Wichtige Mittel zur Stiftung und Wahrung von Gemeinschaft

Neue Studie zum Bild deutscher Minderheiten in Europa veröffentlicht

„Heimaterde aufgegeben, jäh verzichtend auf hier leben, bleibend die Erinnerung: Ob dies ist Genugtuung?“ schreibt der Schriftsteller Hans Dama in seinem Gedicht „Verzicht“. Dama wurde kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs in Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare geboren. Wie viele seiner Generation verließ er Rumänien. Er suchte sein Glück in Österreich. Andere gingen in die Bundesrepublik Deutschland. Heute zählt die deutsche Minderheit in Rumänien unter 40.000 Menschen. In „Verzicht“ thematisiert Dama die Suche nach kultureller Identität. Er verweist so auf ein Grundproblem jeder Minderheit, die sich im Spannungsfeld von Selbstbehauptung und Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft bewegt.

In einer kürzlich erschienenen Studie fragt die deutsche Historikern Lou Bohlen nach der Verfassung und den Formen der Selbstvergewisserung deutscher Minderheiten in Polen, Rumänien und Ungarn. Dazu unterzog sie die deutschsprachigen Medien der jeweiligen Länder einer qualitativen Analyse. Ihr Ergebnis: Zeitungen, Radio- und Fernsehsendungen sind nicht nur Spiegel der Bevölkerungsgruppen, sondern auch ein wichtiges Mittel zur Stiftung und Wahrung von Gemeinschaft. Das Bild, das Bohlen dabei von den deutschen Minderheiten zeichnet, ist vielschichtig.
Die deutsche Minderheit in Polen befindet sich seit Beginn der 1990er Jahre in einem Wandlungsprozess. Es entstanden neue Strukturen der politischen Selbstverwaltung sowie eine deutschsprachige Medienlandschaft. Rundfunksendungen und Zeitungen sind überwiegend zweisprachig, da insbesondere bei der zweiten Nachkriegsgeneration die Beherrschung des Deutschen nicht mehr selbstverständlich ist. Die bilinguale Ausrichtung führe, so Bohlen, zu einer Erhöhung der Reichweite und unterstütze die Wiederaneignung von Sprache, Geschichte und Tradition. Die polnischen Medien verstehen sich als Interessenvertretung der Bevölkerung. Im Jugendbereich zeige sich, so die Verfasserin der Studie, eine grenzüberschreitende Orientierung nach Deutschland und Europa, welche vor allem durch Projekte realisiert wird.

Der deutschen Bevölkerungsgruppe in Rumänien attestiert Bohlen eine feste Verankerung in der Mitte der Gesellschaft. Neben der Vertretung der eigenen Interessen hat die deutsche Minderheit auch die Verantwortung für die rumänische Gesamtgesellschaft und deren Stellung in Europa im Blick. Die Berichterstattung in den Medien zeugt von einer stabilen und starken Bindung an die deutsche Sprache und Kultur. Es wird häufig über Traditionen, Feste und Bräuche berichtet. Zeitungen und Rundfunk würden damit, laut Bohlen, einen wesentlichen Beitrag zur Wahrung und steten Erneuerung der kulturellen Identität leisten. Die Medien „veranschaulichen die enge Bindung der beiden Konfessionen an die Gemeinschaften der Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen; zugleich reflektieren sie die enorme gesellschaftliche Anerkennung, die Mitglieder der deutschen Minderheiten in der rumänischen Gesellschaft und Politik genießen, aber auch beanspruchen“, heißt es in der Studie.

In Ungarn hat die deutsche Minderheit in den letzten Jahren mehrere Initiativen gestartet, die einer langsamen Erosion der eigenen Kultur entgegenwirken sollen. Dazu zählen die Selbstverwaltung von Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie Initiativen zur Förderung der Sprachkompetenz. Das Ziel ist die Wiederverankerung der Zweisprachigkeit der Menschen. Die Medien zeugen von einer starken Ausrichtung auf Traditionen, wie Tanz- und Trachtenvereine, und lokale Dialekte. Sie verweisen jedoch auch auf die Schwierigkeiten, diese Kulturelemente an die Jugend weiterzugeben. Junge Leute orientieren sich eher transnational. Sie zeigen wenig Interesse an Mundarten und Traditionen der Großeltern-Generation. Die deutschsprachigen Medien erfüllen, laut Bohlen, bei der Vernetzung auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene eine entscheidende Rolle und bilden ein wichtiges Debattierforum. Die Studie wurde im Juli 2014 vom Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart veröffentlicht. Sie trägt den Titel „Identität und Hybridität – am Beispiel der Medien der deutschen Minderheiten in den Ländern Mittel- und Osteuropas (MOE) als Identitätsstifter“ und wurde mit Geldern des Auswärtiges Amtes in Berlin gefördert. Die Arbeit erschien als gedruckte Broschüre, kann aber auch im Internet unter: www.ifa.de/publikationen/kultur-aussenpolitik.html abgerufen werden.