WORT ZUM SONNTAG: Was suchet ihr?

Ganz am Anfang seiner Wirksamkeit wendet sich Jesus, laut Johannesevangelium, zwei „Johannesjüngern“, die auf ihn zugingen, zu und fragt sie „Was suchet ihr?“
Mit elementarer Kraft stehen diese Worte zwischen ihm und den beiden: „Was suchet ihr?“

Es sind dieses die ersten Worte nach dem Bericht des Johannesevangeliums, die Jesus Menschen gegenüber ausspricht. Am Anfang seiner Geschichte mit Menschen steht: „Was suchet ihr?“

„Was suchen wir“, liebe Leser, bei Jesus Christus? Was suchen wir bei Gott? Was suchen wir im Glauben? Was suchen wir in einem Gottesdienst? Was suchen wir, wenn wir beten?

Manchem begegnet Gott wie von selbst in der Natur, im Wald, in den Blumen, in der Sonne, im Wind, im Meeresrauschen.

Die Schöpfung fragt uns nicht: „Was suchet ihr?“ Sie spricht an sich und aus sich, so wie wir es denn fühlen.

Daneben gibt es die andere Ebene, die Ebene von Person zu Person, die Ebene von uns zu Christus, von uns zu dem Vater. „Was suchst du bei mir?“ werden wir gefragt.
Wir können nicht „etwas“ suchen, ohne zu wissen, was wir suchen. Uns muss klar sein oder klar geworden sein, was uns fehlt, was wir nicht haben. Erst dann beginnt das Suchen.

„Was suchst du bei mir?“ bedeutet darum, dass wir uns selbst zuerst, ein jeder und eine jede für sich, klar werden, wer wir sind, welche Schwächen und Fehler wir haben und welchen konkreten Wunsch wir an Gott haben.

Selbsterkenntnis oder Selbsterforschung stehen am Anfang des Glaubensweges. Weiß ich nicht, wer ich bin, dann weiß ich nicht, was ich mir von Gott erhoffe.
„Was suchet ihr?“, heißt darum: Gehe zuerst in dich. Halte deine Schwächen fest und dann begib dich auf die Suche.

Ich erkenne vielleicht an mir, dass ich oft Angst habe und diese Angst überwinden will.
„Was suchst du?“ - „Ich suche Trost und Überwindung der Angst.“
Ich erkenne vielleicht an mir, dass ich, je älter ich werde, um so mehr im Gespräch nur mein Leben, meine Probleme, meine Perspektiven zur Sprache bringe, einfach nicht zuhören kann.
„Was suchst du?“ - „Ich suche den Abstand von mir und wirkliches Interesse an den Gedanken anderer.“
Oder einfach: - „Ich suche den Frieden und die Überlegenheit über meine Gefühle.“

Die beiden Jünger gehen den nächsten und entscheidenden Schritt. Sie fragen: „Wo ist deine Herberge? Wo ist der Raum, da wir dir nahe sein können? Wo ist der Ort, da wir deine Nähe stärker erleben können als hier?“
Jesus antwortet: „Kommt und seht!“

Wenn Menschen wissen, was sie von Gott erwarten, was sie suchen, was für sie wichtig ist wie das Brot zum Leben, erfolgt die Einladung zum Bleiben, zum Verweilen, zum Sich-Niederlassen in Gottes „Raum“, Gottes „Herberge“, Gottes „Ort“.

Entscheidend sind nicht der Raum, die Herberge oder der Ort als solcher, entscheidend ist, dass uns Gott in der Weite der Welt, in der Unermesslichkeit des Universums einen Raum der Begegnung gewährt.

Später wird es im Johannes-Evangelium heißen: „Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und mein Vater und ich werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“

Die Jünger kommen in die „Herberge“, in den „Raum“, da Jesus lebt, und sie bleiben den Tag über bei Jesus „bis zur zehnten Stunde.“
Nach allgemeiner Gültigkeit hat in der Antike der Tag zwölf Stunden, von morgens um sechs Uhr bis abends um sechs. Die zehnte Stunde, unser vier Uhr nachmittags, ist - ebenfalls allgemein gültig in der Antike - die „Stunde der Erfüllung“. Noch ist die Sonne nicht unter gegangen und der Tag nicht beendet. In vollen Farben präsentiert er sich.

Die Jünger, so die verschlüsselte Botschaft der Worte „und sie blieben bis zur zehnten Stunde“, erfahren Erfüllung, die Christus schenkt. Sie finden, was sie suchen. Ihr Bleiben dort, wo Jesus ist, trägt Frucht. In ihr Leben zieht etwas von dem Frieden, der Freude, der Liebe, der Beständigkeit und der Freiheit ein, die sie nicht haben.
„Kommt und seht!“, sagt uns Christus. Das Kommen und Sehen ist unsere Aufgabe und Arbeit, das Beschenken und zur Erfüllung führen ist das, was dann Christus tut.