Wer will das Sozialhilfegesetz (nicht)?

Nach stillschweigender Annahme im Senat Debatten in Abgeordnetenkammer

Foto: sxc.hu

Nach Ablauf der von der Verfassung vorgesehenen 60-tägigen Frist, nach ständigen Blockaden auf beiden Seiten des politischen Spektrums, nach mangelndem Quorum und den daraus folgenden wiederholten Vertagungen, nach gescheiterten Verhandlungen und Kompromissversuchen verließ das neue Rahmengesetz zur Sozialhilfe den Senat stillschweigend (und trotz vorliegender Änderungsanträge seitens des Fachausschusses unverändert) und steht nun in der in diesem Fall federführenden Abgeordnetenkammer zur Debatte. 

Der Entwurf zum Sozialhilfegesetz stellt nur eines von den 50 Gesetzen dar, die allein im Monat Oktober dieses Jahres durch das Ober- bzw. das Unterhaus des Parlaments stillschweigend angenommen wurden. Was heißt das konkret?

Dass in all diesen Fällen, und in vielen anderen mehr, die gesetzgebenden Kompetenzen ausschließlich an eine Kammer delegiert wurden, dass sich das bikamerale Parlament dementsprechend monokameral verhält. Die Schuld werfen sich Regierungs- und Oppositionslager, wie übrigens erwartet, gegenseitig zu. „Unfähigkeit der Macht, deren Aufgabe es ist, das nötige Arbeitsquorum zu sichern“, beschuldigen PSD-isten und PNL-isten, „nichts als Boykott“ antworten die PDL-isten.

Versuchen wir den Hintergrund dieser Scharade im Fall des Sozialhilfegesetzes zu erläutern. Es handelt sich hiermit um ein prioritäres Projekt der Regierung, welches – um internationalen Verpflichtungen, aber auch dem anstehenden Haushaltsgesetz gerecht zu werden – schon am 1. Januar 2012 in Kraft treten müsste. Was sieht das mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarte Gesetz vor?

In erster Linie eine drastische Reduzierung der Abhängigkeit von Staatshilfen.
Die Zahl der gegenwärtigen 54 Beihilfekategorien soll auf neun zurückgefahren, Sozialhilfe nur noch nach genauer Bewertung von Eigentum und Immobilien genehmigt werden. Der Entwurf baut auf mehrere im europäischen Raum bereits anerkannte und angewandte Prinzipien, darunter die prioritäre individuelle und nur komplementäre staatliche Verantwortung bezüglich der Förderung von Fähigkeiten zur sozialen Integration und der Lösung persönlicher Krisensituationen.

In diesem Sinne will der rumänische Staat den Zugang zum Arbeitsmarkt von Sozialhilfeempfängern verstärkt begleiten und die pauschalen Unterstützungsprogramme gezielt mit solchen für gesellschaftlich schwache Kategorien ersetzen (bis vor Kurzem konnten – oder können mancherorts noch – beispielsweise alle Bürger, unabhängig von Einkommen und/oder Eigentum, Gebrauch machen von den Subventionen im Bereich der Zentralheizung).

Das Kabinett erhofft sich von diesem Gesetz eine Reduzierung der Kosten für die Sozialhilfe von 2,86 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2010 auf 2,14 Prozent im Jahr 2012 und 2, 08 Prozent im Jahr 2013.   

Schon im Sommer 2009 machte Präsident Traian Băsescu aufmerksam auf die unglaublich hohe Anzahl von Sozialhilfeempfängern, und zwar elf Millionen. Die Massenmedien berichteten und berichten immer wieder von skandalösen Zuständen, etwa von dem Dorf, in dem 100 Gemeindemitglieder als Blinde eingetragen sind und die entsprechenden Gelder beziehen (dass einige von ihnen Auto fahren, scheint keinen zu wundern).

Ohne Zweifel ist jedem einheimischen Politiker bewusst, dass Ordnung gehört in das rumänische Sozialsystem, dass Regeln erforderlich sind, die potenzielle Sozialhilfeempfänger genau bestimmen, dass Disziplin und Kontrolle gefragt sind in der Umsetzung des Gesetzes. Es leben viele Menschen in Rumänien, die abhängig sind von einer staatlichen Förderung. Die Notwendigkeit eines Rahmengesetzes in diesem Bereich steht nicht zur Debatte.

Wieso dann die bereits beschriebene Blockade seitens aller Fraktionen im Senat? Die Antwort liegt auf der Hand: Die oppositionellen Sozialdemokraten und Nationalliberalen nennen den Entwurf „sozialer Mord“ und bekämpfen ihn laut, auch wenn sie ihn hinter den Kulissen als Verhandlungsobjekt einsetzen. Die Parlamentsvertreter der regierenden Liberaldemokraten und ihrer Partner befürworten es zwar bei ihren öffentlichen Auftritten, trauen sich aber trotzdem nicht, ihre parlamentarische Zukunft durch solch eine unpopuläre (Spar)Maßnahme zu gefährden. Für alle Spieler zählen allein die 2012 anstehenden Wahlen.

Der Ball liegt nun im Feld der Abgeordnetenkammer. Es ist aber kaum zu erwarten, dass sich die Abgeordneten anders entscheiden werden als ihre Kollegen im Oberhaus. Sowohl Traian Băsescu als auch Vertreter der regierenden Parteien denken also bereits an eine alternative Lösung: wie schon so oft in dieser Legislaturperiode an die Stellung der Vertrauensfrage.