Wie demokratisch ist meine Stadt?

Vorstellung der Studie: „Das lokale Demokratiebarometer in Rumänien, 2012“

Expertenrunde bei der Konferenz „Das lokale Demokratiebarometer in Rumänien, 2012“, (von links nach rechts): Viviana Anghel (Pro Democraţia), Sven-Joachim Irmer (Konrad Adenauer Stiftung), Dr. Liliana Popescu (SNSPA), Dan Darabont (Vizebürgermeister Bukarest).
Foto: die Verfasserin

Haben Sie sich einmal die Frage gestellt, wie demokratisch die Stadt, in der Sie leben, im Vergleich zu anderen ist? Und wenn ja – wie sollte man das überhaupt messen? Ist Demokratie nicht eher etwas Gefühltes – allein schon schwer in Worte zu fassen, geschweige denn, sachlich zu bewerten? Mit der Studie „Das lokale Demokratiebarometer in Rumänien, 2012“ hat die rumänische Vereinigung Pro Demokratie (APD), unterstützt von der Konrad Adenauer Stiftung (KAS), nun erstmals ein Messinstrument geschaffen, das einer solchen Frage Sinn verleiht. Anhand eines einfachen Fünf-Dimensionen Schemas werden für jede Stadt Faktoren wie Transparenz der Entscheidungswege, Kommunikation mit dem Bürger oder zivile Initiativen  erhoben, verglichen und bewertet. Wie demokratisch ist also Bukarest im Vergleich zu Giurgiu? Oder Ghimbav im Vergleich zu Lugoj? Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen!

Das Schema des Demokratiebarometers ist einfach. Und doch handelt es sich um eine zumindest EU-weit einzigartige Neuheit, erklärt KAS-Leiter Sven-Joachim Irmer bei der Einleitung der Konferenz „Das lokale Demokratiebarometer in Rumänien, 2012“, die am 7. November im Hotel Howard Johnson in Bukarest stattfand. Die Studie basiert nicht, wie sonst üblich, auf Meinungsumfragen, sondern auf der Bewertung handfester Kriterien. „Erstmals haben wir damit eine sachliche Grundlage als Basis für eine Diskussion“, lobt Irmer.

Fünf Dimensionen des Demokratiebarometers

Das Demokratiebarometer nützt nicht nur Politikwissenschaftlern als interessantes neues Instrument, sondern ganz konkret als Feedback und – hoffentlich – Ansporn für Städte und Gemeinden, aber auch für die Zivilgesellschaft. Es mag Journalisten als Basis für weitere Recherchen dienen, Firmen als Hilfsmittel bei der Einschätzung des Invesitionsrisikos in bestimmte Regionen, oder im akademischen Medium Vergleichsstudien für andere Länder auslösen. Das Pilotprojekt von APD, durchgeführt 2012, umfasste 24 Lokalitäten, unterteilt in Groß- und Kleinstädte, wobei hier vorläufig nur die Ergebnisse von 16 Lokalitäten präsentiert werden. Eine ausführlichere Folgeveranstaltung sowie eine Fortsetzung der Erhebungen im nächsten Jahr sind bereits geplant. APD-Vizepräsidentin Viviana Anghel präsentiert die fünf Dimensionen, die das Etalon des Barometers darstellen:

 I.    Politische Teilnahme
II.   Zivilgesellschaft
III. Bürgerkultur
IV. Pressefreiheit
 V.  Effizienz der  Verwaltung

Politische Teilnahme

Darunter fallen Teilnahme an und korrekte Durchführung freier Wahlen, Interesse des Bürgers an Parteiarbeit, Anzahl der Petitionen und Bürgerinitiativen, Anzahl der Kandidaten für lokale Wahlen, Anzahl der wiedergewählten Kandidaten (im Blick auf Machtwechsel), Geschlechtergleichheit (Anzahl Frauen in Führungspositionen der Lokalverwaltung). Ganz oben in der Liste steht Bukarest Sektor 6, gefolgt von Temeswar/Timişoara und Klausenburg/Cluj-Napoca und Bukarests Sektoren 2, 3, Bukarest Global, Bukarest 5, 4, Giurgiu, Bukarest 1, Piatra Neamţ, Craiova und Brăila. Schlusslicht bildet Kronstadt/Braşov. Gesamt-Bukarest zeichnet sich vor allem durch eine große Anzahl von Bürgerpetitionen und Frauen in Führungsfunktionen aus. Kronstadt als Negativbeispiel hatte 37 Einsprüche in Bezug auf die korrekte Abwicklung der Lokalwahlen, neun Fälle von Bestechung, 6 Beschwerden wegen Behinderungen oder Einschüchterung im Zusammenhang mit der Ausübung freier Wahlen zu verzeichnen. Im Kleinstädte-Rating liegt Lugoj an der Spitze, gefolgt von Ghimbav, Târgu Neamţ, Turda, Segarcea, Ianca und Bolintin Vale. Typische Tendenzen bei den Kleinstädten sind: Mangelnde Möglichkeiten zur Teilnahme am politischen Geschehen, die Tendenz zur wiederholten Wiederwahl eines Bürgermeisters, höhere Teilnahme an Wahlen als in den Großstädten, leicht erhöhte Anzahl neu gewählter Stadträte im Vergleich zu wiedergewählten.

Zivilgesellschaft

Unter diesem Punkt werden Existenz und Aufgaben traditioneller und moderner Gesellschaften beobachtet. Als traditionell gelten Gewerkschaften, ethnische Vereinigungen, Sport- oder Fanclubs, als modern hingegen NGOs, die sich für sexuelle Gleichberechtigung, Umwelt, Behinderte, Mieterrechte o.ä. einsetzen. Betrachtet wurden nur aktive NGOs, nicht formell eingetragene. In den Großstädten sind beide Formen gut vertreten. In Bukarest dominieren moderne NGOs stark vor traditionellen. In Kleinstädten hingegen sind zivile Aktivitäten kaum vorhanden. NGOs gibt es vorwiegend auf der Basis ethischer oder religiöser Kriterien, finanziert werden sie meist vom Rathaus – problematisch aus Sicht der APD, präzisiert Anghel und empfiehlt eine Tendenz des Transfers der zivilen Initiativen von der Landkreiszentrale auf lokale Gemeinden.

Bürgerkultur

Zur Bürgerkultur gehören: Bürgeraktivitäten durch moderne NGOs, Petitionen und Bürgerinitiativen, Teilnahme an Demonstrationen, Streiks, Protesten, Anzahl der Anträge durch Bürger und NGOs, Anzahl der Meetings zwischen gewählten Vertretern und Bürgern außerhalb der Wahlkampagne, Existenz apolitischer Einflußsspersonen. Im Rating liegt hier Klausenburg an der Spitze, gefolgt von Craiova und Bukarest Sektor 1. Schlusslichter bilden Giurgiu und Piatra Neamţ.

Pressefreiheit

Mindestens drei Massenmedien sind auch auf lokaler Ebene ausreichend vorhanden. Es dominiert jedoch der Meinungsjournalismus vor konkreter Information. Kritisiert wird vor allem die mangelnde Unabhängigkeit der lokalen Presse, die ganz offen von politisch interessierten Personen oder Organisationen finanziert wird, vor allem in Zeiten des Wahlkampfes. In Giurgiu, Br²ila, Kronstadt, Piatra Neam] und Craiova haben Medienbetreiber selbst hohe politische Ämter inne. Im positiven Sinne beobachtet APD die allgemeine Wahrnahmung zivilgesellschaftlicher Angelegenheiten und Berichterstattung durch die Presse. In Bezug auf das Kriterium Pressefreiheit liegt Bukarest Sektor 2 an der Spitze, gefolgt von den Sektoren 3, 1, 6, 5 und 4, Klausenburg, Brăila, Craiova und Temeswar. Am Ende der Skala rangieren Piatra Neamţ, Giurgiu und Kronstadt.

Effzienz der Verwaltung

In einer Demokratie müsse es Ziel der Verwaltung sein, die Rechte und Interessen des Bürgers zu wahren im Gegenzug für Steuern und Abgaben – und nicht, dem Bürger das Leben zu verkomplizieren! Kriterien für eine effiziente Verwaltung sind: Bürgerinformation, hilfreiche Bürokratie (z.B. Möglichkeit zur Online-Bezahlung von Steuern), Transparenz und Kommunikation (aktuelle und informative Webseiten, Antworten auf Bürgeranfragen). Im Rating vorne liegen im Großstadtbereich: Klausenburg, Craiova und Bukarest Sektor 1, Schlusslichter sind Giurgiu und Piatra Neamţ. Kritisiert werden: fehlende, veraltete oder schlechte Webseiten der Gemeinden, selten ist Online-Bezahlung von Steuern möglich, mangelnder Einblick in die Agenda des Bürgermeisters, zu wenig Zeit und Direktkontakt zwischen Bürgern und Parlamentariern – meist ohnehin nur über die Sekretärin oder Gemeinderäte möglich, fehlende Informationsveranstaltungen für Bürger und Bürgervereinigungen. Die Bürgermeister fördern keine Diskussionen über Lokalpolitik, der Bürger wird nicht ermutigt, Fragen zu stellen. In manchen Kleinstädten (Bolentin Vale) gibt es weder Fax noch Webseite.

Großes Augenmerk wur-de auf die Erfüllung des Gesetzes Nr. 544/2001 – der freie Zugang zu Information von öffentlichem Interesse - gelegt. Hier sticht Bukarest mit fast 50 Punkten weit vor allen Vergleichsstädten (alle unter 10 Punkte) heraus. Kritikpunkte sind: Es gibt keinen Posten für solche Angelegenheiten in der Gemeinde, oder keiner weiß, wer zuständig ist; es werden ausweichende Taktiken praktiziert (Bearbeiter in Urlaub, Mail nicht angekommen). Briefliche Anfragen werden trotz wiederholter Nachfrage spät oder nicht beantwortet, es kommt keine Eingangsbestätigung, das Fax funktioniert nicht. APD beobachtet vor allem im Zusammenhang mit Gesetz 544/2001, dass die Informationspolitik der Gemeinde direkt mit dem Willen des Bürgermeisters korreliert: Wenn dieser interessiert ist, klappt es auch mit der Information!

Was sich ändern muss

Im Zusammenhang mit Zivilgesellschaft und Bürgerkultur werden zwei Dinge als alarmierend betrachtet: eine fehlende Einstellung zum Voluntariat – und die Tatsache, dass in den meisten Kleinstädten, aber auch einigen großen, Behörden anstelle der Zivilgesellschaft die Organisation von Bürgeraktionen betreiben. Individuen dürfen nicht ignoriert werden, so die Schlußbetrachtungen der Studie, denn der Bürger ist unverzichtbar für den Erfolg im demokratischen Fortschritt. „Der Bürgermeister ist ein Diener“ betont auch Irmer im Schlußwort der Konferenz, „obwohl sich diese Einstellung hier erst durchsetzen muss“. Interesse an einer stärkeren Dekokratisierung der Lokalverwaltung sollte schon alleine deswegen bestehen, weil immer mehr junge Menschen aus Unmut und Politikfrust nicht mehr zur Wahl gehen – oder im schlimmsten Fall sogar das Land verlassen. „Doch auch der Staat darf den Menschen nicht egal sein“, ergänzt Irmer. „Es geht nun darum, Strukturen zu fördern, in denen sich Staat und Bürger in gegenseitigem Interesse umeinander kümmern.“