WORT ZUM SONNTAG: Zwischen erben und erwerben

Der österreichische Schriftsteller Franz Werfel (1890-1945) verfasste den beeindruckenden Roman „Der veruntreute Himmel“. Darin spart die böhmische Haushälterin der reichen Familie Argan Teta Linek ein arbeitsreiches Leben lang Groschen um Groschen. Sie lässt ihren Neffen Moimir Theologie studieren, um sich, nach einem entsagungsvollen Erdenleben, einen sicheren Platz im Himmel zu erkaufen. Aus der Ferne verfolgt sie seinen Werdegang als Schüler, Student und Geistlicher. Nun will sie ihn in seiner Pfarre besuchen. Sie muss entdecken, dass es einen Geistlichen seines Namens gar nicht gibt. Sie erkennt, dass sie einem Schwindler zum Opfer gefallen war. Nach langem Suchen findet sie den Neffen als Hausierer mit Scherzartikeln und obszönen Photos in einem Armenviertel in Prag. Ihr Mittler zum Himmel entpuppt sich nach dreißig Jahren raffinierter Täuschung als großer Lügner. Da zerbricht in ihr eine Welt. Sie muss erkennen, dass man den Himmel nicht erkaufen kann, dass sich die Gnade nicht zwingen lässt. Auf einer Pilgerfahrt nach Rom erkennt sie ihren Irrtum, verlässt sich nun ganz auf die Gnade Gottes und stirbt dort versöhnt mit Gott und der Welt.

In unserem kleinbürgerlichen Leben bringen wir es mit viel Arbeitsaufwand zu einem bescheidenen Lebensstil. Das „Erwerben“ auf diese Art ist hart und mühselig. Sogenannten „Sonntagskindern“ fallen Reichtümer ohne Mühe durch das „Erben“ in den Schoß. Welch ein Unterschied zwischen einem Arbeitersohn in einer Londoner Fabrik und dem Königssohn auf dem Windsor-Schloss! Ist das nicht ungerecht, dass der Arbeiter ständig den Riemen enger schnallen muss, während der Königssohn im Vollen und Tollen lebt? Dieser Unterschied wurde der Nährboden für Ideologien und politische Parteien. Alle wollen ein Stück vom „großen Kuchen“ haben. Der Philosoph sieht das gelassener. Er sagt: „Die einzige Gerechtigkeit auf Erden ist der Tod. Beide fahren in die Grube: der hammerschwingende Arbeiter wie auch der gekrönte Königserbe.“

Überzeugte Christen blicken über diesen engstirnigen Horizont hinaus und wissen, dass sie die eigentlichen „Sonntagskinder“ sind. Das höchste und beständigste aller Güter, den Himmel, müssen wir uns nicht mühselig dienend erkaufen. Wir werden es „erben“. Der Apostel Paulus hämmert uns diese Verheißung Gottes unermüdlich ein: „Alle, die sich vom Geiste Gottes leiten lassen, die sind Kinder Gottes. Wenn aber Kinder, dann auch Erben, Erben Gottes, Miterben Christi!“ Noch gleichen wir hier auf Erden unmündigen Erben. Das erklärt Paulus im Galaterbrief (4,1.2): „Solange der Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich in nichts von einem Sklaven, obwohl er doch Herr über das Ganze ist: Er untersteht vielmehr Vormündern und Verwaltern bis zu dem vom Vater bestimmten Zeitpunkt!“ Unsere wichtigste Aufgabe bis dahin besteht darin, uns unseres künftigen Erbes würdig zu erweisen. Dazu ermahnt der Apostel immer wieder: „So ermahne ich euch denn: Wandelt würdig der Berufung, die an euch ergangen ist.“ „Ihr sollt Gottes würdig wandeln, der euch zu seinem Reich und seiner Herrlichkeit berufen hat!“

Es ist ohne Bedeutung, welche Rolle uns Gott in dem „Göttlichen Schauspiel“ des irdischen Lebens zugedacht hat. Manche spielen die Rolle eines Präsidenten, andere die eines Bankdirektors, wieder andere die Rolle eines Sängerstars oder einer Fußballgröße. Uns gewöhnlichen Sterblichen hat er kleinere Rollen zugedacht. Die Hauptsache ist, dass wir unsere Rolle gut, ja sogar sehr gut spielen. Der Filmschauspieler Hans Moser hat nur Rollen des kleinen Mannes dargestellt. Aber er spielte seine Rollen so gut, dass er ein berühmter und beliebter Schauspieler geworden ist.
Wir müssen kein Bankkonto besitzen, um zu wissen, ob wir uns den Himmel erkaufen können. Es sind auch keine athletischen Leistungen nötig, um den Himmel zu erwerben. Es genügt, Christus treu nachzufolgen. Das Wichtigste im Leben ist nicht machbar, es wird geschenkt. Wir haben als „Erben“ Recht auf das von Gott verheißene Erbe. Erweisen wir uns dieses Vorrechtes würdig!