Wenn das Prekariat eine Verbrecherbande vor der Justiz schützen soll

Die PSD-Großkundgebung offenbart mehr als nur den Riss in der Gesellschaft

Nach der Demo: Berge von Müll auf der Piața Victoriei. Den herbeigeeilten Reinigungskräften kamen zur Säuberung ihres Protestplatzes Anhänger der #Rezist-Bewegung zu Hilfe.
Foto: Agerpres

Zunächst ein paar Fakten: Etwa 200.000 Bürger aus allen Landes-teilen haben am Abend des 9. Juni 2018 vor dem Sitz der Regierung Rumäniens für Demokratie und Wohlstand und gegen den Antikorruptionskampf, gegen den Parallelstaat, gegen das von Traian Băsescu ins Leben gerufene und von Klaus Johannis geerbte System der geheimdienstlichen Überwachung und Abhörung, gegen die unterjochte Justiz sowie gegen die strafrechtliche Verfolgung der politischen Gegner protestiert. Die Sozialdemokratische Partei hatte ihr Organisationstalent unter Beweis gestellt, PSD-Kreisverbände, von Sozialdemokraten geleitete Kommunalverwaltungen und ihnen nahe stehende Unternehmer haben die Fahrt der Abertausenden nach Bukarest organisiert und bezahlt.

Der große Anführer, Liviu Dragnea, sprach etwa 40 Minuten. Vor ihm hatten der eindeutig verwirrte Abgeordnete Liviu Pleșoianu, die sichtlich gestörte Bukarester Oberbürgermeisterin Gabriela Pandele-Firea, die funktionale Analphabetin Viorica Dăncilă, die angeblich der Regierung vorsitzt, sowie Dragneas peinlicher Pudel, der so hässlich gealterte Călin Popescu Tăriceanu, das Wort ergriffen. Was sie sagten? Nichts. Nichts Neues zumindest. Băsescu und Johannis sind schuld, der Parallelstaat ist ihre Schöpfung, ihnen ergebene Geheimdienstler, Staatsanwälte, Richter und Politiker zerstören Schicksale und Menschenleben, verhaften willkürlich unschuldige Menschen, veranstalten eine Hexenjagd nach der anderen und untergraben den von der PSD-Regierung mit großer Sorgfalt aufgebauten Wohlstand, kürzen Renten und Löhne, zwingen Millionen fleißiger Bürger, auf Arbeitssuche ins Ausland zu gehen und agieren im Allgemeinen gegen die Verfassung, gegen den Rechtsstaat und gegen das Volk.
Dieses sei aber nun erwacht und der Parallelstaat, den die PSD zerstören werde, zittert vor Angst. Der skurrile Pleșoianu sagte sogar, das Monster hätte sich bereits in einem Zimmer eingesperrt und würde auf sein Ende warten oder so etwas. Ein Witz wollte das sein, er war genauso langweilig wie Dragneas unendlich lange Rede, bei der die Langeweile die Parteigenossen überkam, sodass sie sich langsam auf den langen Weg nach Hause machten. Währenddessen erzählte Dragnea etwas von Ratten und deren Mist, den nun seine Partei beseitigen werde. Das übriggebliebene Meer an Pappe, Plastik und sonstigem Müll spricht Bände.

Eine Partei, die sich seit 2016 anschickt, auch hierzulande eine illiberale Demokratie zu errichten und dabei, genauso wie in den 1990er Jahren, den Staat ausplündert, fühlt sich nun bedroht und ruft ihre Klientel zur Hilfe. Weil diese freiwillig nicht kommt, wird sie mit entsprechenden Mitteln überzeugt, die Reise nach Bukarest anzutreten. Dafür beschlagnahmen die Organisatoren Busse, Kleinbusse, Autos und Züge, nötigen freie Unternehmer unter Drohungen, Transportmittel zur Verfügung zu stellen, drohen Kleinangestellten mit dem Rausschmiss, versprechen Sozialhilfeempfängern, keine Arbeit mehr leisten zu müssen, wenn sie nach Bukarest kommen, locken mit Speis´ und Trank, versprechen sogar, wie ein Bürgermeister im Kreis Sathmar, die Besichtigung einer Sehenswürdigkeit auf dem Weg in die Hauptstadt.

Zahlreiche Straftaten haben PSD-Vertreter in der vorigen Woche begangen, um den Auftrag der Parteiführung zu erfüllen. Man muss nur ein bisschen durch den Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs blättern, denn schnell wird man fündig: Drohung, Erpressung, Amtsmissbrauch. Sicher, eine Anordnung der Parteispitze wird nicht kommentiert, sondern befolgt, so war das vor 1989 und auch nachher. Die Front der Nationalen Rettung hat es den heutigen Sozialdemokraten im Januar, im Februar und im Juni 1990 sowie im September 1991 vorgemacht. Wenn die Demokratie bedroht ist, rollen rappelvolle CFR-Züge in Richtung Bukarest, an Bord harmlose Bergarbeiter. 2018 gibt es weder die Bergarbeiter, noch die Züge mehr, dafür aber die Sozialhilfempfänger, die Unternehmer, die an der Kasse der einen oder anderen Gemeinde hängen, die Parteimitglieder, denen die PSD zu Wohlstand verholfen hat, die Beamten, die um ihre Stelle bangen, die Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen, deren Gehälter von der Füllfeder des Bürgermeisters abhängen, die minder Betuchten, die für die Sozialdemokratische Partei stimmen, weil ihnen ein bisschen mehr Geld versprochen wird.

Es ist ein Dunkel-Rumänien, das am Samstagabend die Bukarester Piața Victoriei besetzt hat. Es sind die Vertreter jenes Teils der Gesellschaft, der zurückgeblieben ist, es sind die Verlierer, die ins Abseits Gedrängten, die Benachteiligten, die Armen, die Ungebildeten, deren alleinige geistige Nahrung das Fernsehen ist, die treuen Zuschauer von Antena 3 und România TV. Und alle, die diese Schicht von Millionen manipulieren, die ihnen erklären, dass sie geschützt werden müssen, damit sie sich weiterhin bereichern und damit sie von der Justiz für immer in Ruhe gelassen werden.

Denn was ist am Samstag eigentlich geschehen? Eine Regierungskoalition, die seit eineinhalb Jahren das Land kaputtregiert, hat die Menschen aufgerufen, gegen die Justiz, gegen die Staatsanwaltschaft und die Geheimdienste zu protestieren, also gegen all jene, die den Missbrauch und die Korruption verhindern können. Es ging nicht um Wohlstand und Demokratie, es ging nicht um Übergriffe der Justizgewalt oder um die Absetzung von Kövesi, es ging allein um das Schicksal einer Verbrecherbande, deren größter Verbündeter die Ignoranz, das Unwissen, die mangelnde Bildung von Millionen abgehängter Bürger dieses Landes ist.

Wahr ist, dass niemand diese Bürger dermaßen beleidigt, dermaßen herabsetzt wie die angeblich sozialdemokratische PSD und ihre Spitze. Traurige, an Absurdität kaum zu überbietende Bilder sind am Samstag über die Bildschirme gegangen: Geringverdiener, Ersatzlehrer, kleine und kleinste Beamte, halb verschlafen und todmüde von der langen Fahrt auf überfüllten Straßen, mit Plastikflaschen und Pappbechern in den Händen, hören der wirren Rede eines Liviu Pleșoianu zu, der uns allen damit droht, dass er bald auch auf Englisch sprechen wird, damit ihn die ganze Welt versteht. Vor ihm spricht die groteske Oberbürgermeisterin, die sich zwar nicht des Englischen, dafür aber der Verse Mihai Eminescus bedient. Schließlich müsse das Land wieder für Freiheit kämpfen. Eine Peinlichkeit sondergleichen. Kurz: Eine Schar von Neureichen zieht sich alberne Volkstrachten an und bestellt das Prekariat nach Bukarest, in der heißen Hoffnung, dass der Pförtner und die Putzfrau der Allgemeinschule einer oltenischen oder moldauischen Gemeinde sie vor der DNA schützen werden.

Es sind nicht die sogenannten Eliten, die Protestler vom Januar und Februar 2017, die Mitglieder der „Corupția Ucide“-Bewegung oder die Anhänger von Dacian Cioloș, die auf die von der PSD zusammengetrommelten Bürger herabschauen und sie verabscheuen. Nein, es sind gerade die Parteispitze der PSD und der ALDE, ihre reiche Parteiklientel, die ihnen treuen Medien und die zwielichtigen Gestalten, die am Samstagabend in die Menge getaucht sind, die diese verabscheuen, die sie für ihre Zwecke missbrauchen, die sie in Armut und Unbildung halten wollen.

Denn es waren nicht nur die sozial Benachteiligten auf der Piața Victoriei, es waren auch die Kleingauner, die Zweit-, Dritt- und Viertbänkler in den Kommunalräten von Kleinstädten. Jene, die, da „ihre Partei“ an der Macht ist, sich davon einen Gewinn versprechen – einen Posten bei einer Behörde, einen Liefervertrag, ein kleines Geschäft. Die Sorte zweitrangiger Parteimitglieder aus der Provinz, die emporkommen wollen, die unbedingt von den Spitzen gesehen werden wollen, die sich besonders hervortun, die für die Causa wie kein anderer kämpfen. Und die nie einen ordentlichen Beruf gelernt haben, die nie einer ordentlichen Arbeit nachgegangen sind.

Zurück zur großen Kundgebung jedoch: Sie dürfte ein Flop gewesen sein. In erster Linie konnte die Partei, die alleinige Erbin der RKP, nicht so viele Leute nach Bukarest bringen, wie zunächst angekündigt. Auf der Piața Victoriei waren keine 600.000 Bürger, wie Dragnea sagte, im besten Fall waren es etwa 200.000. Sicher, ein Zahlenvergleich wirkt naiv, denn nicht die Zahl als solche spielt eine Rolle, sondern die Botschaft, die die PSD vermitteln wollte. Eine Botschaft der Stärke, des Missbrauchs dieser Stärke in der Auseinandersetzung mit der politischen Opposition, den Staatsgewalten, die sich noch nicht ergeben haben sowie mit jenen, die anders denken und handeln.

Trotzdem: Es gab Widerstand. Nicht überall im Lande ließen sich die Leute wie Vieh nach Bukarest karren, auf Facebook und in den Lokalmedien erzählten viele, wie ihnen gedroht wurde, wie sie offen erpresst wurden. Vor Ort ging es kaum besser, während Dragneas langweiliger Rede gingen bereits einige weg. Das gemeinsame Singen der Hymne erwies sich als einer der lächerlichsten Augenblicke des Abends, die Show mit den Handy-Taschenlampen war ein Fiasko, Emotionen weckte sie nicht. Die übriggebliebenen Berge an Müll sorgten für den Rest, auch wenn sich das Oberbürgermeisteramt im Anschluss bemühte, diese in allerhöchster Eile zu beseitigen. Eine solche Kundgebung sollte ja Emotionen wecken, doch sie tat es nicht. Den Reden der PSD-Prominenz fehlte das Salz, selbst für reine Anhänger wirkten sie unglaubwürdig und einfach dumm. Andere Redenschreiber braucht die PSD, und zwar sofort, aber das sollte dann doch die geringste Sorge sein.

Die rumänische Gesellschaft ist gespalten wie noch nie, das steht fest. Aber es gibt einen viel wichtigeren Anlass zur Sorge, nämlich jenen, dass Dragnea & Co. bereit sind, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität des Landes, so viel noch davon übrig geblieben ist, für ihr persönliches Überleben zu opfern. Dass sie überhaupt keine Rücksicht auf Verluste mehr nehmen, dass sie mit einer Hand den Rechtsstaat demolieren und mit der anderen Gesetze verabschieden, wie zum Beispiel jenes zur Gründung des staatlichen Investmentfonds, die Rumäniens Wohlstand in der Tat für Jahrzehnte gefährden.

Andererseits: Der verteufelte Parallelstaat hat am Wochenende nicht mitgespielt. Staatspräsident Klaus Johannis äußerte sich am Samstag nicht. Und einen Tag zuvor hatten die Richter des Hohen Gerichts- und Kassationshofs ihr Urteil in der Akte Dragnea einfach vertagt, sie vermieden so die Umwandlung des höchstwahrscheinlich bald erneut verurteilten PSD-Chefs in einen Helden des Kampfs für Gerechtigkeit und gegen die gebeugte Justiz des angeblichen Parallelstaats.

Eine zweite Kundgebung wird Dragneas Trupp kaum mehr veranstalten können, sollte er bald verurteilt werden. Der sich längst in einer heißen Phase befindende Kampf der PSD gegen den Rechtsstaat dürfte in die entscheidende Runde gehen. Sein Ausgang hängt zweifellos von ein paar wenigen Menschen ab, die weiterhin Schlüsselpositionen bekleiden, allen voran Präsident Johannis. Aber natürlich geht es auch um seine Unterstützung durch übernationale Instanzen, allen voran die Europäische Union. Und um den Widerstand der Aufrichtigen, der Integren, der heuer so gefragt ist wie selten zuvor.