WORT UM SONNTAG: Wasser der Existenzwahrheit

Neulich las ich Berichte von Afrikaforschern aus dem 19. Jahrhundert. Damals gab es auf der geografischen Landkarte Afrikas noch viele weiße Flecken, also Landschaften, die für uns Europäer noch unerforscht waren. Mehrere Naturforscher durchreisten die Gebiete Zentralafrikas. Die Reise ging fast immer nur von Brunnen zu Brunnen. Es gab in diesen Gebieten mehrere wasserarme Landstriche. So hing der Erfolg der Naturforscher, ja sogar ihr eigenes Leben, von den Wasserstellen ab. Ohne Wasser war das Unternehmen sehr risikoreich.

Das verstehen wir gut. Aber hat nur unser Körper Wasser nötig? Auch unser Geist benötigt ein lebenserhaltendes Element. Natürlich ist das kein gewöhnliches Wasser, das die Chemiker mit der Formel H2O bezeichnen. Unser Geist benötigt das ihm entsprechende geistige Wasser, das Wasser der Existenzwahrheit. Ist dieses Wasser vorhanden? In Afrika haben die Eingeborenen in wasserarmen Gegenden Brunnen gegraben, um nicht zu verdursten. Auch auf dem geistigen Gebiet haben Menschen Brunnen gegraben, um das Wasser der Existenzwahrheit zu gewinnen. Wir brauchen nur das Buch „Geschichte der Philosophie“ zu öffnen. Seit Menschen denken können, haben sie diese Existenzwahrheit gesucht. Sie fanden Wasser, aber oft war es verunreinigt, gesalzen, oft ungenießbar. Die Menschen litten weiterhin an geistigem Durst.

Israel war seit jeher ein wasserarmes Land. Brunnen, die das ganze Jahr hindurch Wasser gaben, waren selten und daher kostbar. Die Menschen behalfen sich damit, dass sie Zisternen gruben und das Regenwasser damit einfingen. Dieses aufgefangene Wasser wurde im Laufe der Wochen brackig. Ähnlich war es auf geistigem Gebiet. Der sinnenberauschende Kult der Heidengötter ringsum fand auch in Israel offene Ohren und Herzen. Darum klingt die Klage Gottes über sein treuloses Volk durch den Mund des Propheten Jeremias so erschütternd: „Mein Volk hat doppeltes Unrecht verübt: Mich, den Quell des lebendigen Wassers, hat es verlassen, um sich Zisternen zu graben, Zisternen mit Rissen, die das Wasser nicht halten“.

All die verschiedenen Lehren der Philosophen ohne Charisma glichen im Altertum und gleichen auch in unserer modernen Zeit solchen Zisternen. Sie können das Wasser der Existenzwahrheit nicht halten. Sie widersprechen sich. Wem sollen wir glauben? Ihr Wasser ist brackig und kann uns nicht gesund erhalten. Alle, die im 20. Jahrhundert die zwei Weltkriege verursacht haben, gaben ihren Völkern geistig verseuchtes Wasser zu trinken. Auch Leute, die heute Gewalt predigen und ausüben, trinken geistig verseuchtes Wasser. Darum hat das Wort Christi, das er am Jakobsbrunnen zu der Samariterfrau gesprochen hat, universale Bedeutung: „Jeden, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht mehr dürsten. Vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Wasserquelle, die fortströmt ins ewige Leben!“ Welch ein Wort! Welch eine Verheißung! Wer diese Wasserquelle der Existenzwahrheit gefunden hat und aus ihr trinkt, sucht keine weiteren geistigen Brunnen mehr auf.

Wie sieht das konkret aus? Der Schriftsteller Pierre van der Meer de Walcheren wurde 1880 zu Utrecht geboren. Seine Eltern waren materiell wohlhabend, aber geistig glaubenslos. In diesem Milieu wuchs der Junge auf und es bewahrheitete sich das Sprichwort: „Wie die Alten summen, so zwitschern die Jungen!“ Der Junge wuchs total glaubenslos auf, war nicht einmal getauft, besuchte in seiner Kindheit keinen Religionsunterricht. So hatte er auch nicht die geringste Anregung, sich mit der christlichen Heilsbotschaft zu beschäftigen. Er kannte den „Brunnen des lebendigen Wassers“ nicht und suchte seinen Durst aus einer verseuchten Zisterne zu löschen. Sein einseitiges Studium führte ihn noch mehr in die Glaubenslosigkeit.

Sein Glaubensbekenntnis galt dem revolutionären Sozialismus. Er suchte und erstrebte den Umsturz alles Bestehenden. In Brüssel heiratete er eine überzeugte Marxistin. Sie kämpften nun beide gegen die bestehende Ordnung. Aber bald merkte er, dass dieses Wasser, das er trank, seinen Durst nicht löschen konnte. In seinen Schriften offenbarte er eine zunehmende Unzufriedenheit. Im Jahre 1907 legte er noch ein Bekenntnis zum Nihilismus ab, aber er fügte den bezeichnenden Satz hinzu: „Was schluchztest du noch immer, meine Seele?“ Er fing an zu zweifeln, zu forschen, zu suchen. Nun erst las er die Evangelien, besuchte viele Klöster in Italien. Bei so einem Besuch schrieb er: „Ich sehne mich nach Gott!“

In Paris trat er mit katholischen Persönlichkeit in Verbindung und ließ sich 1911 zugleich mit seinem Sohn taufen. Auch seine Frau fand den Weg zu der Wasserquelle, die Christus uns allen geschenkt hat. Schließlich brachten die französischen Zeitungen die Nachricht, dass dieser Mann, der zu den bekannten Schriftstellern Frankreichs gehört, im holländischen Benediktinerkloster Ousterhout sich ganz dem Dienste Gottes geweiht hat. Seine Frau trat zur gleichen Zeit in das Benediktinerinnenkloster zu Solesmes ein. Hier bestätigte sich das Wort Christi: „Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird die Ewigkeit nicht mehr dürsten!“

Trinken auch wir durstige Menschen aus der Quelle der Existenzwahrheit Christi. Dabei machen wir die gleiche Erfahrung, die ein im Weltkrieg Gefallener in sein Tagebuch geschrieben hat: „Gedenke, o Gott, dass wir über Dich nicht hinwegkommen können! Denn in jeder Menschenseele ist eine Stelle, aus der Du nicht vertrieben werden kannst!“