WORT ZUM SONNTAG: Zur rechten Zeit

„Aller Augen warten auf dich, Herr, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.“
(Psalm 145,15)
 

Jeder von uns kennt das Gefühl des Wartens. Warten kann qualvoll sein. Wenn Besuch sich verspätet. Wenn man beim Arzt sitzt. Wenn man auf ein Taxi wartet. Und ganz schlimm, wenn man auf eine Nachricht wartet, von Menschen, die man liebt – oder das Resultat einer Untersuchung erwartet.

Wir werden unruhig, bewegen die Hände, wippen mit den Füßen. Wer kann, geht auf und ab.

Aber es gibt auch das andere Warten, das hoffnungsvolle und freudige Er-Warten.
Und das erkennt man am schönsten an den erwartungsvollen Kinderaugen.
Am Geburtstag oder an Weihnachten, wenn es Geschenke gibt. Aber auch, wenn die Zimmertür aufgeht und Besuch kommt, dann fragen die Augen: wer ist es wohl – und: kommt der Besuch zu mir?

So erwartungsvoll wandern meine Augen zum Fenster hinaus; in meinen Garten. Ist etwas aufgegangen; wächst und gedeiht es auch?

Denken wir doch noch einmal an das Psalmwort: „Aller Augen warten auf dich!“ Auch in unserem Leben warten wir auf so manches. Wir warten darauf, dass etwas sich entwickelt.

Nicht umsonst sagt man von jungen Menschen: sie stehen in der Blüte ihres Lebens. Und ich denke an einen Apfelbaum, der über und über voll ist mit Blüten. So eine Blüte macht Freude. So eine Blüte lässt hoffen. Was wohl daraus wird? Welche Früchte da wohl heranreifen werden?

Und dann kommt die Reifezeit. Gaben und Fähigkeiten bilden sich heraus. Beziehungen wachsen. Der Mensch wird erwachsen.Doch je reifer wir werden, umso mehr wissen wir vom Leben. Und oft werden wir gerade dadurch zu reifen Menschen, dass wir eben nicht nur milde Sonnentage erlebt haben, sondern auch so manchem Sturm trotzen mussten.

Und auch so manches Hagelwetter geht über uns hinweg und hinterlässt auf unserer Seele eine Verletzung. Manches verwächst sich mit der Zeit ganz gut. Aber manches bleibt, rau und hart, und es stört das schöne Bild.

Und manchmal ist ja wirklich auch der Wurm im Apfel drin. Da bohrt und nagt etwas in uns und lässt uns keine Ruhe.

Und doch – wenn ich mir diese Äpfel aus unserm Garten ansehe: Trotz aller Macken und Schönheitsfehler sind es wunderbare Früchte. Und aus jedem lässt sich etwas machen. Kuchen, Kompott, Apfelmus oder leckere Apfeltorte.

Ich vergleiche diese Ernte mit uns Menschen. Auch wenn es da Macken und Narben gibt, so gibt es auch viel zu staunen und zu danken.

Das Ernte-Dank-Fest – es ist für mich nicht nur ein Tag, um auf die Ernte eines Jahres zurückzublicken: auf das Obst, Gemüse und Getreide. Für mich ist dieser Tag immer auch ein Anlass, die „Ernte des Lebens“ zu betrachten.

Und zu so einem Lebens-Ernte-Dank gehören all die Menschen, mit denen ich gerne zusammen bin; die mir immer wieder eine Freude machen oder die mir das Leben erleichtern: Kinder und Eltern; Neffen und Nichten; Freunde und Nachbarn, alle, die mir nahe stehen.

Lebens-Ernte-Dank: Das ist die Erinnerung an berufliche Erfolge; das ist, dass jemand stolz ist auf Bilder, die er gemalt hat; auf Handarbeiten, die er erstellt hat; auf Gedichte und Lieder, die man noch immer auswendig weiß.Ernte-Dank ist Rückblick auf das, was man erreichen und ernten konnte. Ernte-Dank heißt aber auch: Da ist etwas zum Abschluss gekommen. Jetzt kommt wohl nicht mehr viel Neues hinzu. Jetzt muss ich zurückgreifen auf die Vorräte, die ich habe.

Der Gedanke kann einem Angst machen. Werden die Vorräte reichen? Komme ich dran, wenn ich sie brauche?

Doch wie heißt es im Psalm? „Aller Augen warten auf dich, Herr, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.“ Manche Dinge können wir nicht vorrätig in der Kammer horten, die gibt uns Gott zur rechten Zeit. Dieses bedeutet für uns Vertrauen, dass Gott seine milde Hand zur rechten Zeit auftut und „uns sättigt mit Wohlgefallen.“