WORT ZUM SONNTAG: Auf das Ufer schauen

Nach der wunderbaren Brotvermehrung Jesu fuhren die Apostel bei Nacht über den See. Hohe Wellen schlugen an das Boot. Sie brachten aber keine Gefahr. Da kam ihnen Jesus, auf dem Wasser gehend, entgegen. Der wagemutige Petrus stieg aus dem Boot, um Christus auf den Wellen zu begegnen. Doch als die hohen Wellen ihn ins Schwanken und Wanken brachten, überfiel ihn der Zweifel, ob der Entgegenkommende wirklich der Meister sei. Sofort begann er zu sinken und rief: „Herr, rette mich!“ Tadelnd sprach Jesus; „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“
Wir alle sitzen im Boot auf der Reise durch das Lebensmeer. Solange alles nach unseren Wünschen geht und wir gefahrlos dahinsegeln, ist unsere Stimmung „in floribus“. Das ändert sich radikal, wenn sich unseren Wünschen und Plänen Hindernisse wie große Wellen entgegenstellen. Die bisherige Zuversicht verwandelt sich in quälenden Zweifel, ob das Ziel, auf das unser Kurs ausgerichtet ist, auch wirklich existiert. Der zweifelnde Mensch gleicht dem „Fliegenden Holländer“ in der Oper Wagners. Es ist eben so: Mut und Entschlossenheit bringen den Menschen voran, aber Zweifel hemmen ihn und stürmen wie Gegenwellen auf ihn ein. Der zweifelnde Mensch verliert die Tatkraft.

Im Erdgeschoss eines vielstöckigen Hotels brach ein Feuer aus, das sich schnell die Stockwerke emporfraß. Ein Mann im obersten Stock bemerkte erst den Brand, als ihm bereits alle Fluchtwege nach abwärts durch das Feuer versperrt waren. Nun riss er das Zimmerfenster auf und suchte nach einer Feuerleiter. Der Rauch versperrte ihm jede Sicht. Da hörte er im Prasseln und Krachen des Feuers eine Stimme, die ihm zurief: „Springen Sie!“ Er hörte auch etwas von einem Sprungtuch. Was tun? Er oben, unten ein mörderisches Kopfsteinpflaster, dazwischen quellender Rauch. Er zögerte, Zweifel stiegen in ihm auf: „Narrt mich die Hoffnung – oder war das eine wirkliche Stimme? Falls es eine Stimme war – habe ich sie richtig verstanden? Falls ich richtig verstanden habe – sagt die Stimme die Wahrheit? Falls sie die Wahrheit sagt – meint sie mich?“ Das ist die Situation des Zweiflers. Zweifel hat noch keinen Menschen gerettet.
Wir alle sind dazu berufen, Mitglieder des ewigen Reiches Gottes zu werden, das uns Christus mit einleuchtenden Parabeln geschildert hat und und er ermuntert uns, mutig und entschlossen die Lebensfahrt dorthin anzutreten. Nur ist es keine Vergnügungsreise, sondern eine Fahrt durch Stürme mit Gegenwellen. Es kann für uns sogar eine „Kreuzfahrt“ werden, aber der kreuztragende Christus geht uns voran. Viele scheuen davor zurück. Zweifel steigen in ihnen auf, ob Christus wirklich der Sohn Gottes ist, ob er die Wunderzeichen vollbracht hat und ob seinen Worten Glauben zu schenken sei. Zweifel zernagen Mut und Entschlossenheit. Was ist da zu tun?

Ganz einfach: Den eingeschlagenen Weg mutig fortsetzen! Nur so können lähmende Zweifel besiegt werden. Dazu ermahnt uns Christus (Joh-ev. 7.17): „Wer bereit ist, den Willen Gottes zu tun, wird erkennen, ob diese Lehre von Gott kommt!“ Wer am Wasserrand stehen bleibt und zweifelt, ob das Wasser ihn tragen kann, bringt nicht den Mut auf, ins Wasser zu springen. Wer nicht bereit ist, für seine Überzeugung Opfer zu bringen, wird sie verlieren. Nur durch das Ausprobieren kann der Mensch Lebenswerte erkennen, mit bloßem Gegrübel gelingt das nicht. Das erkannte sogar Rousseau, der kein vorbildlicher Christ war und sagte: „Erhalte deine Seele stets in einem solchen Zustand, dass sie wünschen kann, es gebe einen Gott, und du wirst nie an dieser Wahrheit zweifeln!“ Wie wahr ist doch das Sprichwort: „Probieren geht übers Studieren!“
Ohne Mut und Entschlossenheit hätte Kolumbus nie die Neue Welt entdeckt. Ohne diese Kraft spendenden Eigenschaften werden wir nie in Gottes „Neue Welt“ gelangen. Sollten uns Zweifel plagen, handeln wir doch wie der Forschungsreisende Baring Gould. Reitend durchquerte er einen reißenden Strom. Die wilden Strudel ringsum machten ihn schwindlig und er war in Gefahr, vom Pferd zu stürzen. Da rief ihm der Reiseführer zu: „Aufs Ufer schauen, aufs Ufer!“ Er tat es und erreichte das Ufer. – Handeln auch wir so. Sollten wir im schäumenden Lebensstrom durch Zweifel schwindlig werden, schauen wir auf das Heil verheißende Ufer des Reiches Gottes. So wird unsere Lebensreise das Ziel gut erreichen.