szepesi Foto: Privat

Dr. Daniel Zikeli

Christiane Gertrud Cosmatu

Klaus Fabritius

Robert Schwartz Fotos: Aida Ivan

Sucht man den Begriff „Brückenfunktion”, so zeigen sich in 0.323 Sekunden 118 Treffer, insgesamt über zehn Seiten auf der Internetseite der ADZ. So oft wurde dieses Konzept in ADZ-Beiträgen erwähnt, die online verfügbar sind. Es scheint wie Quecksilber zu sein, man spricht darüber in der Wirtschaft, in der Politik oder im Kulturbereich. Hat es ein eigenes Leben? Es wirkt, als wäre die Brückenfunktion selber ein dynamischer Akteur, immer präsent bei Veranstaltungen, geschätzt von wichtigen Persönlichkeiten, gefeiert bei Zeremonien: „Merkel würdigte Brückenfunktion der deutschen Minderheit in Rumänien“ (2011), „Der Botschafter betonte Johannis’ Engagement für die deutsche Minderheit und deren Brückenfunktion für die deutsch-rumänischen Beziehungen“ (2014), „Banater Schwaben – Brückenfunktion in einer bewegten Geschichte“ (2016). Es gab also viele Anlässe in den letzten Jahren, bei denen diese „einer Sache beigemessene Funktion eines verbindenden Elements zwischen bestimmten Gruppierungen“ (Duden-Definition) ins Feld geführt wurde.

Doch was soll man sich konkret unter dieser Brückenfunktion vorstellen? Auf welcher Ebene wird die aufgebaut – in der Wirtschaft, in der Politik oder im kulturellen Bereich? Wer arbeitet an dem Gewölbebogen zwischen den zwei Brückenpfeilern? Geht es um eine Metapher? Und wie kann eine Gruppe von Menschen eine metaphorische Brücke bauen? Warum verstehen sich manche Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien als Brückenbauer? Wer ist ein Brückenbauer zwischen Kulturen und wer ist es nicht? Die ADZ hat ein paar Experten aus verschiedenen Bereichen gefragt.

„Garant für eine kontinuierliche Integration in die Wertegemeinschaft Europas”

Der wohlbekannte Politiker Bernd Fabritius wurde in Agnetheln geboren und ist Präsident des Bundes der Vertriebenen und Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten im Bundesministerium des Innern. Seiner Meinung nach ist es wenig erstaunlich, „dass die deutsche Minderheit in Rumänien in den Beziehungen zwischen unseren Ländern immer noch eine exponierte Stellung einnimmt, trotz zahlenmäßiger Dezimierung“. Er vertritt die Ansicht, dass nicht die Zahl an Personen, sondern deren Arbeit und Leistung als deutschsprachige Gemeinschaft(en) in Vergangenheit und Gegenwart die Beziehungen definieren. Dass Klaus Johannis als Staatspräsident Rumäniens der kleinen deutschen Minderheit der Siebenbürger Sachsen angehört, sei inzwischen auch in Deutschland jedem bekannt. Sein Kampf für ein starkes Europa, für Minderheitenrechte, gegen Korruption und Tendenzen der Schwächung der Rechtsstaatlichkeit wird von Deutschland auf politischer, diplomatischer und auf Ebene der nichtstaatlichen Organisationen unterstützt und befeuert, so Fabritius. „Seit 1990 ist sowohl im offiziellen, als auch im zivilgesellschaftlichen Rumänien Jahr um Jahr das Bewusstsein stärker gewachsen, dass die deutsche Minderheit kein ethnischer Ballast, sondern Garant für eine kontinuierliche Integration in die Wertegemeinschaft Europas ist. Ein guter Umgang mit den Minderheiten ist der Gradmesser für demokratische Politik und gleichzeitig Messlatte für den Zivilisationsstand eines Landes. Siebenbürger Sachsen, aber auch alle anderen deutschen Volksgruppen in Rumänien, sind heute das offene Tor ins Land hinein, sie sind der Hörer an einem der beiden Enden der ‚Standleitung’ zwischen Deutschland und Rumänien.“

„Mit der Zeit intensiver geworden“

Alexandru Szepesi, Leiter der Direktion für Minderheitenschulwesen, findet, dass die Brückenfunktion der deutschen Gemeinschaft nach 1990 intensiver geworden ist – trotz der massiven Auswanderung der deutschen Minderheit aus Rumänien. „Der eine Pfeiler der Brücke war durch die Auswanderung geschwächt, aber durch die getroffenen Maßnahmen wurde dieser Pfeiler unterstützt und es scheint, dass von dieser Situation beide Länder, vor allem aber Rumänien, profitiert haben und weiterhin profitieren, wenn ich zum Beispiel an den schwierigen Aufbau der demokratischen Strukturen, in der Wirtschaft und im Bereich der Bildung an das schulische Abkommen denke”. Da habe die kleine aktive deutsche Minderheit und Gemeinschaft durch ihre Stellungnahme immer ein Wort zu sagen, so Szepesi. „In vielen Ortschaften hatte die Minderheit eine aktive Rolle, ein Sagen in Hinsicht auf die lokale Entwicklung, wenn wir nur an Hermannstadt, Kronstadt, Temeswar und auch kleinere Ortschaften denken, wo die politische Komponente sehr wichtig war für die Entwicklung der neuen Strukturen. Oft übt die deutsche Minderheit auch eine Mittlerfunktion zwischen den beiden Ländern aus und durch die getroffenen Entscheidungen werden verschiedene Bereiche, meiner Meinung nach, positiv beeinflusst.”

Beitrag zum besseren Verständnis zwischen den Völkern

Der deutsche Konsul in Hermannstadt, Hans Erich Tischler, hat sein Amt 2017 angetreten. Der Konsul bietet eine historische Perspektive an: „Nachdem der ungarische König Geza II. die deutschen Siedler vor etwa neun Jahrhunderten nach Siebenbürgen rief, haben diese das Land urbar gemacht und friedlich mit anderen Völkern zusammengelebt. Sie haben Handel getrieben, voneinander gelernt, sich ausgetauscht und gemeinsam ihr Gemeinwesen aufgebaut“. Der Konsul findet, dass die Beziehungen innerhalb der Volksgruppen stets von Respekt und Toleranz geprägt waren, denn, so wie er sagt, ethnisch motivierte Kriege oder Konfessionsstreitigkeiten hat es in allen Jahrhunderten keine gegeben. „Die deutsche Minderheit stellt in den bilateralen Beziehungen eine wichtige Brücke zwischen unseren beiden Ländern dar. Gerade weil sie über viele Jahrhunderte eng mit anderen Ethnien, Rumänen und Ungarn, zusammengelebt hat und über einen reichen Erfahrungsschatz verfügt, kennt sie die unterschiedlichen Kulturen und Mentalitäten der anderen Volksgruppen gut und trägt somit zum besseren Verständnis zwischen den Völkern bei.“

Man weiß, dass man zusammengehört

Dr. Daniel Zikeli, Stadtpfarrer und Bischofsvikar, hat auch seine Meinung zum Thema Brückenfunktion geäußert: „Man hat diesen Begriff der Brückenfunktion in den letzten 30 Jahren immer hochgespielt. Es gibt tatsächlich eine Verbindung zwischen den Siebenbürgern, die in verschiedene Länder ausgewandert sind, und denen, die in Rumänien zurückgeblieben sind, und diese Verbindung ist eine ethnische Verbindung. Man weiß, dass man zusammengehört. Man wird eine Gemeinschaft – die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen und die Gemeinschaft der Banater Schwaben oder die Gemeinschaft der Rumäniendeutschen. Es gibt natürlich ein Zusammengehörigkeitsgefühl.“ Dieses sei, laut Zikeli, das erste Element dieser Brückenfunktion zwischen den Ausgewanderten und denen, die geblieben sind. Dabei erwähnt der Bischofsvikar auch den kulturellen Bezug: Es gehe dabei um Menschen, die sich durch kulturelle Leistungen zu dieser Kultur bekennen. Dazu gehören unter anderem nicht nur der Erhalt der deutschen Sprache, sondern auch des eigenen Dialekts. „Wo ist denn der Dialekt geblieben? Das ist ein springender Punkt, das Zusammengehörigkeitsgefühl ging auch über die Sprache. Die deutsche Sprache war die Sprache der Kultur, der Kirche, der Schule und der kulturellen Veranstaltungen, aber auf gar keinen Fall war es die Volkssprache. Und die Brückenfunktion, wenn es eine Brückenfunktion gäbe, dann möchte sie auch darin sein, in der Pflege des sächsischen Dialekts – was zum Teil in Deutschland und in Österreich geschieht und hier auch noch geschieht, aber wir merken, es geht zurück“, sagt Zikeli.

Die deutschen Schulen hält der Bischofsvikar für bedeutend im Kontext des kulturellen Brückenschlags. Dabei fragt er, wodurch sich eine deutsche Schule von Deutschland und von Rumänien unterscheide. „Wenn ein Siebenbürger Sachse in Deutschland zur Schule geht, hat er eine andere Wirklichkeit als hier, infolge dessen weiß ich nicht, wo die Brückenfunktion zwischen Osten und Westen ist. Ich bin etwas kritisch, weil ich mir nicht so genau vorstellen kann, welcher dieser Brückenschlag ist“.
Drei Aspekte sind, laut Zikeli, besonders wichtig: Die Pflege des sächsischen Dialekts, die kulturellen Einrichtungen und die Pflege des Volkstums: „Ich denke, da gibt es tatsächlich Brücken zwischen Osten und Westen, denn man bemüht sich, das Volkstum zu bewahren – was das alles bedeutet, mit Folklore, mit Tanzen, Brauchtum und Nachbarschaftswesen und so weiter, wobei in Deutschland und Österreich mehr geschieht als eben hier. Weil die Tradenten dieser Kultur, des Brauchtums tatsächlich in Deutschland sind und weniger hier. Hier ist viel nicht mehr möglich.“

Es gibt viele, deren Wurzeln in Rumänien sind

Christiane Gertrud Cosmatu, Unterstaatssekretärin im Departement für interethnische Beziehungen, hat eine andere Sicht. Cosmatu erinnert unter anderem an die Vereine der deutschen Wirtschaft in Großstädten, die Ansiedlung von Firmen in Rumänien, und umgekehrt, an die Lobbyarbeit für Rumänien in Deutschland. „Man bedenke auch die Politiker, die bislang im Bundestag gewesen sind, so wie Bernd Fabritius, aber nicht nur er, es gibt viele andere, deren Wurzeln in Rumänien sind und die auch sehr viel getan haben“, sagt Cosmatu. Die Unterstaatssekretärin spricht von gemischten Regierungskommissionen, an denen Vertreter der Minderheit teilnehmen: „Die Teilnahme an diesen Regierungskommissionen, die Teilnahme an den Treffen der Mittlerorganisationen in der deutschen Botschaft – also das Bilaterale wird gepflegt und das ist sehr wichtig, man spricht auf derselben Augenhöhe“.

„Wir können helfen“

Dr. Klaus Fabritius, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen im Altreich, wirft ein anderes Licht auf die Brückenfunktion: „Es ist sehr einfach für uns. Wir gehören zur deutschen Minderheit und wenn wir von der Heimat ausgehen, von dem Terminus Heimat, dann haben wir ein Mutter- und ein Vaterland – das Mutterland ist Deutschland, das Vaterland ist Rumänien und die Heimat ist Siebenbürgen, wenn wir Sachsen sind, oder das Banat, wenn wir Banater sind. Also ist es natürlich normal, aufgrund unserer Muttersprache, dass wir gute Beziehungen zu Deutschland haben. Es ist unser Mutterland. So bietet sich auch an, dass wir diese guten Beziehungen, die wir als Minderheit haben, auch in unserem Vaterland anwenden oder besser gesagt, dass wir etwas tun.“

Schlüsselwörter sind in diesem Fall Kommunikation, Vermittlung, Kontakte: Das seien selbstverständliche Sachen, die Angehörige der deutschen Minderheit gerne tun. Denn sie haben nicht nur gute Kontakte, sondern kennen auch Deutschland viel besser als jemand, der zur Mehrheitsbevölkerung gehört. „Und da können wir natürlich helfen. Wir kennen auch die Gewohnheiten und die Gegebenheiten im Lande und so können wir jemanden, der etwas in Rumänien aufbauen möchte, auch beraten, und verschiedene Sachen erklären, die er nicht im Internet oder anderswo findet. Und das ist, glaube ich, das Wichtigste für unsere Brückenfunktion, die wir ausüben können.“

Die bilateralen Beziehungen gemeinsam gestalten

Auch der Redaktionsleiter der rumänischen Redaktion bei der Deutschen Welle, Robert Schwartz, kommt ursprünglich aus Hermannstadt. Er findet, dass der Einfluss der Rumäniendeutschen auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Rumänien riesig ist. Die deutsche Minderheit wisse am besten Bescheid über diese Brückenfunktion, die es immer gegeben habe. Und sie lebe diese Brückenfunktion, nicht nur durch funktionelle Vertreter des deutschen Forums, sondern auch durch die einzelnen Persönlichkeiten, die direkte Kontakte in der Bundesrepublik haben – Schriftsteller, Musiker, Ärzte, Ingenieure, aber auch durch jeden Siebenbürger Sachsen, ganz gleich aus welcher sozialen Gruppe er gerade kommt. „Sie haben ihre Kontakte in der Bundesrepublik, pflegen die Kontakte und sind natürlich ein sehr wichtiger Faktor in den direkten bilateralen Beziehungen“, so Schwartz. Es sei ja auch ein Gewinn, dass ein Vertreter der deutschen Minderheit Staatspräsident in Rumänien geworden ist, dass in den verschiedenen Ministerien Vertreter der deutschen Minderheit – nicht nur Siebenbürger Sachsen, sondern auch der Banater Schwaben – ihren festen Platz haben im Unterrichtsministerium, im Kulturministerium, im Außenministerium auch, „das heißt, die deutsche Minderheit ist aktiv daran beteiligt, diese bilateralen Beziehungen gemeinsam zu gestalten.“

 

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Dieser Artikel ist im Rahmen des Programms Europäische Journalisten-Fellowships der Freien Universität Berlin entstanden.