Wenn sich Studenten und Professoren nur im virtuellen Raum treffen

Öffnung der Universitäten für freien Zugang zur Bildung

Die Fakultät für Computerwissenschaften an der Universität „Politehnica“ Temeswar wird ab dem Wintersemester 2016/2017 alle Vorlesungen für das erste Studienjahr exklusiv im virtuellen Campus anbieten. In einigen Jahren wird somit das Vorlesungsangebot lediglich in diesem digitalen Raum zu finden sein. Bereits in diesem Jahr hat die Universität „Politehnica“ 1300 Vorlesungen im digitalen Format ins Netz gestellt. Diese Zahlen wurden anlässlich eines Workshops zum Thema „Open Education“ im Rahmen der Open-Education-Woche an der oben genannten Universität bekannt gegeben. Nach und nach werden an den großen Universitäten in Rumänien Schritte in Richtung Digitalisierung gemacht. Studenten und Professoren tummeln sich neuerdings auf „E-Learning-Plattformen“, wobei es zurzeit noch beiderseits eines Lernprozesses mit dem Umgang mit den neuen Tools sowie mit dem neuen Fachjargon bedarf: „Moodle“ ist eine solche Plattform für das elektronisch unterstützte Lernen, „MOOC“ ist ein massiver offener Online-Kurs, unter „Open Education“ versteht man das politische Anliegen, Bildung frei verfügbar zu machen. Und das sind nur einige Schlagwörter der jüngsten Welle, die auf die Unis überschwappt.

Nicht alles läuft reibungslos. Zuerst verlangt es von den Lehrkräften gewisse „Skills“ (um nicht „Fertigkeiten“ zu schreiben, da wir schon bei den Neologismen sind, ohne die man im Hochschulbereich nicht mehr auskommt): Bis vor gar nicht so langer Zeit lagen die Vorlesungen als gedrucktes Buch vor, wurden ein-, vielleicht auch zweimal  bearbeitet. Heute muss der Professor lernen, diese Vorlesungen nun für das Online-Medium zu gestalten. Er muss lernen, mit der Plattform umzugehen und nicht zuletzt sich einen neuen Wortschatz aneignen, was den weniger computergewandten oder computerfreudigen Professoren schwerfällt. Auch ist es vorwiegend bei den älteren Semestern, die sich weniger mit Englisch und mehr mit Französisch oder anderen Sprachen befasst haben, der Fall, dass es ihnen schwer fällt, sich im Neologismen-Dschungel zurechtzufinden. Die Vorlesung wird jedes Jahr neu ins Netz gestellt, am besten überarbeitet. Da kann man gut verfolgen, wer wie viel tatsächlich geleistet hat. Da gibt es keine Vorlesungen mehr, die man 20 Jahre lang im selben Format vor den Studenten hält (daran erinnert man sich noch aus der eigenen Studienzeit). Also schon ein positiver Aspekt.

Nicht zuletzt bedarf es des Umdenkens: Denn es kommen Fragen auf, wie zum Beispiel das Autorenrecht. Besteht doch die – übrigens gerechtfertigte – Angst, dass es mit dem Copyright Probleme gibt, dass die „Contents“ (Inhalte, also), die man ins Netz stellt, dann über das Copy-Paste-System sich einfach so von Dritten unter den Nagel gerissen werden. Und dass damit die ganze Arbeit slage und schreibe für die Katz’ ist. Und es ist ein Problem mit dem „offenen Content“, mit den massiven frei zugänglichen Vorlesungen. „Massiv“ ist ein Online-Kurs ab 148 Studenten, erklärte Garbriela Grosseck von der Soziologie-Fakultät an der West-Universität Temeswar anlässlich des genanntenWorkshops. Was bei vielen Fakultäten an der West-Uni eigentlich kein Problem darstellt, denn im ersten Studienjahr kommen manch-mal auch 200 oder 250 Studenten zusammen (damit meine ich allerdings die allgemeinen Vorlesungen, die allen Spezialisierungen an der betreffenden Fakultät angeboten werden).

Man punktet – übrigens kommt der Trend aus dem Westen –, wenn man mehr MOOCs anbietet und so umso mehr Studenten hat. Studenten aus aller Welt können sich an einer Vorlesung in Yale, Oxford oder Cambridge anmelden, ein Professor hat dann vielleicht Tausende von Studenten im virtuellen Raum. Natürlich werden nicht alle die Prüfung bestehen. Der Rahmen eines Amphitheaters ist dann endgültig gesprengt. Früher war es eine Leistung, diesen mit stehenden oder auf Treppen hockenden Studenten, die keinen Platz mehr in den Bänken hatten, zu füllen. Jetzt spielt der Ort, wo sich Lehrer und Studenten (aber vor allem Studenten) gerade befinden, keine Rolle mehr. Ein Bedenken (ich hätte fast „concern“ geschrieben) haben einige Professoren noch: Bleibt die Qualität auf gleicher Höhe?
„Open Education“ geht mit einem anderen Schlagwort Hand in Hand: „Open Content“, Inhalte eben, deren kostenlose Nutzung und Weiterverbreitung urheberrechtlich erlaubt ist. Das Bestreben  ist, alle Forschungsergebnisse der Unilehrer unter diesen Hut zu bringen (ja, auch in Rumänien).

Für den gesetzlichen Rahmen wird demnächst gesorgt, hieß es bereits im Herbst vergangenen Jahres anlässlich einer anderen Tagung, der 3. Konferenz zum Thema „enformation: Der Zugang zur wissenschaftlichen Literatur“ (enformation ist kein Tippfehler, sondern hat wieder mit „elektronisch“ zu tun). Nach einer gewissen Schutzfrist, die gesetzlich geregelt wird und der Trend geht hier zu immer kürzeren Fristen, werden die Inhalte freigegeben. Aus der Perspektive des Nutzers ist dies eine demokratische Maßnahme. Würde man aber einen Hochschullehrer befragen, der in Rumänien meistens seine Teilnahme an Tagungen und Kongressen aus der eigenen Tasche bezahlt, fiele die Antwort anders aus. Nicht nur in Rumänien haben die Trends Fragen aufgeworfen. Vor allem eine wird dabei immer lauter: Wird das offene Klassenzimmer durch den elektronischen Fingerabdruck, den Professoren und Studenten hinterlassen, nicht etwa zu einem mega-überwachten Raum?