WORT ZUM SONNTAG: Vom Fischzug des Petrus

Kürzlich bat mich ein Freund, seine Trauer mit mir zu teilen. Er lud mich ein an einen Ort, der sich nach unserem Empfinden noch hinter dem letzten Ort am Ende des Erdkreises befand. „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen“, sagt Petrus, und wie viele von uns leben mit dem Gefühl, nur noch Totengräber, Totengräber einer zu Ende gehenden Kultur zu sein. Vor einiger Zeit sagte man mir, ich würde sterbende Gemeinden repräsentieren, die Dorfgemeinden hätten keine Zukunft, die Zukunft der Kirche läge in der Stadt. Im vergangenen Herbst belehrte uns eine hoch gestellte Persönlichkeit, dass wir kein Haupt haben, weil wir – in aller Verschiedenheit – alle gleich seien. Christus scheint irgendwie eliminiert aus dem Denken der Kirche, und wenn man IHN zulässt, dann nur so weit, wie es den eigenen Vorstellungen und Bildern entspricht, die wir uns von IHM gemacht haben.

Derweil ist es so, dass der Hunger und Durst nach Gottes Wort wächst und wächst. Das Erdreich ist so stark ausgetrocknet, dass sich schon Risse bilden, und das Wasser nur sehr schwer eindringt, wenn es dann mal wirklich regnet. Eine Stunde Gottesdienst pro Woche ist das Maß, mit welchem wir unser Evangelisch-Sein messen, zu gern zeigen wir auf die andern, die lange Gottesdienste feiern, die Fehler machen, korrupt sind und die Prioritäten falsch setzen. Mich hat zutiefst beeindruckt, wie Bischof Friedrich Müller und die ganze Evangelische Kirche A.B. in Rumänien Buße getan hat. Martin Luther begann die Reformation mit dem ersten Satz aus dem Evangelium: „Tut Buße, kehrt um, erneuert euren Sinn, denn das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.“ Umkehr, griechisch: Metanoia, bedeutet Umwandlung des Sinnes, Umwandlung der Denkkraft, Umwandlung unserer Vernunft, sodass sie von Gottes Geist durchdrungen und geprägt wird, und genau das fordert schon der Anfang des Evangeliums. Aber was tun wir dafür?

Das Evangelium des fünften Sonntags nach Trinitatis stellt uns einen beeindruckenden Neuanfang vor Augen. Die Menge drängt zu Jesus, um Gottes Wort zu hören, weil sie gesehen hat, dass Jesus tatsächlich heilt und sogar Tote zum Leben auferweckt, dass er nicht nur Worte macht, sondern mit Vollmacht spricht und lehrt. Deshalb fordert er Petrus auf, mit seinem Boot ein wenig vom Land wegzufahren, damit er besser gehört und gesehen werden könne, und auch, wie die Kirchenväter sagen, ein wenig herauszutreten aus dem mit Sorgen gefüllten Alltag und seiner Not, das Boot als Sinnbild für die Kirche, den Gottesdienst, den Sonn- und Feiertag. Jesus spricht und hält eine Predigt, weil er weiß, dass die Menschen das brauchen. Aber er hört irgendwann mit dem Sprechen auf, weil er nicht nur durch Sprechen lehrt. Er befiehlt Petrus, dorthin zu fahren, wo es tief ist.

Und genau diese Aufforderung trifft auch unsere evangelische Kirche, nämlich, dass wir die Belanglosigkeiten beiseite lassen, auf Worthülsen verzichten, Intrigen unterlassen, einfach und ehrlich werden, uns den wichtigen und der Kirche tatsächlich aufgetragenen Fragen zuwenden. Die Kirche ist nämlich kein bürokratischer Apparat, mit Formularen und Parteitagsbeschlüssen, sondern ein lebendiger Organismus, wo ein jedes Glied mit jedem andern verbunden ist und Freud und Leid wirklich miteinander geteilt werden. Das Haupt der Kirche ist Christus und ER muss das auch bleiben, weil es eine Kirche ohne Christus nicht gibt, und der Heilige Geist sorgt für die Verbindung der Glieder. Deshalb kann die Kirche, wenn es denn die Kirche ist, nicht ohne den Heiligen Geist sein; in Christus gibt es keine Spaltung.

Jesus befiehlt dem Petrus dorthin zu fahren, wo es tief ist, und sie fangen so viele Fische, dass die Netze anfangen zu reißen. Sogar ein zweites Schiff müssen sie rufen, um den großen Fang an Land zu bringen. Hier zeigt sich ein großes Geheimnis. Petrus und die Seinen folgen Jesus und Seinem Befehl ehrlich und aufrichtig, ohne schon in allem vollkommen zu sein. Sie stehen da erst am Anfang, haben sehr vieles noch nicht begriffen, und Petrus bekennt vor Jesus: „ HERR, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.“
Jesus aber sieht seine Liebe, seine Aufrichtigkeit und seinen Ernst, und beruft ihn in Seine Nachfolge: „Fürchte Dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.“ Dadurch, dass dieser Ernst macht mit Gottes Wort und Seinen Ordnungen, aber auch dadurch, dass Petrus sein Scheitern bekennt, die Erfahrung der Vergebung kennenlernt und mit dieser Erfahrung ein neues Leben beginnt, das auch andere überzeugt. Amen.