Wenn Journalisten mehr schreiben als lesen

Ein Nachruf auf die Traditionspresse oder wie man mit einer Zeitung die Nerven verliert

Symbolfoto: pixabay.com

Der Leser sei vorgewarnt: Den folgenden Text unterzeichnet einer, der acht Jahre lang Journalist war und es heute nicht mehr ist. Und der beim Verfassen dieses Textes sich deshalb die Arroganz erlaubt, als Zeitungsleser aufzutreten. Nicht als Zeitungsmacher. Als einer, der Presse konsumiert, für den das Zeitungslesen einfach zum Alltag dazugehört. Seit etwa 20 Jahren. Ein Nostalgiker also, dem es in Zukunft sehr schlecht gehen wird. In jener Zukunft, in der die Druckpresse zu einem reinen Museumsstück verkommen sein wird. Und Informationen nur noch bei Facebook gelesen werden dürfen, im Notfall geprüft und zertifiziert durch das Ministry of Truth, das allgegenwärtige Wahrheitsministerium.
Zunächst also ein paar Fragen: Wie viele Zahlen kann man dem durchschnittlichen Zeitungsleser in Rumänien zumuten? Kann man eine Zeitung mit Statistiken, mit Zahlenkolonnen, mit Grafiken, Wachstumskurven, Vergleichstabellen füllen? Nein, auf keinen Fall. Wie viel Fachjournalismus gehört in ein allgemeines Tageblatt? Muss der Wirtschaftsjournalist über fundierte Wirtschaftskenntnisse verfügen, um über das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts schreiben zu dürfen? Muss der Lokaljournalist einen Kurs in Verwaltungswissenschaften belegt haben, um über die Angelegenheiten des Kreisrates zu berichten? Und: Sollte jener, der über die Justiz schreibt, unbedingt ein Jura-Diplom vorlegen? Oder der Sportjournalist selber Fußball spielen?

Vor Jahren hätte man in Deutschland, auf dessen Qualitätspresse man von hier aus immer wieder mit Bewunderung geschaut hat, diese Fragen mit einem sicheren Ja beantwortet. Oder zumindest einige von ihnen. Vielleicht muss der Sportjournalist nicht selber Fußball spielen, aber wie die Wirtschaft funktioniert, sollte derjenige schon wissen, der sich einen Wirtschaftskommentar zutraut. Und über gute Rechtskenntnisse sollte derjenige schon verfügen, der dem lesenden Publikum erklärt, warum eine Straftat wie Amtsmissbrauch einen Mindestschadenssatz braucht oder nicht.
In Rumänien dagegen hat man lange Jahre nach 1989 geglaubt, dass man mit oder ohne Hochschulabschluss über alles schreiben kann. Am besten aber mit einem Abschluss in Journalismus, einschlägige Fakultäten hatten über Jahrzehnte Hochkonjunktur. Sie bescherten den Lesern Journalisten, die innenpolitische Analysen genauso gut wie Wetterberichte schreiben konnten, zumal die Wetterdaten das Meteorologische Institut liefert und man nichts falsch machen kann. Regnet es, obwohl Sonnenschein vorausgesagt war, wird doch keiner den armen Journalisten zur Rechenschaft ziehen. Oder den, der die Wetter-App auf dem Smartphone entwickelt hat, eine Art Zukunftsjournalist mit soliden IT-Kenntnissen.

Was die Innenpolitik betrifft, na ja, wer soll da den Durchblick haben? Also kann man da auch nichts Falsches machen – die Ausrede, in Rumänien käme sowieso immer alles anders als gedacht oder erhofft, hält immer. Lebt man doch hier noch immer an der Pforte des Orients, „oů tout est pris ŕ la légčre” (wo alles auf die leichte Schulter genommen wird), wie der Franzose Raymond Poincaré schon im Jahre 1900 wusste, als er als Anwalt einen französischen Unternehmer gegen den rumänischen Staat erfolgreich vertrat.
Inzwischen ist die Presse auch im Westen verkommen, dass das so ist, wissen inzwischen alle. Man schaue sich doch nur die Internet- und Facebook-Auftritte seriöser Publikationen an, wie zum Beispiel „Der Spiegel“. Es gibt knurrende Kätzchen, liebevolle Baby-Hippos oder kleine Eisbären, spielende Kinder, Diät-Empfehlungen, Fitness-Apps zum Downloaden und dergleichen. Alles schön garniert mit ernsthaften Berichten über den türkischen Wahlkampf mitten in Deutschland, seriöse Kritik an Donald Trump und Brexit-Analysen. Ein Salat, wie ihn sich vor Jahren kein Zeitungsmacher von Kaliber vorstellen konnte.

Rumänien kann da keine Ausnahme sein. Facebook, Fake News, die postfaktische Welt, jeder schreibt, was ihm so durch den Kopf geht. Und wann er Lust hat und wie er Lust hat, im Deutschen wie im Rumänischen ist die Grammatik inzwischen nur noch eine Option. Der Begriff des Grammar Nazi hat inzwischen Schule gemacht, man darf nicht einfach einen kritisieren, wenn er von Rechtschreibregeln absieht. Auch keinen Journalisten? Keinen, der im Fernseher spricht, tagein, tagaus, und immer wieder dieselben Fehler macht, bis man sich selbst fragen muss, wie es nun richtig ist? Auch keinen, der in einer sogenannten Internet-zeitung die rumänische Sprache derart verunstaltet, dass man keinen Artikel fertig lesen kann, ohne dabei die Fassung zu verlieren?
Man schaue sich die Traditionspresse in Rumänien an. Oder das, was von ihr übriggeblieben ist. Adevărul, România Liberă, Evenimentul Zilei und die Lokalpresse. Ein Beispiel nur aus der Lokalpresse, die Temeswarer Zeitung „Renaşterea Bănăţeană“. Heute wie schon früher sind die Todesanzeigen das einzig Lesenswerte. Denn wenn die besagte Zeitung Skandale aufdeckt, Missstände enthüllt und Ungerechtigkeiten anprangert, muss man sich zunächst die Geduld nehmen, um zwei oder drei volle Zeitungsseiten zu lesen. Aber am Ende muss man sich immer wieder fragen: Was hat der Journalist denn verstanden aus der ganzen Geschichte? Warum berichtet er seitenweise über Belanglosigkeiten und bringt das wahrhaft Brisante am Ende und dann auch nur in einem knappen Satz? Warum wird der Kern der Geschichte in drei Worten abgefertigt, während der Leser nur mit Müh und Not mit einem Text kämpft, in dem es seitenweise nur um Nebensächliches geht? Zeitverlust pur.

Die Antwort lautet: Weil der Autor von Verwaltung wenig versteht. Oder von Volkswirtschaft oder von dem Justizwesen. Weil er mit den Begriffen und Konzepten einer Materie nicht vertraut ist und weil er sich die Mühe nicht macht, zu lesen. Mit dem Bleistift hinter dem Ohr nachzuschlagen. Allgemeinbildung? Fehlanzeige! Die meisten glauben, schnell zu verstehen, worum es geht. Am Ende beweisen sie dann glanzvoll, dass sie doch nichts verstanden haben. Oder nur wenig, zu wenig, um andere zu informieren, um ihnen die Augen zu öffnen, sie aufzuklären. Warum? Weil man weniger schreiben sollte, als man liest. Und nicht umgekehrt. Deshalb sind Rumäniens heutige Journalisten allzu leicht manipulierbar. Sie berichten über das, was ihre Informationsquelle in der Zeitung auch sehen will. Nicht mehr, nicht weniger.

Natürlich, alles hängt vom Geld ab, die Bezahlung der Journalisten bleibt in Rumänien ein schwieriges Problem. Wer eine Zeitung betreibt, betreibt ein Geschäft. Genauso wie man einen Blumenladen betreibt oder eine Bar oder eine Wurstwarenfabrik. Am Ende muss das Geschäft schwarze Zahlen schreiben. Klar. Eine so wenig gebildete Leserschaft begnügt sich mit ungebildeten, schlecht bezahlten Journalisten. Ein perfekter Teufelskreis eben. Kleine Lichtschimmer gibt es in dieser Tristesse aber schon. Natürlich im Internet. Seiten wie cursdeguvernare. ro oder republica.ro, teilweise dilemaveche.ro bieten einem schon jene Texte, Kommentare und Analysen, die beim Verstehen des Zeitgeschehens eindeutig helfen. Aber sie sind keine Zeitungen im klassischen Sinne. Keine Allgemeinpresse. Die gibt es auch, ebenfalls im Netz, hotnews.ro zum Beispiel oder ziare.com. Alles eben Geschmackssache.

Solche Internetseiten sind Meinungsplattformen, betrieben von Leuten mit wissenschaftlichem Background, die für überdurchschnittlich gebildete Leser schreiben und in der Regel auch eine gewisse politische Couleur teilen. Im Grunde nicht schlecht, aber sie verfügen über einen beschränkten Empfängerkreis. Und dem Zwecke der Bildungsförderung, jenem hehren Ziel der Presse, werden sie deswegen nicht gerecht. Sicher, sie erfüllen ihn besser als Skandalblätter oder als die verkommene Traditionspresse, die den Schein der Objektivität längst nicht mehr zu wahren versucht und Intelligenz und Bildung des Lesers verunglimpft, ja sogar verhöhnt. Die Traditionspresse kann man überhaupt vergessen, von den ehemals führenden Zeitungen gibt es kaum noch eine, die sich lesen lässt. Dies gilt für die Landespresse und noch mehr für die Lokalzeitungen, deren Qualität inzwischen auf ein vor zehn Jahren noch kaum vorstellbares Mindestmaß gesunken ist.

Die Zeiten haben sich eindeutig geändert, den alten nachzutrauern hilft sicherlich nicht. Die Suche nach Informationen, nach klugen Kommentaren ist schwieriger geworden, in die Fallen des weltweiten Netzes tappt man leicht. Man sollte es da mit Kant halten, mit seinem von den Römern übernommenen Aufruf, man sollte den Mut haben, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Denn beim Versuch, die eigene Unmündigkeit zu überwinden, hilft einem heutzutage die Presse kaum mehr. Sie muss sich zunächst einmal selbst befreien. Nicht aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit, sondern aus der gedanklichen. Mittel gibt es, sie finden sich in Gebäuden, auf deren Tor das Wort Bibliothek steht. Ich glaube, mich erinnern zu können, dass früher auch Zeitungen über solche Räume verfügten. Aber manchmal spielt die Vergangenheit mit einem nur böse Spielchen...