Wie ein Regime die Eliten des Landes entsorgte

Neues Buch stellt Geschichte von Gefängnis und Memorial Sighet vor

Die politische Erinnerungskultur in Osteuropa ist in der Gesellschaft noch recht gering ausgeprägt und bisher meist der politikwissenschaftlichen und historischen Forschung, Intellektuellenkreisen sowie der Zivilgesellschaft vorbehalten. Dabei sind die Kerker des Terrors mittlerweile oft in Gedenkstätten umgewandelt worden, die an die Opfer des totalitären Terrors erinnern und nachfolgenden Generationen als Warnung dienen.

Seit 1997 steht mit dem „Memorial Sighet“ in Sighetul Marmaţiei eines der berüchtigsten Gefängnisse des kommunistischen Regimes im Dienst der Erinnerungskultur. Jährliche Sommerschulen bringen bisher Tausenden von Jugendlichen die jüngste Vergangenheit Rumäniens bis 1989 nahe. Der neue Band aus der Reihe „Forum: Rumänien“ des Berliner Frank & Timme Verlags beleuchtet nun die Umwandlung des Gefängnisses in das „Memorial Sighet“ und beschreibt gleichzeitig die Praxis der politischen Verfolgung und die Geschichte dieser Haftanstalt, die als ganz besonderes Symbol für den kommunistischen Terror in Rumänien steht.

Der Band versammelt Beiträge renommierter in- und ausländischer Autoren wie Stéphane Courtois, Patrick Moreau, Romulus Rusan, Alexandru Zub, Hans Bergel und Ulrich Burger – zeitgenössische Kommunismus-Forscher oder selbst Opfer des Regimes. Mehrfach kommt die bis 1989 verfolgte Schriftstellerin Ana Blandiana zu Wort. Blandiana und ihrem Ehemann Romulus Rusan ist ganz wesentlich der Aufbau dieser Gedenkstätte zu verdanken. Sie haben unmittelbar nach der Wende die Bürgerallianz (Alianţa Civică) und die Bürgerakademie (Academia Civică) gegründet und den Aufbau der Gedenkstätte gegen anfangs erheblichen Widerstand selbst auf EU-Ebene betrieben. 

Das heutige „Memorial Sighet“ ist die einzige Gedenkstätte dieser Art von internationaler Bedeutung in Rumänien, interessanterweise an der ukrainischen Grenze und damit an der nördlichen Peripherie des Landes gelegen, nicht etwa in der Hauptstadt Bukarest. Der reich bebilderte Band beleuchtet im ersten Abschnitt die Entwicklung und diese verschiedenen Zielrichtungen der Einrichtung („Die Gedenkstätte“, S.15-110), besonders konzentriert bei Romulus Rusan (S. 27-40). Gleichzeitig wird die Geschichte der politischen Unterdrückung eines ganzen Landes und Volkes mit ihren Mechanismen und Methoden eindringlich beschrieben.
„Lebendiges Museum“, „Werkstatt des Nachdenkens“, „Institution für Rumänien“, „Pilgerorte der Erinnerung“ – so und ähnlich bewerten die Autoren diese Einrichtung, die heute als Gedenkstätte, Forschungsstelle und Zentrum für Studien über den Kommunismus, Bildungs- und Begegnungszentrum gleichermaßen wirkt. Dennis Deletant nennt die Gedenkstätte „das eloquenteste und am meisten beeindruckende Museum seiner Art in Europa“ (S. 49), Ana Blandiana eine „Schule des Gedächtnisses“, ein „Mittel zur Wiederherstellung des kollektiven Gedächtnisses (…) für eine Generation, die einer wirksamen Gehirnwäsche unterzogen wurde“ (S. 15).

Die fast sechzig Zellen des Gefängnisses wurden zu Museumssälen umgebaut. Experten- und Forscherteams waren dazu immer auch auf die Befragung früherer Opfer angewiesen. Denn die offizielle Geschichtsschreibung und vor allem die Neosozialisten um Ion Iliescu, von 1990 bis 1996 und dann noch einmal von 2000 bis 2004 Präsident, versuchten, die Aufarbeitung des Kommunismus auf den Schauprozess und die Hinrichtung des Diktatorenehepaars Ceauşescu in den Weihnachtstagen von 1989 zu reduzieren.

Besonderes Augenmerk liegt in der Darstellung des Bandes auf den schlimmen Jahren von 1948 bis 1955, als mehr als 200 Personen in Sighet ohne gültiges Gerichtsurteil interniert wurden. 54 Häftlinge überlebten den Kerker und die unmenschlichen Haftbedingungen nicht und starben an Hunger, Durst, Krankheit oder den Folgen von Folterungen. Die Leichen wurden anonym verscharrt. Hier starben auch große Politiker der rumänischen Zwischenkriegszeit wie der frühere Ministerpräsident Iuliu Maniu und fünf katholische Bischöfe.

Ganz besonders gelungen ist die Übersicht „Bilder einer Ausstellung“ (S. 57-87) von Helmut Müller-Enbergs. Er stellt die einzelnen Zellen und Museumsräume vor, die den Terror des Regimes deutlich machen. Dabei ist Sighet nur ein Beispiel. Das „Memorial Sighet“ steht für rund 300 Lager und Gefängnisse sowie mindestens 15 psychiatrische Anstalten, in denen das Regime und die Securitate Bürger ihrer Freiheit beraubte. Insgesamt 600.000 Menschen waren aus politischen Gründen in Rumänien zu kommunistischer Zeit inhaftiert. Müller-Enbergs gibt zu wichtigen Themen wie Gefängnislandschaft Rumäniens, Securitate, Frauen und Kinder im Gefängnis, Wahlfälschungen 1946, Haftbedingungen, Schauprozessen, Stalinisierung, Verfolgung der Kirchen, Zwangsarbeit, Kollektivierung und Widerstand, Ende der Monarchie wertvolle Erläuterungen.

Die Beiträge des zweiten Hauptteils („Beiträge über den rumänischen Kommunismus“, S. 111-190) ordnen den rumänischen Kommunismus in die internationale Landschaft des kommunistischen Ostblocks ein und beleuchten dabei auch weniger bekannte Vorgänge wie die rumänische Studentenrevolte von 1956 (Ioana Boca, S. 143-153). Dabei wird auch immer wieder deutlich, wie sehr die äußere Zensur zur „Schere im Kopf“ führte und wie die Opfer von damals gerade mit der fehlenden Erinnerungsbereitschaft, Vergangenheitsbewältigung und häufiger Verharmlosung heute ringen.

Der Band dokumentiert wie das „Memorial Sighet“ selbst, auf welche Weise das Regime versuchte, die Elite des Landes zu eliminieren. Rund 8000 Inschriften an der Mauer der Gedenkstätte nennen die Namen der bisher identifizierten Opfer des Kommunismus in Rumänien. Der vorliegende Band  gehört zum Besten, was im deutschsprachigen Raum zum Gefängnis von Sighet und zur Unterdrückung durch das kommunistische Regime veröffentlicht wurde.

Katharina Kilzer/Helmut Müller-Enbergs (Hg.): „Geist hinter Gittern. Die rumänische Gedenkstätte Memorial Sighet“; Berlin: Frank & Timme Verlag 2013, 216 S., ISBN 978-3-86596-2, 29,80 Euro (= Forum: Rumänien, Bd. 16)