Weltbank nimmt Stadtentwicklungspolitik unter die Lupe

Großstadt-Sehnsucht auf Rumänisch: Cluj, Bucureşti, Timişoara

Symbolfoto: pixabay.com

Leben Sie in Hermannstadt/Sibiu? Nein? Dann vielleicht in Arad? Oder in Großwardein/Oradea? Auch nicht? In Reschitza/Reţiţa? Oder in Jassy/Iaşi? Im Grunde egal, denn wenn Sie nicht in Klausenburg/Cluj-Napoca, Bukarest oder Temeswar/Timişoara leben, dann werden sie mit ziemlicher Sicherheit dem-nächst Ihre Wohnung verkaufen, Ihre Sachen packen und nach Klausenburg (15,32 Prozent), Bukarest (14,46) oder Temeswar (11,88) ziehen. Es sei denn, Sie gehören zu den 31,25 Prozent, die ins Ausland gehen wollen. Am liebsten für immer. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute ist, dass zwei Drittel der Menschen in Rumänien weiterhin in diesem Lande wohnen wollen, der Trend habe sich umgekehrt. Und von diesen 66 Prozent, die in Rumänien leben wollen, wollen einige nach Klausenburg, Bukarest oder Temeswar ziehen, denn diese drei haben den Ruf, Rumäniens attraktivste Städte zu sein.

Nun, wer sagt das? Sicherlich kein Banater, auch nicht der Autor dieser Zeilen, denn dann würde vielleicht Temeswar an erster Stelle stehen. Die Weltbank sagt das alles, ihre Experten haben vor Kurzem die Ergebnisse einer Studie zu Rumäniens Städtelandschaft veröffentlicht, die sich zum Ziel gesetzt hatte, ein Umdenken in der rumänischen Regional- und Raumordnungspolitik für die Zeitspanne 2021 – 2027, der nächsten Haushaltsperiode der Europäischen Union, in die Wege zu leiten. Dafür wurden im Auftrag der Weltbank 1250 Bürger befragt, ein Index der Attraktivität wurde berechnet, er soll die Behörden in Bukarest, aber auch die Kommunalpolitiker bei der Planung von Investitionen, der Umsetzung diverser Entwicklungsmaßnahmen und der Gestaltung mittel- und langfristiger Strategien unterstützen.

Siebenbürgens Metropole Klausenburg liegt im Ranking ganz vorne, die Befragten wussten die dort vorhandene Lebensqualität, die wirtschaftliche Dynamik sowie das reiche Angebot an Bildung und Kultur zu unterstreichen. Bukarest und Temeswar folgen. Die Hauptstadt bleibt natürlich die Hauptstadt; Temeswar aber, das im September 2016 Klausenburg im Wettbewerb für den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2021 noch schlagen konnte, muss nun eingestehen, dass Klausenburg einfach in ist. Der Hype um Klausenburg hält an, jener um Temeswar ist und bleibt einen Ton leiser.

Bei der Vorstellung der Studie, die selbstverständlich in Klausenburg stattfand, sagte der leitende Weltbank-Experte Marcel Ionescu-Heroiu, dass es in der Geschichte Rumäniens noch nie eine Stadtentwicklungspolitik gegeben hat, dass keine Politik auf die urbane Entwicklung des Landes abgezielt habe. Auch heute gäbe es nichts dergleichen, die Regierung unterstütze jene Städte nicht, die sich selbst nicht helfen könnten. Die Wettbewerbsfähigkeit des Landes hänge von der Wettbewerbsfähigkeit funktionaler urbaner Räume ab, setzte der Fachmann fort.

Im Grunde muss man dem Mann Recht geben, er weiß, wovon er spricht. Nur in einer Sache täuscht er sich, Geschichte scheint nicht seine Stärke zu sein. Denn es hat schon in der rumänischen Historie eine Stadtentwicklungspolitik gegeben, nämlich während des kommunistischen Regimes. Und auch früher schon, zu Österreich-Ungarns Zeiten, als zum Beispiel vor 1914 Städte wie Temeswar mit Raumordnungsplänen ausgestattet waren, die sich zweifels-ohne auf der Höhe der Zeit befanden. Nur sind sie nach 1920 nicht weiterverfolgt worden, obwohl die rumänische Zwischenkriegszeit die Obsession der zu geringen urbanen Bevölkerung nicht loswerden konnte. Abhilfe verschafften die Kommunisten, 42 Jahre lang betrieben sie Stadtentwicklungspolitik. Kann anders erklärt werden, dass zum Beispiel Klausenburg seine riesigen Plattenbauviertel bekam? Oder dass in Bukarest ganze Stadtteile dem Erdboden gleich gemacht wurden? Oder das verschlafene Städtchen in Ost- und Südrumänien zu stolzen Kreisvororten wurden, mit Mehrzweckhalle, Hotel und zentral gelegenem Verwaltungsgebäude für den Volksrat?

Der Weltbank-Experte mag die Geschichte nicht kennen, sie ist sowieso nur Geschichte, die Gegenwart tut aber weh. Man sehe von Bukarest mit seiner für eine postkommunistische Millionenstadt typischen Problematik ab und schaue nach Klausenburg, dem Sehnsuchtsort so vieler, die hier bleiben wollen. Oder in das nahe Umland, zum Beispiel nach Floreşti, der Großgemeinde, früher Sächsisch-Fenesch oder Feneşu Săsesc. 7000 Einwohner zählte die Gemeinde 2002, 2011 waren es schon knapp 23.000. Stadtflucht heißt das Phänomen, westliche Raumplaner, Soziologen und Ökonomen haben es längst beschrieben. Ist das heutige Floreşti wirklich ein Traumort? Es kamen die Kapitalisten der Gegenwart auf den Gedanken, Plattenbauten in unmittelbarer Nähe einer Hühnerfarm aufzuziehen, die Idee hatte man vor 1989 nicht.

Man besuche Dumbrăviţa, den noblen Vorort am Rande des Temeswarer Jagdwaldes. Soll die Gemeinde mit einem Wort beschrieben werden? Verkehrsinfarkt. Und zwar täglich. Fast rund um die Uhr. Lösungen? Keine. Aber dafür sehr viele Wahltemeswarer, die hier leben wollen. Schließlich soll Lidl hier seine größte Rumänien-Filiale gebaut haben, manche sagen, auch die schickeste. Wenn eine Lidl-Filiale überhaupt schick sein kann.

Dass so manche Stadt- oder Gemeindeverwaltung in Rumänien schon versteht, wie Entwicklung zu betreiben ist, stimmt. Es gibt Beispiele. Nicht viele, aber immerhin. Zumindest hat so mancher kluge Bürgermeister das Arbeitslosenproblem in den Griff bekommen, was schon sehr viel bedeuten kann. Man erinnere sich nur an Hermannstadt Anfang der 2000er Jahre und vergleiche es mit dem heutigen. Oder noch besser: Klausenburg unter dem irren Bürgermeister Gheorghe Funar, eine Großstadt im Stillstand. Man pflegte in den ersten Jahren unter Emil Boc zu sagen, der Mann mache eigentlich nichts, aber er lasse die anderen machen, er stoppe sie nicht wie sein Vorgänger. Laissez-faire macht manchmal Sinn.

Jedoch entsteht immer wieder der Eindruck, dass die positive Entwicklung nicht gewollt ist. Oder dass sie zumindest nicht konsequent betrieben wird, dass sie eher zufällig geschieht, dass die Heutigen sie nicht lenken, sondern bloß zur Kenntnis nehmen. Dass Kräfte der Vergangenheit am Werk sind, im Guten wie im Schlechten. Aus Oltenien ist man schon immer in das Banat gezogen, Klausenburg war schon immer Siebenbürgens „civitas primaria“. Ein Laissez-faire also? Vielleicht. Aber gerade in der Entwicklungs- und Raumordnungspolitik ist das kluge Eingreifen des Staates gefragt, denn der Markt versagt allzu oft. Das weiß man anderswo, selbst die neoliberale Schule gab zu, dass der Markt versagt. Sicherlich, es lässt sich streiten, wie sein Versagen zu reparieren ist, ob der Staat mehr oder weniger eingreifen soll. Wenn es um kommunale Angelegenheiten geht, wenn es darum geht, die Lebensqualität zu steigern, dass der öffentliche Nahverkehr sich weiterentwickelt, die Schulen ausgebaut, die Parks instandgesetzt, die Mobilität gefördert werden sollen, wenn das alles gemacht werden soll, darf nichts dem Zufall überlassen werden. Denn Zufall heißt hier ungebremste Marktkräfte und die richten mitunter ein Chaos an: Plattenbauten neben Hühnerfarmen, enge Straßen, weil Grundeigentümer keine breiteren zuließen, Wohnhäuser eingequetscht zwischen schmucken Villen, die tägliche Schlacht um den Parkplatz usw.

Bagatellen? Petitessen? Wer vor zehn Jahren 15 Minuten gebraucht hat, um in Temeswar zum Beispiel von A nach B zu kommen, und heute dafür das Fünffache in Kauf nehmen muss, der denkt ans Umziehen. Aber wohin? Am liebsten in die Innenstadt, wo alles zu Fuß erreicht werden kann. Innerhalb weniger Minuten. Und es dafür aber verdammt teuer ist. Rumäniens Großstädte sind im ungebremsten Kapitalismus angekommen. Sie brauchen weniger Studien und mehr Steuerung, am liebsten sofort. Solange das Wirtschaftswachstum anhält und sie weiterhin Menschen aus anderen Ortschaften anziehen.