„Was wir brauchen, ist Vernunft und Kontinuität in der Bildungspolitik“

Prof. Dr. Rudolf Gräf über aktuelle Herausforderungen für die Universitäten

Prof. Rudolf Gräf koordiniert als Prorektor der Klausenburger Babeş-Bolyai-Universität unter anderem die deutschsprachige Studienrichtung.
Foto: Philipp Hochbaum

Prof. Dr. Rudolf Gräf (60) lehrt Wirtschaftswissenschaften und Geschichte an der Klausenburger Babeş-Bolyai-Universität. Zudem amtiert er seit 2008 als Prorektor. Im Gespräch mit ADZ-Redakteur Philipp Hochbaum äußert er sich über die aktuellen Studienbedingungen, das Verhältnis zwischen Universität und Bildungspolitik und die Organisation der deutschsprachigen Studienrichtung.


Die Regierung hat kürzlich ein Förderprogramm beschlossen, mit dem die Zahl der Schulabbrecher vor dem Abitur verringert und die Zahl der Einschreibungen an den Fakultäten erhöht werden soll. Steht bei Universitätsstudien künftig eher die Masse anstelle der Klasse im Vordergrund?

Solche Förderprogramme sind schon lange und nicht nur bei uns im Gespräch. In einigen Ländern werden sie auch mit Erfolg eingesetzt. Es hängt aber davon ab, für wen sie gedacht sind. Zielgruppe müssen junge Menschen sein, sie müssen die Chance haben, ihre Zukunft zu gestalten. Das heißt aber längst nicht, dass jeder Abitur machen und studieren muss, sondern dass er oder sie ihren Fähigkeiten gemäß eine Ausbildung bekommt, um die Herausforderungen des Lebens meistern zu können. Allerdings sollte ein ordentliches Abitur die Voraussetzung für ein gutes Studium sein. In Rumänien sollte die adäquate Vorbereitung auf das Abitur für zukünftige Studierende im Mittelpunkt stehen. Die Universitäten sollten in erster Linie diejenigen Abiturienten annehmen, die studieren können und wollen.

Wenn eine solche Maßnahme aber als Notrettung für die vielen privaten oder nicht privaten Universitäten gedacht ist, die in zahlreichen Städten des Landes gegründet wurden und während der letzten Jahre massiv Studenten verloren haben – nicht nur durch den demografischen Rückgang –, dann sollte man dies vernünftig und vorsichtig angehen. Man sollte den zukünftigen Studierenden nichts vormachen und sich nicht als „Retter in der Not“ präsentieren. Es gibt Interessengruppen, die eher an sich selbst als an  die Bedürfnisse der jungen Leute denken. Es ist unmoralisch, große Gruppen einer Generation irrezuführen. Stattdessen sollte man vielleicht einen stärkeren Akzent auf eine gute und solide Berufsausbildung legen – die Wirtschaft ist Zeuge, welche Katastrophe die Abschaffung der Berufsschulen mit sich gebracht hat. Den Anforderungen im Industrie- und Dienstleistungssektor muss wieder mehr entsprochen werden.

Erste Schritte werden ja schon mit den Projekten der Dualschulen gemacht. In diesem Zusammenhang könnte man dann überlegen, wie man mit dem Thema umgeht und an gut ausbildende Fachhochschulen denken.

Wenn andererseits frisch-gebackene Absolventen später an der Supermarktkasse sitzen, dann ist dies schade um die geistige und finanzielle Investition. Sollte sich das Studium zu einem undifferenzierten Massenphänomen entwickeln, dann hat dies keine guten Auswirkungen auf das Bildungssystem und auf die kulturelle Entwicklung im Allgemeinen. Schlechte Entscheidungen in der Bildungspolitik wirken sich auf ein Land schlimmer aus als jene in der Wirtschafts- oder Verteidigungspolitik, denn sie gehen diesen voraus und machen sie möglich.

Was sind unter diesen schwierigen Umständen aus Ihrer Sicht momentan die größten Herausforderungen für die Studierenden?

Für die meisten Studierenden sind die Herausforderungen sicherlich finanzieller Art: Sie müssen arbeiten, um sich über Wasser halten zu können. Allerdings lassen sich Arbeit und Studium nur schwer in Einklang bringen. Hilfe ist notwendig, aber nicht dadurch, indem man die Standards senkt. Dieses Problem sehe ich nicht nur hier in Klausenburg. Ein ganz anderes Problem ist jedoch auch der bewusste Umgang mit Informationen: Es gibt heute unzählige Möglichkeiten, um an Wissen zu gelangen – das ist sicherlich ein Vorteil, doch die Studierenden müssen den eigenverantwortlichen Umgang mit der Informationsfülle lernen. Diese kann nicht wie im Supermarkt ohne genaue Betrachtung im Einkaufswagen landen oder einfach halbgar aufgenommen werden – der Studierende muss hierfür lernen, selbstständig zu denken.

Der Bildungssektor unterlag zuletzt mehreren Gesetzesänderungen. Zudem gab es politische und personelle Richtungswechsel. Inwiefern hatten diese Auswirkungen auf den Lehr- und Forschungsalltag?

Die ständigen Veränderungen im Bildungswesen in den vergangenen Jahren waren äußerst unproduktiv. Seit 1990 gab es etwa 20 Bildungsminister, die die Gesetzgebung 60-mal geändert haben – Kontinuität sieht anders aus. In der Tat wurde eine Reihe von Reformen durchgeführt, aber davon wurde keine einzige richtig umgesetzt. Alle Reformen wurden nach einem personellen Wechsel geändert oder durch andere Maßnahmen ersetzt – für das Hochschulwesen war das äußerst schwierig, und es gab Auswirkungen auf den Lehralltag. Die Erfahrung des Lehrkörpers, sowohl im Gymnasial- wie auch im Hochschulwesen, konnte die strukturellen Unsicherheiten einigerma-ßen abfedern.

Welche Erwartungen haben Sie an die Bildungspolitik? Wo besteht Besserungsbedarf?

Die Bildungsminister müssen verstehen, dass jeder einzelne von ihnen nacheinander dasselbe Land mitregiert, und dass sie eine Kontinuität schaffen müssen. Egal welche Parteien an der Regierung sind – das gesamte Hochschulwesen muss ein langfristiges Ziel haben. Zudem benötigen wir eine Evaluierung und eine Klassifizierung der Universitäten nach ihren Leistungen sowie eine langfristige Planungssicherheit für den Lehrkörper. Dies hat das Gesetz von 2011 erreicht, wurde aber von den nachfolgenden Regierungen zunichte gemacht, sodass man nun von der Notwendigkeit eines neuen Bildungsgesetzes spricht. Außerdem muss die rumänische Gesetzgebung an das EU-Recht angepasst werden. Und noch etwas, was von der Politik immer als lästig verdrängt wird: Wissen Sie, was ein frischgebackener Gymnasiallehrer oder ein junger Forschungsassistent verdienen? Oder mit welcher Rente die Lehrer ihren Ruhestand meistern müssen? Man kann die Ziffern vor Scham nicht sagen.

So lange der soziale Status des Lehrers und Professors – unterstützt durch einen anständigen Lohn – nicht geregelt wird und die Regierungen und Parlamente immer nur für ihre Mitglieder und für die militarisierten Institutionen „Sonderrenten“ oder „Sonderzuschüsse“ finden und genehmigen, ändert sich nichts und man redet umsonst von der strategischen Bedeutung des Bildungswesens. Denn, ja, man findet die Gelder für Sicherheit und Verteidigung, was absolut normal ist, jedoch gibt es bald nichts mehr zu verteidigen, wenn sich diese Einstellung nicht ändert.

Hochschulabschlüssen wird ein hoher Stellenwert zugeschrieben. Haben die Plagiatsvorwürfe der letzten Jahre und Monate dem Ansehen von Promotionsstudien nachhaltig geschadet?

Letztendlich ist es egal, wo sich die Fälle ereignen – dies geschah und geschieht in allen Ländern. Vorrangig schaden sie der jeweiligen Person. Mir ist aber kein Fall bekannt, dass ein Doktorand Nachteile erfahren hat oder die Qualität seines rumänischen Abschlusses angezweifelt wurde. Dennoch – dem Ansehen der Universitäten tun diese Fälle garantiert nicht gut, es sei denn, die Universität reagiert schnell und korrekt. Wir hatten zum Glück bis jetzt nur wenige Fälle, in denen die Universität aber auch sofort reagiert hat.

Welche Kontrollmechanismen könnten eingesetzt werden, um derartiges zu verhindern?

Die sind in den einzelnen Fakultäten unterschiedlich. Es gibt Programme, um Plagiate zu entdecken. In erster Linie sollte jedoch die Doktorarbeit sorgfältig geprüft werden – hierfür darf ein Professor jedoch nicht überlastet sein. Das Gesetz von 2011 hat die Anzahl der Doktoranden, die er gleichzeitig betreuen kann, auf acht beschränkt, danach wurde die Bestimmung der Zahl den Universitätssenaten überlassen. In erster Linie muss jedoch der Promovierende die Verantwortung tragen: Durch seine Erklärung, eine Arbeit nach wissenschaftlichen Standards einzureichen, versichert er, sich an die Regeln der Forschung zu halten. Doch auch der Doktorvater oder die Doktormutter stehen in der Verantwortung.

Die Plagiatsfälle wurden international bekannt. Streben nun weniger ausländische Studierende an der Babeş-Bolyai-Universität einen Abschluss an?

Nein, deren Zahl ging nach den Plagiatsvorwürfen, die in der rumänischen Öffentlichkeit kursierten, nicht zurück. Aus dem deutschsprachigen Ausland beispielsweise haben wir momentan etwa zwanzig immatrikulierte Studierende, die bei uns deutschsprachige Studiengänge besuchen. Wir möchten diese noch bekannter machen. Weitaus mehr deutschsprachige Studierende nehmen jedoch als Erasmus-Studenten unser Lehrangebot wahr.

Welche deutschsprachigen Studiengänge gibt es momentan an der Universität?

Momentan bieten wir Wirtschaftswissenschaften, Informatik, Geografie, Germanistik, Europastudien, Biologie, Erziehungswissenschaften, Journalismus und Medienwissenschaften an. Wir können aber auch Unterricht auf Deutsch in Chemie und Physik anbieten. Wir haben etwa 800 Studierende an der deutschsprachigen Studienrichtung. Wir möchten die Plätze auch in Zukunft konstant besetzen. Dabei muss man sagen, dass der rumänische Staat den Unterricht in der Sprache der Minderheiten durch eine präferenzielle Finanzierung massiv unterstützt.

Gibt es eine Zusammenarbeit mit deutschsprachigen Einrichtungen in der Stadt?

Unsere Universität hat das umfangreichste deutsch-sprachige Programm in Südosteuropa, und dadurch hat die deutsche Studienrichtung auch ein umfangreiches Lehrpersonal. Daraus ergeben sich in der Region und im Umfeld der Universität viele Ansatzpunkte. Einige Einrichtungen sind an die Uni gebunden, und mit anderen besteht allein schon durch die räumliche Nähe eine enge Kooperation – etwa mit der Österreich-Bibliothek „Bernhard Stillfried“, die in Kooperation mit dem österreichischen Außenministerium eingerichtet wurde und mit Hilfe des österreichischen Staates ihren Bestand jährlich erweitert, mit dem Deutschen Kulturzentrum, das vor Kurzem den Status eines Goethe-Zentrums bekommen hat, oder dem Institut für deutschsprachige Lehre und Forschung, welches von Mitgliedern unserer Universität betrieben wird. Auch das Demokratische Forum der Deutschen in Klausenburg ist für uns ein guter Ansprechpartner.

Wie gestaltet sich die Kooperation mit deutschen Firmen aus Klausenburg und Umgebung?

Wir haben eine gute Kooperation mit dem Deutschsprachigen Wirtschaftsclub Nordtransilvanien. Besonders gut arbeiten wir mit EBS zusammen: Das Unternehmen fördert die deutschsprachigen Studiengänge durch Stipendien und Praktika oder durch das Sponsoring von Veranstaltungen seit Jahren, und in Daniel Metz haben wir seit einem Jahrzehnt den verlässlichsten Partner. Viele unserer ehemaligen Studenten haben ihren Weg in das Unternehmen gefunden. Darüber hinaus haben EBS, Porsche und MHP den deutschsprachigen Informatik-Studiengang gefördert. Ebenso haben wir sehr gute Beziehungen mit Eon Gaz, aber auch mit vielen anderen Unternehmen aus Deutschland und Österreich. Die Firmen bieten Praktika an, und viele Absolventen haben dort ihre Karriere begonnen. Zudem möchten wir einen Beirat für die deutschsprachigen Studiengänge einrichten, der sich aus Vertretern von Unternehmen und Diplomaten zusammensetzen und die Studienrichtung in ihrer Gesamtheit unterstützen soll.

Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit der Einbettung der Universität in europäische Förderprogramme wie POSDRU gemacht? Was waren die größten Vorteile, und was hätte besser gemacht werden müssen?

Die EU-Fonds waren und sind eine große Hilfe und Herausforderung. Wir waren der größte Abnehmer von EU-Förderungen – allein von 2008 bis 2013 standen durch das POSDRU-Programm rund 100 Millionen Lei zur Verfügung. Dies war wie Sauerstoff für unsere Studierenden, Promovierenden und Postdocs. Ich selbst habe fast alle Doktorats- und Postdoc-Programme an unserer Universität seit 2007 koordiniert.

Die Höhe der Förderung ermöglicht es den Stipendiaten, ohne materielle Sorgen zu studieren, zu forschen und ihre zukünftige akademische und wissenschaftliche Karriere vorzubereiten. Problematisch waren die Unterbrechungen der Zahlungen an die Universität, die dann selbst einspringen musste. Zum Glück konnte die Universität dies tun. Es gab Zeitpunkte, zu denen die Uni bis zu 16 Millionen Euro vorgestreckt hat, die wir zum Glück wiederbekommen haben. Man hätte einen direkteren Weg für die Mittel finden müssen, ohne drei Ministerien einzubeziehen. Die Einbindung des Arbeits-, Finanz- und Bildungsministeriums hat den Prozess erheblich behindert. Künftig wird in vergleichbaren EU-Förderprogrammen zum Glück nur noch das Bildungsministerium einbezogen.

Was würden Sie abschließend als größten Fortschritt der Babeş-Bolyai-Universität in den vergangenen Jahren bezeichnen und wo sehen Sie deren nächsten Ziele?

Zum einen hat sich die EU-Förderung extrem positiv auf die Universität ausgewirkt. Sie war für uns enorm wichtig, um Doktoranden und Postdocs das Studium und die internationalen Mobilitäten zu sichern und um Forschungsprogramme abzuwickeln. Wir haben Angestellte und Doktoranden, die in Prestigezeitschriften wie „Nature“ veröffentlichen, die Mathematik besetzt eine Spitzenposition, die wissenschaftliche Produktion ist wesentlich angestiegen, unsere Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeiter, Doktoranden und Postdocs sind an internationalen Tagungen gefragt, wir selbst organisieren solche – die Dinge verlaufen meines Erachtens „normal“.

Künftig wollen wir die deutschsprachige Studienrichtung weiter konsolidieren und festigen, damit diese nicht allzu sehr von den leitenden Personen abhängt. Sie muss so attraktiv werden, dass sie permanent genügend Studierende hat und durch ein hohes Ausbildungsniveau Eigenwerbung betreibt. Was die Zukunft der Universität betrifft, so soll sie im europäischen Rahmen eine  attraktive Eliteuniversität werden. Sie muss sich im Geflecht von Fonds, Bildungsprogrammen und zeitgemäßen Master- und Doktoratsstudien zurechtfinden. Zudem muss sich die Beziehung zwischen Studierenden und Lehrenden neu entwickeln. Beide Seiten müssen sich bewusst sein, dass sie voneinander profitieren.