WORT ZUM SONNTAG: Eine Frucht des Christusbaumes

Im Laufe der Jahrhunderte entstanden Geistesströmungen verschiedener Art: religiöse, philosophische, politische, soziale und kulturelle. Sie alle gleichen Bäumen, die emporwuchsen und unter deren schattigen Ästen die Menschen Zuflucht suchten. Aber der Reihe nach gingen sie ein und aus dem Geistesboden kamen andere Bäume hervor, die nach einiger Zeit das gleiche Schicksal erlitten. Sie verdorrten. Auch in unserer Zeit entstanden solche Geistesbäume, die mächtig ihre Äste ausbreiteten und jetzt am Absterben sind, wie die Bäume des Faschismus und des Kommunismus. Wir fragen uns: Unter welchem Baum sollen wir unser Zelt aufschlagen?

Es gibt einen Geistesbaum, der schon zwei Jahrtausende überstanden hat und auch heute noch kräftig gedeiht: Es ist der Baum der Heilsbotschaft Christi. Er musste im Laufe der Zeiten viele Stürme überstehen und auch heute schütteln ihn starke Winde. Er bleibt aber stehen und zeigt seine bleibende Kraft in den Früchten, die er hervorbringt: Überzeugte Christen und viele Märtyrer. Eine solche Märtyrerfrucht ist der selige Maurice Tornay aus der Schweiz.
Er wurde am 31. August 1910 in Rosière, einem kleinen Dorf in 1200 Meter Höhe in den Walliser Bergen der Schweiz, geboren. Sein Vater war ein Kleinbauer und Pferdezüchter. Maurice war das siebte von acht Kindern und wurde katholisch erzogen. Maurice musste schon von Kindesbeinen an in der Wirtschaft mithelfen. In ihm erwachte früh der Wunsch nach dem Priesterberuf. Die Eltern unterstützten sein Vorhaben. So kam der 15-Jährige 1925 in das Kollegium der Augustiner-Chorherren-Abtei am Fuß des Großen Sankt-Bernhard. 1931 wurde er Novize unter der Leitung von Nestor Adam, dem späteren Bischof von Sitten (1952-1976).

Sein Kloster hatte schon früher Missionare nach China und Tibet entsandt. Der junge Augustiner-Chorherr Maurice hatte den glühenden Wunsch, Glaubensbote in Tibet zu werden. Am 24. Februar 1936 schiffte er sich mit zwei anderen Gefährten in Marseille mit dem Kurs auf China ein. Er war noch Theologiestudent. Es galt aber, nicht viel Zeit zu verlieren, denn neben dem Theologiestudium musste er noch die tibetanische und auch die chinesische Sprache erlernen. Am 15. März 1936 landete das Trio in Hanoi, der heutigen Hauptstadt Vietnams. Von da ging die Reise zu Lande weiter nach Weisi in der Provinz Yünnan, ein Ort an der Wegscheide des chinesischen und tibetanischen Einflussbereiches. Weisi war ein Hochgebirgsdorf, landschaftlich ähnlich dem heimatlichen Rosière. Hier gab es eine Missionsstation. Maurice setzte das unterbrochene Theologiestudium fort, nahm mit der Bevölkerung erste Kontakte auf und erlernte ihre Sprache.

Bisher waren alle Evangelisierungsversuche in dieser Region des „Reiches der Mitte“ ohne anhaltende Wirkung geblieben. Die meisten Bewohner kamen zu den Missionaren, wenn sie materielle Hilfe oder Medikamente nötig hatten. Maurice hatte schon in der Schweiz einen Krankenpflegekurs mitgemacht. So konnte er manchen Patienten helfen. Ihm aber ging es mehr um die im heidnischen Lamaismus steckenden Seelen, die er für Christus gewinnen wollte. Darum freute er sich, als er am 24. April 1938 in Hanoi zum Priester geweiht wurde. Zunächst leitete er in Husa-lo-pa ein Knabenseminar. Mit dem Eifer einer Mutter sorgte er sich um seine 30 Schüler. Er hoffte, dass aus dieser Schar einheimische Priester hervorgehen würden.

Die Arbeit der Missionare wurde in diesem vom Bürgerkrieg aufgewühlten Gebiet an der chinesisch-tibetanischen Grenze immer schwieriger. Es gab unter den Missionaren mehrere Todesfälle, teils durch Krankheit, teils durch Gewalt herbeigeführt. Maurice wurde 1945 beauftragt, die Pfarre Yerkalo auf tibetanischem Gebiet zu übernehmen. Vorher waren schon Missionare von Anhängern des Lamaismus ermordet worden. Kaum hatte Maurice seine Seelsorge in Yerkalo begonnen, als das Lama-Oberhaupt Gun-Akio erschien und ihn unter Drohungen aufforderte, das Land zu verlassen. Maurice erklärte: „Ich gehe nicht fort, nur wenn ich mit Gewalt gezwungen werde“. Das geschah. Mit Gewalt wurde er über die Grenze gebracht. Maurice wollte seine Schäflein nicht verlassen und kehrte heimlich zurück. Abermals wurde er gefasst und abgeschoben. Nun wollte er einen Schutzbrief von Dalai-Lama erbitten. Es war umsonst. Am 11. August 1949 wurde er von Lamaisten ermordet. Der gute Hirte gab sein Leben für seine Schafe. Papst Johannes Paul II. sprach den jungen Märtyrer am 16. Mai 1993 zu Rom selig.