WORT ZUM SONNTAG: Schicksal und Gebet

‘Rogate’ heißt der fünfte Sonntag in der Osterzeit: Bittet, Betet! Ja, auch das Ausrufezeichen gehört dazu, denn dieser lateinische Sonntagsname steht im Imperativ, der Befehlsform.

Wir Menschen der Moderne haben zum Imperativ ein häufig etwas zwiespältiges Verhältnis. Die Erfahrungen damit sind belastend und wir wissen, die Schritte von Gehorsamspflicht zu Befehlsmissbrauch und Befehlsnotstand können sehr klein sein. Nehmen wir uns deshalb die Freiheit, die Aufforderung ‘Rogate’ weniger als Befehl und mehr als eine freundliche und für das Leben wichtige Einladung zu betrachten.

Das persönliche Gebet gehört im Leben eines Christenmenschen wahrscheinlich zu den intimsten Dingen, die es gibt. Der deutsche Bischof Bedforth-Strohm spricht in diesem Zusammenhang von einer religiösen Scham, die viel größer sei, als beim Reden über Sexualität. Im persönlichen Gebet entdeckt der Mensch schnell seine Verletzlichkeit. Er breitet vor Gott aus, was ihm Angst und Sorge bereitet, ihm den Schlaf raubt: Bedürftigkeit, Existenznot, Unzulänglichkeiten. Das, was gesellschaftlich nicht angesagt ist. Wo er eben nicht stark, erfolgreich, optimistisch und cool ist und  nur so tut, als ob. Er offenbart seine Schwächen, die, so hofft er, nur er selber kennt und die ein Geheimnis bleiben möge zwischen ihm und Gott.

Ein anderer Grund für die Intimität ist möglicherweise auch ein großer Zweifel, ob am Beten überhaupt etwas dran ist, oder es nicht doch vollkommen unsinnig ist, einem Gott das Herz auszuschütten, den es vielleicht gar nicht gibt, wie es von so vielen angeblich ‘aufgeklärten’ Menschen behauptet wird. Und dann können wir ja auch massenhaft Beispiele aufzählen, wo Gebete unerhört geblieben sind. Wie war das mit den Gebeten vor über siebzig Jahren in den Tagen des Zweiten Weltkrieges?

Der Sonntag Rogate führt uns nicht nur zum Nachdenken über das, was Beten und Gebet für uns bedeuten, sondern fragt zu aller erst einen jeden Beter persönlich, welches Bild er/sie von Gott hat. Beides gehört nämlich ganz eng zusammen. Betrachten wir ihn als einen ‘Knopfdrückergott’ – wie es Bedfort-Strohm karikierend ausdrückt – dann ist er für alle Unzulänglichkeiten im Leben und für alle Katastrophen dieser Erde auch verantwortlich.

Gott aber ist anders!

Er hat keinen himmlischen Megacomputer vor sich, auf dem er Lebenslichter je nach Laune an- oder abschaltet, Katastrophen einpegelt und Lebenskrisen programmiert. Es ist nicht Gottes Wille, dass so viele Menschen gegenwärtig in den Fluten des Mittelmeeres ertrinken, Flüchtlingszahlen ins Unermessliche steigen, die von ihm ohne Ansehen von Person, Rasse und Religion gebotene Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe auf der Strecke bleiben und Terror, Korruption und Kriege immer wieder neu zu ‘einer Politik mit anderen Mitteln’ werden, wie es vor gut zweihundert Jahren der preußische General Carl von Clausewitz in einem anderen Zusammenhang einmal formulierte.

Keiner von uns weiß, wie Gott wirkt. Keiner von uns weiß, warum Dinge passieren, die ganz und gar gegen Gottes Willen stehen. Alles, was wir können, ist, radikal vertrauen und uns total in das Kraftfeld jenes Gottes stellen, von dem uns die Bibel so faszinierend und heilvoll erzählt. Das ist der Gott, zu dem wir beten, dem wir alles vortragen können, was unser Herz bewegt.

Gott ist nicht der Verursacher der katastrophalen Situationen auf unserer Erde, aber er ist als der Tröster der Betroffenen und Trauernden mitten in ihnen, als derjenige, der die Opfer in seinem Schoß aufnimmt.
Um besser zu verstehen, wie wir beten sollen, ist es gut, auf Jesus zu schauen. Es gibt im Neuen Testament eine besonders anrührende Gebetsszene: Jesus betet in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag im Garten Gethsemane. Er weiß, was ihm bevorsteht, er hat Angst und er sagt: „Vater, wenn du willst, so gehe dieser Kelch von mir, aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Und das Gebet, so erzählt der Evangelist Lukas, gibt ihm Kraft. Das Blatt aber wendet sich nicht. Er muss den schweren Weg zur Kreuzigung gehen.