Weltliche Kommunikation und christliche Verständigung

Ökumenischer Studienkurs im oberbayerischen Josefstal deutet europäische Friedenskorridore an

Gruppenfoto im Studienzentrum Josefstal: Dienst im geistlichen Ornat für einige, Kommunikation und Friedensbotschaft für alle Teilnehmer
Foto: Wolfgang Noack

Warum kommt, was ich behaupte, bei meinem Gegenüber total verdreht oder überhaupt gar nicht an? Wie kann Kritik geübt werden, sodass weder ich noch der andere sich schmollend in die Ecke zurückzieht? Junge und ältere Erwachsene aus unterschiedlichsten Regionen Europas hörten am 17. April im oberbayerischen Josefstal den Vortrag „Warum zum Henker funktioniert das nicht?“ von Regine Kellermann, Vikarin der Evangelisch-Lutherischen Simeonsgemeinde München der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB), die ihre Erläuterungen zum Thema Kommunikation interaktiv gestaltete und den Kursteilnehmern gebündelte Informationen über Instinkt und rationales Denken im menschlichen Miteinander vermittelte. Weitaus mehr als nur Mund und Ohren benötigt man für eine gelungene Kommunikation. Mehr noch, wenn es in Gesprächen um ethische Grundfragen geht und man wegen der eigenen christlichen Identität in heftige Auseinandersetzungen über das Menschsein oder Nicht-Menschsein hineingerät. Im Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V. fand vom 16. bis zum 25. April unter dem Motto „Gott ist Kommunikation“ der Europäisch-Ökumenische Studienkurs 2018 statt. Mehr als 40 Delegierte sowie ökumenisch engagierte hauptberufliche und ehrenamtliche Mitarbeiter christlicher Kirchen Europas trafen einander im Voralpenraum rund um den Schliersee und die Brecherspitze, um in lebendiger Begegnung ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Zuhören und Sprechen zu suchen.

Wichtige Grundvoraussetzung: Zuhören

Unter allen Teilnehmern und Referenten des Studienkurses war Regine Kellermann nicht die einzige Person, die auf das Kommunikationsquadrat des Autors Friedemann Schulz von Thun (geboren 1944) Bezug nahm. Oft meinen wir, jede beliebige Nachricht bestehe nur aus sich selbst und der eigentlichen Information, die dem Empfänger gilt. Natürlich ist der zu kommunizierende Sachverhalt wichtig, doch schwingen auf ein und derselben Kommunikationsbahn drei weitere Stimmen jeweils ungefragt mit, die nicht mundtot gemacht werden können: Selbstoffenbarung, Beziehung und Appell. Im Klartext bedeutet dies, dass eine von Mensch zu Mensch zirkulierende Information ihren Wert vollständig verliert, wenn der Sender meint, dass Zuhören und Sprechen zwei verschiedene Dinge sind, und man selbst das Zuhören natürlich nicht nötig habe. Handhabt man die Möglichkeit aufklärender Rückfragen als unantastbares Verbot, entstehen wie aus dem Nichts Missverständnisse, die oft nicht als solche erkannt werden. In jeder Kommunikation basiert Übereinstimmung auch auf der Interpretation unterschwelliger Gefühle. Auf einem bestimmten Ohr beispielsweise hört man ganz besonders gerne zu. Nicht leugnen kann man, auch noch andere Ohren zu haben, spricht aber nicht über diese, möchte man doch der Welt ein Selbstbild ohne wunde Punkte vorhalten können.

Dr. Eike Kohler, Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, ging in seinem Referat „Das innere Team“ einige Schritte weiter als Regine Kellermann. Laut Friedemann Schulz von Thun bestünden nicht nur zu vermittelnde Informationen aus vier verschiedenen Ebenen, nein, auch die Bedürfnisse der Kommunikationspartner können anhand ein und desselben Gegenstandes erstaunlich weit auseinanderdriften. Einleuchtend stellte Dr. Eike Kohler dar, woher das Verhalten eines Menschen herrühre, den seine Umwelt als notorischen Querulanten abstempelt. Erlebe jemand das Pech, dass eigene und gut gemeinte Ansätze nicht greifen, kann der unbefriedigte Durst nach sichtbarem Erfolg in gewollt negative Kommunikationsbahnen führen. Derartige Haltungen anderer Menschen zu verstehen, erfordert vor allem eines: Zuhören. Auf das Zuhören folgt das Verstehen. Und letztendlich kann auf Verstehen das Akzeptieren folgen, muss aber nicht. Zuhören und Verstehen muss, Akzeptieren muss nicht. Verweigert man jedoch schon anfängliches Zuhören, führt man sich selbst und andere in die Sackgasse. Am einleitenden Kurstag verhängte Regine Kellermann freundlich das im Evangelischen Studienzentrum Josefstal streng einzuhaltende Gebot, einander zuzuhören.

Innerhalb kurzer Zeit begannen die Kursteilnehmer, Freundschaften und gedankliche Netzwerke untereinander zu spinnen. Bald gewöhnte man sich an die täglichen Morgen- und Abendandachten und stellte überrascht fest, dass ein und dasselbe Vaterunser neue Anstöße zum Reflektieren gibt, hört man es in zehn verschiedenen Muttersprachen gleichzeitig. An das bunte Farbspektrum urchristlichen Gebets in Josefstal kommt der monochrome Geräuschpegel eines in der eigenen Heimatkirche gesprochenen Vaterunsers nicht heran. Regine Kellermann brachte es auf den Punkt: das Christentum ist größer als meine eigene Meinung.

Christliche Botschaft und weltlicher Unfrieden

Sehr beruhigend wirkte während des neun Tage langen Miteinanders die deutliche Trennung zwischen geistlichen und weltlichen Programmpunkten. Die Mitglieder des internationalen und multikonfessionell besetzten Organisationsteams moderierten die offenen Gesprächsrunden allzeit neutral. Heinz Dunkenberger-Kellermann, Ansprechpartner der ELKB für Ökumenisches Lernen, Pfarrer Rainer Brandt, Leiter des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e.V., sowie Remus Marian, orthodoxer Priester und in der Verwaltung des Patriarchats der Orthodoxen Kirche Rumäniens in Bukarest tätig, gehörten dem Team des Ökumenischen Studienkurses an, ebenso auch Orsi Végh von der Römisch-Katholischen Kirche Ungarns, Éwa Sliwka seitens der Lutherischen Kirche Polens und Dr. Eike Kohler, die hochprofessionell das nötige Übersetzen aus dem Deutschen ins Englische und umgekehrt beherrschten. Nicht zuletzt ist auch Noémi Bodnar, Vertreterin der Reformierten Kirche in der Slowakei, zu nennen, die den aus Kursteilnehmern gebildeten Chor dirigierte.

Dunkenberger-Kellermann erklärte unzweideutig, dass die gastgebende ELKB die maximale Dehnbarkeit der ökumenischen Spannungskurve ausloten wolle. Auch gab er vorab die Entwarnung, der Kurs verstehe sich keinesfalls als ein akademisch geprägtes Treffen Handverlesener und habe demzufolge auch nicht mit schriftlichen Stellungnahmen aufzuwarten. Der hochgeistige Vortrag „Kommunikation mit, zu und über Gott“ des Kursteilnehmers Esbjörn Särdquist, Pfarrer in der Diözese Skara der Schwedischen Kirche, ging in der Aufmerksamkeit der knapp 50 Zuhörenden merklich unter. Kaum eine Person, die dessen Gedankengänge mitverfolgen konnte. Der Herr aus Skandinavien hatte den rechten Vortrag parat, nicht aber ein hierfür geeignetes Publikum vor sich sitzen. Europäische Kommunikations- und Friedensrezepte bestehen nicht vorrangig aus theoretischen Impulsen.

Die Theologie auch für begeisterte Nicht-Theologen aufbereiten, dazu stand und steht der Ökumenische Studienkurs im oberbayerischen Josefstal. Europa ist nach wie vor ein christlicher Kontinent, doch was tun, wenn einzelne Mitglieder der Führungsriege aus der Reihe tanzen und dem Christentum eigenmächtig die Flügel stutzen? Tschechiens Präsident Miloš Zeman sowie auch die aufgescheuchte Landesbevölkerung, die den erklärten Migrationsgegner am 27. Januar 2018 zu ihrem Staatspräsidenten wählte, sind Beweis für Tschechiens aktuell bedenkliche Haltung: „Dieses Land ist unser Land, es ist nicht für alle da und kann auch nicht für alle da sein“, so Miloš Zeman 2015 in einer Weihnachtsansprache.

Pfarrerin Silvia Kammanova vertrat in Josefstal die Diözese Brünn/Brno der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche, die sich am 1. Februar 2018 öffentlich von der durch ordentliche Wahl legitimierten Schieflage losgesagt hat: „In diesem Zusammenhang bringen wir auch unsere Sorge und unsere Missbilligung über den wachsenden Einfluss extremistischer, fremdenfeindlicher Tendenzen, Bewegungen und Parteien und das Erstarken ihres Einflusses in unserem Land zum Ausdruck.“

Einheitskirche Europa – ein schweres Stück Arbeit

Traurig, dass die imaginäre Trennung zwischen Ost und West bislang aus Europa nicht entweichen kann. Die Begegnung mit dem erfahrenen Priester Aleksandar Djakovac vonseiten der Orthodoxen Kirche Serbiens und dem jungen Kleriker Ruslan Ahmathanov aus dem Moskauer Patriarchat der Orthodoxen Kirche Russlands beeinflusste die ökumenische Spannungskurve, die ihren emotionsgeladenen Höhepunkt während der letzten Kurstage erreichte, maßgeblich. Beiden Vertretern der Ostkirche missfiel der Vortrag von Kirchenrat Waldemar Pisarski, Theologe und Pfarrer mit klinischer Seelsorgeausbildung. Pisarski führte ein Tai-Chi-Entspannungsmuster vor und fragte in den Raum: Was spricht dagegen, als Christ fernöstliche Rituale anzuwenden? Zwischen ihm und den beiden Kursteilnehmern aus Russland und Serbien entwickelte sich ein reger Disput. Verstehen kann man die Angst von Aleksandar Djakovac, dass bei Nutzung von Therapien nicht-christlichen Ursprungs die eigene christliche Identität quasi verwackelt. Doch ist so ein Vorurteil mit pro-europäischer Zivilhaltung nur schwer vereinbar.

Augenscheinlich verhält sich die im Osten landläufig EU-kritische Einstellung nicht direkt proportional zum Alter, da auch der junge russische orthodoxe Prediger Ruslan Ahmathanov mit spitzen Vorwürfen aneckte. So auch am Ausflugstag nach München, als die gesamte Belegschaft des Studienkurses im Landeskirchenamt der ELKB gespannt dem Vortrag von Susanne Breit-Keßler lauschte. Die Rede der Karrierefrau und Regionalbischöfin des Kirchenkreises München-Oberbayern der ELKB sprach dem Großteil der Kursteilnehmer aus der Seele. In Sachen Fundraising für kirchlich-humanitäre Zwecke ist Susanne Breit-Keßler eine Ausnahmekönnerin, dabei rät sie aber auch zu einer hohen Dosis Selbstlosigkeit: „Eigennutz als Zweck zerstört ganze Gesellschaften!“ Wie Zucker ins Blut ging der Satz in das Langzeitgedächtnis einiger Kursteilnehmer aus Osteuropa. Ruslan Ahmathanov versuchte, die Argumente Susanne Breit-Keßlers auszuhebeln, doch fußt alles, was die Regionalbischöfin zum Besten gab, restlos auch auf der Nachricht des Neuen Testaments. Wie man denn in Bayern die göttliche Berufung zum geistlichen Dienst feststelle, wollte Ruslan Ahmathanov zudem von Kirchenrätin und ELKB-Ausbildungsreferentin Isolde Schmucker wissen.

Verliert sich die Linientreue manch eines orthodoxen Kanonikers nicht ins Lächerliche? Denn auch der Osten Europas stünde derzeit nicht da, wo er steht, würden EU-Spitzenpolitiker westlicher Industrieländer ihr eigenes Christsein vergessen und wirtschaftlich-kulturelle Netzwerke nicht mehr weiter in die ex-kommunistischen Staaten expandieren. Wohl ist das Misstrauen gegenüber europäischen Nachbarn auf der Seite der Ostkirche größer als in der Westkirche. Und doch könnte das Schweigen des serbischen Priesters Aleksandar Djakovac während der zweiten Kurshälfte auch der Anfang liberalen Umdenkens auf vormals tief kommunistischer Seite gewesen sein, da die Verschwörungstheorie, derzufolge der kapitalistische Westen im Osten unlautere Ziele verfolgt, mit der tatsächlichen Suche nach europäischem Frieden nichts gemein hat. Oder kann ein orthodoxer Geistlicher einen noch besseren Wunsch als denjenigen nach Frieden kommunizieren?

Verständnis für orthodoxe Traditionen aufbringen

Ein aufschlussreiches Begriffserlebnis in Bezug auf die christliche Lehre nach orthodoxem Muster war der Vortrag „Liturgie und Eucharistie als spezielle Wege, mit Gott zu kommunizieren und mit der christlichen Gemeinde zu kommunizieren“ von Gastredner Prof. Dr. Daniel Benga, Dozent für Liturgik, Patrologie und Alte Kirchengeschichte an der Fakultät für Orthodoxe Theologie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Nicht-orthodoxe Christen erhielten tiefe Einblicke in die transzendentalen Hintergründe orthodoxer Gottesdienste. Orthodoxen Theologen vom Format eines unvoreingenommenen und fließend Deutsch sprechenden Prof. Dr. Daniel Benga zuzuhören, beseitigt Wissenslücken. Erneut galt es, nichts akzeptieren und im eigenen Leben umsetzen zu müssen, sich aber zum Zuhören und Verstehen durchringen zu können. Prof. Benga selbst unterscheidet zwischen nationalem Kulturgut und nationalistischem Gedankengut und gesteht bei genauerem Nachfragen zwischen den Zeilen ein, dass Orthodoxe Kirchen bei Anwendung extremistischer Tendenzen und Übersteuerung des Auftrages, allein nationales Kulturerbe zu erhalten, teils falsche Richtungen einschlagen.

Nicht nur mit seinen Nachbarn, auch mit sich selbst hat Europa zu ringen. Längst vorbei ist das Zeitalter der Kreuzzüge. Doch der Versuch des Abendlandes, Kapitalismus und Wohlstand in den Osten zu verpflanzen, ist er nicht ebenfalls eine Art Kreuzzug? Wie viele andere Europäer gibt auch Heinz Dunkenberger-Kellermann gerne zu, diese Frage instinktiv mit einem „Nein“ beantworten zu können. Nur hängt eben dieses Können stark von den jeweiligen Gesprächspartnern ab. Und im Zweifelsfall von guter Kommunikation.