WORT ZUM SONNTAG: Ausdauer ist die Krönung der Tat

Ein Sprichwort lautet: „Keine Eiche fällt auf den ersten Streich!“ Es will damit sagen: Erfolge sind Früchte der ausdauernden Arbeit. Dasselbe unterstreicht auch ein anderes Sprichwort: „Kein Meister fällt vom Himmel!“ Diese Wahrheit bestätigt uns immer wieder das tägliche Leben.
Der Maler Adolf Menzel (1815-1905), dessen große Kunst oft an Zauberei zu grenzen schien, ließ einmal einen vornehmen Besteller monatelang auf eine Zeichnung zweier gekreuzter Husarensäbel warten. Der Auftraggeber mahnte zunächst höflich, dann dringlicher, ohne Erfolg. Schließlich suchte er den Meister ungeduldig und etwas verärgert in seinem Atelier auf. Menzel sagte nichts, ging an die Staffelei und entwarf in einer Viertelstunde auf vollendete Weise das so sehr gewünschte Bild. Der Besteller, nun begeistert, stammelte seinen Dank und wagte dann die Frage: „Ja, Exzellenz, warum musste ich dann so lange auf die Zeichnung warten?“ Stumm öffnete Menzel seine große Mappe: „Blättern Sie“, sagte der Künstler. Der Herr blätterte die Skizzenmappe durch. Es waren fast hundert Vorstudien für Husarensäbel darin. Wortlos und beschämt verneigte er sich dann vor dem Meister.

Auch ein begabter Künstler erlangt seine Fertigkeiten nur durch ausdauerndes Üben. Nicht umsonst hat ein Prominenter gesagt: „Das Genie besteht aus einem Prozent Begabung und aus 99 Prozent ausdauernder Arbeit!“ So ähnlich wie es im Künstlerleben ist, so ist es auch mit unserer Charaktererziehung. Wir haben viele Heilige im Kalender. Keiner von ihnen ist als Heiliger vom Himmel herabgefallen. Sie waren auch keine religiöse Genies wie etwa Alexander der Große oder Napoleon auf dem militärisch-strategischen Gebiet. Sie haben an sich ein Leben lang ununterbrochen gearbeitet und dabei den härtesten aller Werkstoffe, den Egoismus, nach dem Bilde Christi geformt. Christus selbst unterstreicht den Wert der Ausdauer im Guten im Lukasevangelium (21,19): „Nur mit Ausdauer werdet ihr euer Leben gewinnen!“

Das wollte er uns auch im Matthäusevangelium vor Augen führen. Eine kanaanäische Heidin bat ihn um Hilfe für ihre kranke Tochter. Er gab ihr zunächst keine Antwort. Sie ließ nicht nach und schrie laut um Hilfe. Selbst die Jünger Jesu baten ihn, er möge der Schreienden helfen, damit sie endlich Ruhe gebe. Sie gab keine Ruhe und ihr Flehen wurde nur noch eindringlicher. Und als sie demütig bat: „Auch die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tische ihres Herrn fallen“, heilte er ihre Tochter. Dadurch belohnte er die Ausdauer dieser Frau. Auch wir haben, wollen wir im religiösen als auch im charakterlichen Leben voranschreiten, die Ausdauer notwendig. Wie aber, wenn wir in unserer menschlichen Schwachheit immer wieder in die gleichen Fehler und Sünden zurückfallen? Ein erfahrener Geistesmann gab auf humorvolle Weise auf diese Frage die richtige Antwort. Er empfahl seinen Zuhörern als Patron der Ausdauer ein „Stehaufmännchen“. Er brachte es selber mit und führte damit seine Ratschläge vor. Er legte das Stehaufmännchen auf die Seite; es stand auf. Er stellte es auf den Kopf; im Nu stand es wieder auf den Beinen. Er wirbelte es um sich; sofort stand es wieder gerade da. Die Anwendung ergab sich von selbst: Wenn du fällst, nicht liegenbleiben, sondern immer wieder aufstehen.

Im Januar 1945 wurden wir zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert. Eines der größten unserer Leiden war der permanente Hunger. Die trübe Aussicht für die Zukunft war, dass wir, auf Haut und Knochen abgemagert, die Strapazen der Deportation nicht überstehen werden. Wir jungen Menschen wollten aber am Leben bleiben. Wir kamen zum Entschluss: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“ Auf ein Wunder der Brotvermehrung wie im Evangelium, war nicht zu hoffen. Was taten wir junge Burschen? Wir klauten aus der Fabrik Holz und Kohlen und verschacherten das Heizmaterial an die russische Zivilbevölkerung. Aber nicht immer waren Holz und Kohlen zugänglich. Im Sommer ging das Geschäft nicht gut. Aber der große Hunger, er blieb unser treuester Gefährte. Da gingen wir einfach betteln. Ich ging, so beschämend das für mich war, von Haus zu Haus, von Tür zu Tür. Oft wurde ich, sogar beleidigend, abgewiesen. Aber ich ließ mich dadurch nicht entmutigen. Schließlich ging es um mein Leben. Hie und da erhielt ich ein Stück Brot. So machte ich die Erfahrung: Nur durch Ausdauer kann ich mir helfen! Schließlich kam ich gesundheitlich zufriedenstellend über die schlimme Hungerzeit hinweg. Ohne diese Ausdauer hätte ich wahrscheinlich am Dnjeprufer mein Grab gefunden.

Bei uns geht es aber nicht nur um das physische Leben. Wir alle wissen, unser Leben wird einmal, ob wir nun in Mangel oder Überfluss leben, ein Ende haben. Darum ist es unsere wichtigste Lebensaufgabe, das Ebenbild Gottes in uns zu formen. Dazu ermuntert uns auch die Dichterin Gertrud Maassen: „Immer muss du an dir schaffen wie der Künstler an dem Stein! Alle Kraft zusammenraffen und nie müde darfst du sein!“ Ausdauer bedeutet nicht, immer dasselbe zu tun; es soll auf dasselbe Ziel ausgerichtet sein. Christus hat zur kanaanäischen Frau gesagt: „Dein Glaube ist groß! Was du willst, soll geschehen.“ Für uns wird es einmal die Krönung unserer Ausdauer sein, wenn er am Ende zu uns sagen wird: „Deine Ausdauer hat sich bewährt! Gehe ein in die Freude deines Herrn!“