„Wir müssen den Bürgern zeigen, dass Europa funktioniert“

ADZ-Gespräch mit Werner Hans Lauk, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rumänien

Auf dem Terminkalender des rumänischen Regierungschefs Dacian Ciolo{ steht Anfang September eine Deutschland-Tour, die vor allem dem Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen, einschließlich auf Bundesländer-Ebene, gewidmet sein soll. Cioloş‘ Programm umfasst daher zahlreiche Treffen mit Behörden und Unternehmern aus drei Bundesländern - nämlich Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Über den bereits dritten Deutschland-Besuch des rumänischen Premierministers in diesem Jahr wie auch über europapolitische Aspekte sprach ADZ-Redakteurin Lilo Millitz-Stoica mit dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rumänien, Werner Hans Lauk.

Sehr geehrter Herr Botschafter, Premierminister Dacian Cioloş unternimmt Anfang September einen weiteren Deutschland-Besuch. Wie werten Sie, auch angesichts des bereits dritten diesjährigen Besuchs des rumänischen Regierungschefs in Ihrem Land, den aktuellen Stand der bilateralen Beziehungen – sowohl auf Bundes- als auch auf Bundesländerebene?

Die deutsch-rumänischen Beziehungen sind eng und vertrauensvoll. Dies zeigen die vielen bilateralen Besuche, die wir in den vergangenen Monaten auf politischer Ebene miterleben konnten. Dazu zählt natürlich vor allem der dreitägige Staatsbesuch von Herrn Bundespräsident Gauck und Frau Schadt im Juni in Rumänien. Herr Staatspräsident Johannis und Frau Johannis haben als Gastgeber an vielen Programmpunkten persönlich teilgenommen. Wenn wir von politischen bilateralen Besuchen sprechen, dann denke ich aber auch an die vielen Besucher, die wir aus den verschiedensten Bundesländern und aus dem Deutschen Bundestag hier in Rumänien begrüßen durften. Gerade bei den ADZ-Lesern wird auch der Besuch von Außenminister Steinmeier zum 25. Jubiläum des DFDR im März 2015 noch in lebendiger Erinnerung sein. Die ausgesprochen vielfältigen Themenschwerpunkte der Besuche zeigen auch die Bandbreite an Themen, die unsere bilateralen Beziehungen prägen: von der Förderung des deutschsprachigen Bildungswesens über die Duale Berufsbildung hin zu klassischen Fragen der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik im Rahmen der EU, der NATO und der OSZE. Ihre Frage nach dem aktuellen Stand der bilateralen Beziehungen kann ich daher rundum positiv beantworten und sie als „exzellent“ bezeichnen.

Der Besuch des Regierungschefs fokussiert diesmal vor allem Aspekte der Wirtschaftskooperation und damit auch drei Bundesländer, zu denen Rumänien seit Jahren besonders enge Beziehungen unterhält – Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Allerdings: Wie ist es denn um das Interesse der deutschen Investoren am Standort Rumänien bestellt – kann man von einem Aufwärtstrend sprechen?

In jedem Fall kann man davon sprechen, dass die positive Entwicklung anhält. Die deutschen Unternehmen in Rumänien bauen vielfach ihre Präsenz aus, erweitern ihre Kapazitäten und stellen weitere Mitarbeiter ein. Auch in den vergangenen Monaten konnte ich wieder Standorte deutscher Unternehmen in Rumänien besuchen, an denen weiter investiert wird – meistenteils in anspruchsvolle Hochtechnologie.
Zudem zeigt auch die jüngste Umfrage unter den Mitgliedern der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer, dass ein Großteil der Unternehmen mit den in Rumänien getätigten Investitionen sehr zufrieden ist.  

Welches sind die größten Hindernisse/Mankos, über die hierzulande aktive deutsche Unternehmer oder Manager in ihren Gesprächen mit Ihnen klagen – Korruption, Bürokratie, fehlende Transportinfrastruktur …? Und welche Maßnahmen würden die Unternehmer angesichts dieser Umstände besonders begrüßen?

Die von Ihnen in der Frage angesprochenen drei Punkte sind sicherlich zentral. Beim Thema „Bürokratie“ würde ich noch differenzieren. Wir erhalten von den Unternehmen weiterhin Hinweise, dass sich beispielsweise zuweilen Genehmigungs- oder Beschaffungsverfahren verzögern. Ich finde es daher sehr gut, dass die aktuelle Regierung in Gestalt von Vize-Premierminister Dâncu eine Verwaltungsreform anstrebt, um die rumänischen Behörden effizienter aufzustellen. Im Rahmen dieses Prozesses wird Rumänien dann sicherlich überprüfen, wie Ausbildung, Ausstattung und rechtliche Rahmenbedingungen für die öffentliche Verwaltung verbessert werden können. Ich bin überzeugt, dass hierdurch große Wachstumskräfte freigesetzt werden können. Deutschland unterstützt diese Reformbemühungen übrigens auch ganz konkret; wir haben eine Gruppe rumänischer Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung eingeladen, sich im Herbst in Deutschland unsere Konzepte für die bürgernahe Verwaltung anzusehen und in einen Austausch mit unseren Experten hierüber einzutreten.

Ich gehe davon aus, dass diese Feedbacks auch in Ihren Gesprächen mit den rumänischen Behörden Erwähnung finden. Darf ich fragen, wie empfänglich letztere für Tipps und gutgemeinte Anregungen ausländischer Diplomaten sind – mit anderen Worten tut sich danach auch etwas?

Grundsätzlich begegnet man unseren Anliegen auf rumänischer Seite mit Offenheit und Verständnis. Ein konstruktiver Austausch besteht mit den rumänischen Behörden also schon einmal und hierfür sind wir dankbar. Allerdings sind viele der Vorgänge, in die sich die Botschaft einschaltet, sehr komplex. Es bedarf meist Lösungen, die unter vielen Akteuren abgestimmt werden müssen, das führt natürlich zu Verzögerungen. Es gibt aber natürlich auch eine ganze Reihe von Fällen, in denen wir im Gespräch mit unseren rumänischen Partnern Lösungen gefunden haben, die nachher allen zu Gute kamen.
Insgesamt bin ich der Ansicht, dass auf Seiten der rumänischen Verwaltung die Bereitschaft zunimmt, die eigenen Entscheidungen zu hinterfragen und mit den Betroffenen offen zu diskutieren.

Herr Botschafter, für die EU dürfte in diesem Herbst wohl kaum „business as usual“ anstehen – einerseits angesichts der anstehenden Brexit-Gespräche, anderer-seits eingedenk der offenen Drohung der türkischen Regierung, das Flüchtlingsabkommen mit der EU platzen zu lassen, sollte den türkischen Staatsangehörigen die Visafreiheit für die Einreise nach Europa nicht zügig gewährt werden. Sehen Sie die Voraussetzungen dafür seitens der Türkei erfüllt oder muss sich Europa warm anziehen bzw. auf eine weitere Flüchtlingswelle einstellen?

Ganz allgemein gilt, dass beide Seiten aufeinander angewiesen sind - auch die Türkei auf Europa. Und ich halte nichts davon, schwarz zu malen – bislang sind die Vereinbarungen, die wir mit der Türkei getroffen haben, weder gescheitert noch gekündigt worden. Was die Visaliberalisierung angeht: Die Voraussetzungen sind ja nichts Neues, das ganze Projekt ist lange vor den Vereinbarungen mit der Türkei angestoßen worden, die Bedingungen für Visaliberalisierung sind nicht neu. Allerdings: ausruhen können wir uns auf den Vereinbarungen mit der Türkei nicht, wir müssen weiter daran arbeiten, gemeinsame europäische Antworten zu finden.

Wie sollte der Plan B der EU denn aussehen – zumal sich die Mitgliedsstaaten in puncto Aufnahme der Flüchtlinge ja bisher eklatant uneinig waren?

Wissen Sie, mit „Plan-B“-Spekulationen ist es immer so eine Sache. Ich bevorzuge es, mich auf die Umsetzung von Plan A zu konzentrieren – und da ist in der Tat entscheidend, dass sich alle Partner an die Verpflichtung halten.

Für Ihr Land war dieser Sommer ein besonders dramatischer - der Amoklauf von München, die Terrorangriffe von Ansbach und Würzburg, die Messerattacke von Reutlingen; davor die massenhaften sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht … Viele Rumänen, einschließlich Politiker und Medienvertreter, sehen im Rahmen der öffentlichen Debatte zur Flüchtlingskrise darin einen Beweis dafür, dass Deutschland mit der Aufnahme von über einer Million Flüchtlingen in nicht unerheblichen Maß auch Gewalt und Verbrechen importiert hat. Wie stehen Sie zu derlei Ansichten?

Hier müssen wir ganz klar differenzieren, uns vor Verallgemeinerung und voreiligen Schuldzuweisungen hüten. Der Täter von München war kein Flüchtling, sondern Deutscher und die Täter von Rouen und Nizza waren französische Staatsangehörige.
Ich glaube, es tut uns und der öffentlichen Debatte sowohl in Deutschland als auch in Rumänien gut, wenn wir die schrecklichen Morde und Anschläge, die wir in Deutschland, aber auch bei unseren Partnern erleben mussten, mit der notwendigen Differenziertheit betrachten. Davon abgesehen steht fest, dass die Anschläge die Regierung natürlich vor die drängende Aufgabe stellen, bisherige Sicherheitskonzepte zu überprüfen, die Wirksamkeit bereits bestehender Maßnahmen zu verifizieren und darüber zu sprechen, wo noch bestehende Schutzlücken mit neuen Maßnahmen geschlossen werden können und müssen. Genau dieser Prozess läuft derzeit. Ich möchte aber auch betonen, dass Deutschland nach wie vor ein sicheres und attraktives Land ist, in dem die Sicherheit in- und ausländischer Bürger und Touristen oberste Priorität genießt.

Das Brexit-Votum hat nolens-volens auch die Frage nach der Zukunft der EU erneut aufgeworfen – einschließlich in puncto mehr oder weniger Integration der EU. Welcher Trend dürfte sich Ihrer Meinung nach durchsetzen – wird Brüssel letztlich mehr Macht übertragen bekommen oder wird es weitergehen mit der nationalen Kleinstaaterei?

Das „Brexit“-Votum in Großbritannien bedeutet für uns zunächst einmal, dass die Mehrheit der britischen Wähler bzw. Referendumsteilnehmer ihrer Regierung den Auftrag gegeben haben, das Verlassen der Europäischen Union in die Wege zu leiten. Diese Entscheidung bedauern wir, aber wir respektieren sie. Es ist nun an Großbritannien, den ersten Schritt zu machen; Großbritannien muss den 27 EU-Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission seine konkreten Vorstellungen präsentieren, welche Beziehungen es künftig zur EU haben möchte. Die Verhandlungen über den Austritt können erst dann beginnen, wenn die britische Regierung den in den letzten Wochen oft zitierten Artikel 50 aktiviert. Klar ist, dass wir die Europäische Union zusammenhalten wollen. Weder ist jetzt die Zeit für verzagte Debatten und Rückschritte, noch werden wir jetzt ganz neue, großangelegte Konzepte verwirklichen können. Stattdessen müssen wir den Bürgern zeigen, dass Europa funktioniert: etwa, dass es für die Sicherheit der Menschen sorgen kann - und dass wir die Fluchtkrise gemeinsam im Rahmen einer europäischen Flüchtlingspolitik bewältigen.

Herr Botschafter, herzlichen Dank für Ihre Ausführungen.