Wir haben hart verhandelt (II)

ADZ-Interview mit Dr. Heinz-Günther Hüsch, Deutschlands Verhandlungsführer im Freikauf der Rumäniendeutschen 1968-1989

Dr. Heinz-Günther Hüsch bei der Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bukarest (links Dr. Radu Preda, Direktor des Instituts für Kommunismusforschung IICCMER).
Foto: KAS

Wurde in den Gesprächen mit den Offizieren des Außenspionagedienstes auch über die allgemeine Lage der Rumäniendeutschen gesprochen? Von wo hatten Sie diesbezüglich Informationen?

Wenn Sie meine Niederschriften nachlesen könnten, würden sie lange Abschnitte feststellen, wo ich Andronic im Einzelnen dazu vortrage. Manchmal war er der Auffassung, die Beschwerden der Deutschen seien ungerechtfertigt, es ginge ihnen ja allen gut, es sei alles in Ordnung. Ich habe ihm dann auseinandergelegt, um welche Probleme es sich handelt. Ich besitze eine Ausarbeitung über die Benachteiligung der Deutschen in Rumänien, die mir zur Verfügung gestellt worden war, und in der sehr präzise dargelegt worden ist, welche gesetzgeberischen Verfügungen sich negativ auf die Deutschen in Rumänien auswirkten. Es gab sehr zahlreiche Ermittlungsberichte, die Aussiedler wurden in Nürnberg befragt vom CIA und auch den deutschen Stellen, weil man Informationen suchte über die Verhältnisse. Ich jedenfalls wurde darüber sehr umfänglich unterrichtet.

In einem der Interviews mit Ernst Meinhardt sagten Sie, Bundesinnenminister Maihofer wollte die Ausreise stoppen, nachdem Vertreter der evangelischen Kirche aus Rumänien bei Kanzler Willy Brandt vorgesprochen hatten. In welchem Jahr war das?

Das kann ich aus dem Gedächtnis nicht genau sagen, ich meine, es muss wohl Mitte der 1970er Jahre gewesen sein.

Vertreter der evangelischen Kirche haben wiederholt bei deutschen Politikern vorgesprochen und sich gegen die Ausreise ausgesprochen. Wurden Sie informiert über diese Gespräche und haben sie Ihre Verhandlungen in irgendeiner Weise beeinflusst?

Beeinflusst haben sie mich überhaupt nicht. Ich wurde sporadisch – aber nicht konsequent – informiert. Die Ausführungen der Kirchenvertreter bewegten auch meinen Auftraggeber nicht.

Ab welchen Jahren gab es Überlegungen bzw. Initiativen auf bundesdeutscher Seite, den Ausreisewillen abzuschwächen, d. h. die Bedingungen für jene zu verbessern zu versuchen, die bleiben möchten?

Die Formulierung „Ausreisewillen abzuschwächen“ will ich so nicht akzeptieren, die Formulierung war anders. Wir wollten jenen, die bleiben wollten „Bleibehilfen“ bieten. Dazu gab es mehrere Überlegungen. Etwa ab Mitte der 1970er Jahre wurde immer deutlicher, dass es neue Probleme gab für die in Rumänien Verbliebenen, häufig der Älteren oder jener Familien, die die Kraft nicht hatten zur Umsiedlung, und für die die sozialen Bezüge aufgebrochen waren. Die andere Seite war, dass der Ausreisewille immer ungestümer wurde und es auch in der Bundesrepublik Widerstände gegen die Aufnahme von so vielen Spätaussiedlern gab. Sie kamen ja nicht nur aus Rumänien, sondern auch aus den anderen osteuropäischen Staaten. In den internen Gesprächen habe ich damals gesagt, wir haben 14 Millionen Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten innerhalb weniger Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg aufnehmen können, wir werden nicht vor 100.000 Rumäniendeutschen kapitulieren. Ein dritter Punkt war, dass immer mehr bekannt wurde, wie die Lebensbedingungen sich in Rumänien erschwerten, während der Wohlstand bei uns wuchs. Es gab also eine Mischung von Motivationen und sie hatten alle die Absicht, denen, die in Rumänien bleiben wollen, die Entscheidung zu bleiben zu erleichtern.

Die Bundesrepublik bot Rumänien Wirtschaftshilfe an, auch um Gegenden mit deutscher Bevölkerung in der Entwicklung zu fördern. Warum kam es Ihres Wissens nach nicht zum Umsetzen dieser Vorhaben, u. a. ein Werk in Temeswar?

Das kam später, ich habe von den 1970er Jahren gesprochen. Diese von Ihnen angesprochenen Erörterungen erfolgten in den 1980er Jahren und an denen war ich nicht beteiligt. Die wirtschaftlichen Verhandlungen haben sich unabhängig von meiner Verhandlungslinie entwickelt. Den offiziellen deutschen Verhandlern in Wirtschaftsfragen war gar nicht bekannt, dass es diesen „Kanal“ gab, wir haben ihn auch intern geheim gehalten und insofern verfüge ich nicht über zeitnahe Informationen.
Wurden die Zinssubventionen nicht auch erteilt, um dergleichen Wirtschaftsprojekte umzusetzen?
Gegeben hat es einen Darlehensvertrag, den ich vermittelt hatte, über 200 Millionen DM und es gibt die Vereinbarung unter Kanzler Schmidt bzw. seiner Delegation. Gewährt wurde 1978 ein Kredit in Höhe von 700 Millionen DM mit einer Zinssubvention, um eben die Kosten des Kredites nach unten zu bewegen. Diese Zinssubventionen waren dann vierteljährlich 8 Millionen DM und sollten vorerst fünf Jahre – die Dauer unserer vertraulichen Vereinbarung – gezahlt werden.

Zum Zeitpunkt des Schmidt-Besuches in Rumänien gab es eine wirtschaftliche Krise in der Bundesrepublik. Wenn Sie mal die Arbeitslosenzahlen nachlesen, stellen Sie fest, dass sie mit dem Beginn der sozial-liberalen Koalition schlagartig in Millionenhöhe klettern. Die deutsche Wirtschaft suchte nach Märkten, Kanzler Schmidt war ein Kanzler, der sehr ökonomisch dachte, und seine Delegation hatte versucht, neue Märkte zu erschließen. Das Problem war, dass die Verknüpfung mit der humanitären Frage erst nach weiteren Verhandlungsvorgängen hergestellt wurde. Aus der Verknüpfung der Zinssubvention mit den humanitären Fragen ergab sich für uns ein weiteres Druckmittel, um die Ausreisequoten durchzusetzen. Wofür sie verwendet wurden, darauf hatten wir jedoch keinen Einfluss.

In einem Artikel („Jurnalul na]ional“, 2009) berichtet der ehemalige Offizier der rumänischen Außenspionage Liviu Turcu (der sich 1988 in die USA abgesetzt hat), Genscher sei für Ceau{escu der wichtigste Gesprächspartner in der Familienzusammenführung gewesen. Hatte er hierfür den Auftrag erhalten oder setzte er als Außenminister einfach fort, was er als Innenminister begonnen hatte?

Genscher ist nicht der „Erfinder“ der Vereinbarungen, die ersten erfolgten unter Kai Uwe von Hassel als Minister für Flüchtlinge, Vertriebene, Kriegshinterbliebene und Kriegsbeschädigte. Genscher erbt das Verfahren und hat erklärt, er sei zum ersten Mal davon unterrichtet worden, als er sein Amt als Minister antrat. Aber Genscher hat das Anliegen der Rumäniendeutschen sich immer sehr zu eigen gemacht. Er war wohl auch als junger Soldat in Rumänien gewesen. Außerdem war Genscher ja selbst Flüchtling, er kommt aus der ehemaligen DDR, und hat ein ganz besonderes Verhältnis zu den Anliegen von Menschen, die unter Druck leben müssen. Es hat sich dann herausgestellt, dass Genscher namentlich mit Außenminister Stefan Andrei sehr regen Kontakt gepflegt hat. Andrei war sehr oft in Deutschland und Genscher sehr oft in Rumänien. Manchmal war mir unklar, warum er so oft nach Rumänien reiste. Er hat sicherlich auch daran gedacht, dass Rumänien ein Schlüsselloch sein kann, um im Kalten Krieg etwas aufzubrechen. Darin hat er sich aber wahrscheinlich getäuscht.

Haben Sie Genscher als eine Art „politischer Weichensteller“ für Ihre Verhandlungen empfunden?

Nein. Genscher ist ein bisschen auf die Sache aufgesprungen. Nachdem die bei den Verhandlungen mit Kanzler Schmidt zustande gekommene Vereinbarung betreffend Zinssubventionen nach 5 Jahren abgelaufen war, ist diese von Genscher voll erneuert worden. Er hat behauptet, das habe er mit Kanzler Kohl abgestimmt. Ich zweifele etwas daran. Aber das ist unerheblich. Genscher hat jedenfalls immer seine schützende Hand über der Aktion gehalten.

Sie haben in Hermannstadt bei der Tagung im vorigen Jahr über die „schlechte Behandlung“ von Bundespräsident Carstens in Rumänien anlässlich seines Besuches im Oktober 1981 gesprochen. Was muss man darunter verstehen?

Bundespräsident Carstens war zutiefst enttäuscht, wie er während dem Staatsbesuch behandelt wurde. Er war auch in Hermannstadt und da war niemand auf der Straße, was völlig ungewöhnlich ist. Für ihn erkennbar waren nur Securitate-Leute da. Er wollte Deutsche treffen und wurde absolut abgeschirmt von der bestellten Masse an Securitate-Leuten. Es wurde alles von deutscher Seite protokolliert und ich habe auch einen Teil des Stenogramms des Gespräches mit Ceau{escu gelesen. Wenn Sie das lesen, sind Sie entsetzt.

Eine weitere Verstimmung gab es in den deutsch-rumänischen Beziehungen im Oktober 1984. Warum?

Es wurden fünf rumänische Diplomaten aus der Bundesrepublik ausgewiesen aufgrund des Spionageverdachts. Man hatte die Affäre unterdrückt, bis der Besuch von Ceau{escu beendet war. Die fünf Diplomaten wurden zur Persona non grata erklärt. Im Gegenzug wurden fünf deutsche Diplomaten aus Bukarest ausgewiesen, darunter bedauerlicher Weise auch Herr von Stackelberg. Der hatte sich sehr engagiert für die Rumäniendeutschen, besonders auch für Härtefälle. Ich habe es sehr bedauert, dass er gehen musste, denn er gehörte zu jenen Botschaftsangehörigen, die mir nachdrücklich halfen.
In Gesprächen mit mir hat Andronic sich beschwert über die Art, in der die Angelegenheit gehandhabt wurde und gebeten, ich solle dafür sorgen, wenn sowas nochmals vorkomme, dass ich unterrichtet werde. Man würde das dann alles unter der Decke in geeigneter Weise unauffällig regeln ...

Weitere Auszüge aus dem 2000-Seiten-Bericht,
den Dr. Hüsch nach Abschluss seiner Beauftragung als Verhandlungsführer Deutschlands verfasst hat, und uns freundlicherweise zur Verfügung stellte:

Aus der Besprechung mit Andronic vom 10.12.1981 (S. 833 - 836)
Befragungen von Spätaussiedlern ergaben, dass der Wunsch, für sich selbst und die Kinder die Möglichkeit zu sichern, Deutsche zu bleiben, Hauptmotiv für den Ausreisewillen war.
Die Chance, Deutsche in Rumänien zu bleiben, wurde zunehmend geringer eingeschätzt. Hinzu kam das Gefühl, in der „Heimat“ nicht mehr zuhause zu sein. Hierbei spielten die bekannten Ereignisse nach Ende des Zweiten Weltkrieges (…) eine dominierende Rolle. Der Eindruck verstärkte sich durch eine Reihe von Maßnahmen der rumänischen Führung in jüngster Zeit (…).

Vielfach wurde diskriminierende Behandlung von Antragstellern bei ihrem Ausreisebegehren und auch bei Besuchsreisen durch Amtsträger beklagt. Deren Verhalten trug zur Belastung der Atmosphäre auch für diejenigen bei, die im Lande bleiben wollen. Die Entlassung ausreisewilliger Lehrer, Intellektueller und Künstler wirkte nicht als abschreckend, sondern als Ansporn für weitere Ausreisewünsche. (…)
Diese Feststellungen … waren nach Einschätzung von Dr. Hüsch zu sehr idealisiert und schienen von interessierter Seite an das Innenministerium herangetragen zu sein. Die nun 13-jährige Beobachtung der rumänischen Entwicklung, viele Einzelheiten und Einzelerfahrungen, veranlassten Dr. Hüsch zu nachdrücklicher Darstellung gegenüber dem Innenministerium, dass die ideellen Fragen und Probleme zwar bestünden, die materielle Bedrückung, die tatsächliche Unfreiheit, die Einengung durch Securitate, die materielle Not, das Fehlen von sozialen Einrichtungen, die unzulängliche Betreuung in Krankheitsfällen und auch die unzulängliche Ernährungslage den Wunsch nach Aussiedlung umso dringlicher mache, als sich die Nachrichten über die sich ständig bessernde Lage in der Bundesrepublik mehrten. (…) Da aus der rumänischen Politik im Allgemeinen und aus dem besonderen Verhalten der Amtsträger keinerlei Hoffnung auf Änderung aufkommen könne, verschärfe sich der Auswanderungsdruck. (…)

Ansetzend bei diesen Erörterungen hatte Dr. Hüsch insbesondere gegenüber den Verhandlungsführern Andronic und Oprescu im inoffiziellen Teil immer wieder Überlegungen angestoßen, die Grundlage für das dramatische Ausreiseverlangen der deutschstämmigen Rumänen dadurch zu mildern, dass man deren Lebensverhältnisse in Rumänien verbessern könnte. Die Verhandlungsführer wurden nachdenklich, zeigten aber in den offiziellen Gesprächen zunächst keine Reaktion.
In den internen Beratungen mit Regierungsdirektor Meissner und auch mit Minister Baum regte Dr. Hüsch wiederholt an, Verhandlungsbemühungen zu eröffnen mit dem Ziel, stabilisierende Maßnahmen zugunsten der verbleibenden deutschstämmigen Rumänen anzustreben. Anfänglich zögerten die Angesprochenen, weil eine Zuständigkeit nicht gegeben war und man offensichtlich auch nicht in die Ressortzuständigkeit anderer Bereiche – insbesondere des Auswärtigen Amtes und der dort verankerten auswärtigen Kulturpolitik eingreifen wollte. Alle dort placierten Bemühungen hatten jedoch nicht zu einem sichtbaren Erfolg geführt. Es blieb auch erkennbar, dass die rumänischen Behörden, insbesondere im kulturellen Bereich die Kooperation so gering wie nur möglich halten wollten. Die Assimilierungspolitik der rumänischen Staatsführung schien irgendwelche Konzessionen nicht zu erlauben. Der kommunistisch-sozialistische Grundsatz: „Gleichheit in totaler Armut“ war so stark, dass es auch anderen Bemühungen nicht gelang, Fortschritte zu erreichen.