WORT ZUM SONNTAG: Ökumene – der Wunsch nach Einheit der Christen

Jesus spricht: „Gib mir zu trinken!”
(Johannes 4,1-42)

Das Gespräch unseres Heilandes Jesus Christus mit der samaritischen Frau am Brunnen Jakobs vor der Stadt Sychar in Samarien durchzieht wie ein Faden die diesjährige ökumenische Gebetswoche und reiht die einzelnen Gottesdienste aneinander.
Zu den Samaritern ist zu sagen, dass während der Deportation der Israeliten nach Babylon die Assyrer in dem entvölkerten Land fünf heidnische Stämme aus Asien ansiedelten, die sich mit den wenigen zurückgebliebenen Einheimischen vermischten. Sie nahmen das Gesetz des Mose an, ohne aber auf die Anbetung ihrer mitgebrachten Götter zu verzichten. Als die Israeliten aus dem Exil zurückkehrten, anerkannten sie diese Mischlinge nicht als vollgültige Volksmitglieder und es herrschte Feindschaft zwischen ihnen.

Die Begegnung am Jakobsbrunnen ist aufgeladen mit hoher Symbolik durch die Entitäten, die dort aufeinandertreffen: Da sind erstens das Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab, und der Brunnen, den er gegraben hatte. Jakob, auch Israel genannt, ist der Stammvater der Israeliten, deshalb sind Feld und Brunnen aktualisierte Geschichte: Erde, Gestein und Wasser waren für Israel Materie gewordene Verheißung Gottes, verkörperter Geist, Verlässlichkeit, und das wurde tradiert von Generation zu Generation. Tradition bedeutet Regelwerk des sozialen Verhaltens und der Anbetung Gottes. Sie liefert eine solide Grundlage für die individuelle und gemeinschaftliche Lebensgestaltung. Sie bietet Sicherheit und Beständigkeit im Verhalten und ist ein wirksamer Schutz und eine starke Waffe gegen das Unbekannte und die Unordnung, die uns Menschen unablässig bedrohen. Zweitens die samaritische Frau: Sie stellt die Abweichung dar, die Vermischung, die Unklarheit, das Umhertappen im Finstern, den Kompromiss, die Anpassung an die Situation. Fünf Männer hat sie gehabt, und der sechste, mit dem sie jetzt zusammenlebt, ist nicht ihrer. Einige Ausleger deuten dies als Symbol für die fünf heidnischen Stämme mit ihren verschiedenen Religionen. Der Herr sagt ihr ohne Umschweife: „Ihr wisst nicht, was ihr anbetet.”

Drittens Jesus: Er ist der Messias, der Gesalbte des Herrn, der Heiland, der Quell des Lebens, die Sonne der Gerechtigkeit, er ist die Erfüllung des Gesetzes, durch ihn ist Gnade und Wahrheit geworden, er ist die Hoffnung aller Heiden, der Weg zum Vater, er ist die Fleisch gewordene Menschenliebe Gottes.
Diese drei treffen vor der Stadt Sychar in Samarien aufeinander: Die Tradition, die Abweichung und die Wahrheit. Sie tun es bis auf den heutigen Tag, unter uns und in uns: Sie stoßen zusammen, verdrängen, verdecken einander, polarisieren, trennen Menschen in verschiedene Lager. In der Ökumene versuchen wir, sie miteinander zu versöhnen und eine gottgewollte Einheit herzustellen. Der einzige Weg aber, auf dem dies gelingen kann, ist der von Jesus aufgezeigte: Weder in Samaria noch in Jerusalem, weder auf dem Berg Garizim noch auf dem Berg Zion kann zur Einheit gefunden werden, sondern allein im Geist und in der Wahrheit, denn „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.” Wir müssen also bereit sein, auf Hergebrachtes zu verzichten, selbst Erdachtes beiseite zu lassen und uns dem aktuellen Anspruch Gottes zu stellen. Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen.

Die samaritische Frau übrigens, die durch das Gespräch mit dem Heiland zum Glauben gekommen war, erkannte ihre Chance und kehrte nicht mehr zum alten Leben zurück: Nach der Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten wurde sie von den Aposteln auf den Namen Photini (Fotinia), d. h. die Erleuchtete, getauft, und zusammen mit ihren Kindern und ihren Schwestern, die auch getauft wurden, verbreiteten sie das Evangelium im Römischen Reich zur Zeit des Kaisers Nero, machten viele zu Jüngern und erlitten schließlich alle freudig den Märtyrertod. Photini wurde heilig gesprochen. Ihr Gedenktag ist am 26. Februar.