WORT ZUM SONNTAG: Der Einbahnweg

Der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) wollte in seinem Werk „Kritik der reinen Vernunft“ die Grenzen des spekulativen menschlichen Geistes aufzeigen. Wir können mit unserer Vernunft die Dinge der Welt erkennen, aber nicht, was über sie hinausgeht. Mit anderen Worten: Wir können die Existenz Gottes nicht mit wissenschaftlicher Korrektheit feststellen. Hat er recht? Im Johannesevangelium 1,18 heißt es: „Niemand hat Gott jemals gesehen!“ Wir Menschen können nicht zum Himmel emporsteigen, um uns von der Existenz Gottes zu überzeugen. Unsere Vernunft kann nur sagen: „Es muss eine Macht über uns geben!“ Der Weg vom Himmel zur Erde, von oben nach unten, ist umso leichter. Es ist ein „Einbahnweg“. Das unterstreicht das Johannesevangelium 1,18: „Der eingeborene Sohn, der an der Brust des Vaters ruht. Er hat uns Kunde gebracht!“ Die Menschwerdung Christi ist der überzeugendste Beweis der Existenz der anderen Welt.

Klar drückt diese Wahrheit der Anfang des Hebräerbriefes aus: „Vielmals und auf mancherlei Art hatte Gott von alters her zu den Vätern gesprochen durch die Propheten. In der Endzeit dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt, durch den er auch die Welt geschaffen hat!“ Dass dieser Offenbarungsweg Gottes kein einmaliges Ereignis ist, bezeugt Christus (1,51): „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen und die Engel Gottes über den Menschensohn auf- und niedersteigen sehen!“ Das Evangelium von der Verklärung Christi auf dem Berg Tabor bekräftigt diese Aussage. Er weilte mit drei Aposteln auf dem Berg. Plötzlich brach ein Licht aus ihm hervor und es erschienen Moses und Elias. Moses lebte 13 Jahrhunderte und Elias 9 Jahrhunderte vor Christus. Die Apostel sahen mit eigenen Augen diese Zeugen aus der anderen Welt. – Alle Apostel sahen den von den Toten auferstandenen Christus. Sie sprachen mit ihm, sie berührten ihn, sie aßen mit ihm. Sie waren Augenzeugen der „Himmelfahrt Christi“.

Die Astronomen horchen mit modernen Apparaten in den Weltraum hinein. Sie vermuten, es könnte noch andere von vernünftigen Wesen bewohnte Planeten geben, die technisch noch höher entwickelt sind als wir. Sie hoffen, entsprechende Signale zu empfangen. Ob das wohl geschehen wird? Dafür erhalten wir von Gottes anderer Welt unaufhörlich Signale. Der hl. Stefanus wurde wegen seines Zeugnisses für Christus zu Tode gesteinigt. Er rief aus: „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen!“ Diese Schau gab ihm eine solch geistige Kraft, dass er für seine Mörder betete: „Herr, rechne Ihnen diese Sünde nicht an!“ Dem wütenden Verfolger, der die Botschaft der Apostel für Lug und Trug hielt, erschien vor Damaskus ein Licht und er hörte die Stimme Christi: „Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?“ „Wer bist du, Herr?“, fragte Saulus. Die Antwort lautete: „Ich bin Jesus, den du verfolgst!“ Dieses gewaltige Erlebnis verwandelte den hassglühenden Verfolger in den Heidenapostel.

Es gibt im Leben von vielen Heiligen Zeugnisse, dass der Einbahnweg des Himmels zur Erde, Gottes zu den Menschen, segensreich funktioniert. – Der hl. Thomas von Aquin (1225-1274) war einer der größten, wenn nicht der größte der christlichen Theologen. Er lehrte: Natur und Gnade sind keine Gegensätze. Die Gnade vollendet die Natur. Als Thomas am Nikolaustag 1273 von der hl. Messe zu seiner Arbeit zurückkehrte, war er seltsam verändert. Er schrieb nicht mehr. Sein Hauptwerk, „Summa theologica“, an dem er bisher gearbeitet hatte, legte er beiseite. Mitten im Traktat über das Bußsakrament brach er ab. Bestürzt fragte sein Freund Reginald: „Vater, warum brecht Ihr ein so großes Werk ab?“ Nach einigem Zögern antwortete er: „Ich kann nicht weiterschreiben. Alles, was ich bisher geschrieben habe, erscheint mir jetzt wie Spreu – verglichen mit dem, was ich geschaut habe und was mir offenbart worden ist.“ Unser Forschen und Erkennen gleicht der Öllampe, die nur spärlich Licht spendet. Die Offenbarung Gottes auf dem Einbahnweg gleicht der Sonne, die alle Finsternis vertreibt. Der Einbahnweg Gottes, auf dem er sich uns mitteilt, bleibt immer offen.