WOTZ ZUM SONNTAG: Das neue Lied

„Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“ (Psalm 98,1a)
 

Liebe Leserinnen und Leser,

Das Liederbuch Israels, der Psalter, hat Lieder für jede Lebenslage. Dass wir als Christen die Psalmen Israels rezitieren, erinnert uns daran, dass diese das Gebetbuch Jesu und das Gesangbuch der ersten Christen waren. Die Psalmen stellen uns in eine lange und reiche Geschichte des Jubels und Klagens, des Singens und Betens. Allerdings ist es mit den Psalmen der Bibel wie mit dem Brot. Über Brot kann man diskutieren, man kann es analysieren, chemisch in seine Bestandteile auflösen, aber nur dem, der es auch isst, dem gibt und stärkt es das Leben.

Als Christen sind wir durch unsere zweitausendjährige Geschichte singend unterwegs. Der Sonntag Kantate erinnert uns daran: Christsein hat immer mit Singen und Musik zu tun. Jedes Lied, das gesungen wird, hat etwas von einem kleinen Fest. Wer einmal unsere Gesangbuchlieder in sein Herz geschlossen hat, wer ergriffen worden ist und wem Gott das Herz angerührt hat, der singt diese Lieder immer wieder neu. Sie belassen uns Menschenkinder nicht bei der profanen Sprache des Alltags, sondern rufen uns hinein in einen Sprachraum, mit dem wir unserem Dank, unserer Freude, auch unserer Klage Ausdruck geben können. „Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen, der große Dinge tut an uns und allen Enden, der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an bis diesen Augenblick unzählig Guts getan.“ (EG 257,1)

Diese alten Lieder, wenn wir sie singen, sind immer wieder neue Lieder. Sie geben unserer Seele Worte und helfen uns, Lasten zu tragen und Alltag zu bewältigen. Indem wir sie singen, singen wir sie immer wieder neu, je nach Lebenslage.

Wir singen unsere Lieder heute anders als wir es morgen tun werden. Zwischen heute und morgen liegt eine neue Zeit, liegt Weinen und Lachen, liegt Anfangen und Aufhören, liegt Kommen und Gehen. Es ist Menschenzeit und zugleich Gotteszeit. Und wenn sich Gott in Jesus Christus festgelegt hat, für uns da zu sein, so gilt doch: Jeder Tag mit seinem neuen Licht ist ein Wunder und ein Geschenk, aus Gottes Hand angenommen. „Wenn ich schlafe, wacht sein Sorgen und ermuntert mein Gemüt, dass ich jeden lieben Morgen schaue neue Lieb und Güt. Wäre nicht mein Gott gewesen, hätte mich sein Angesicht nicht geleitet, wär ich nicht aus so mancher Angst genesen. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit“ (EG 260,4). Ist das nicht ein Wunder?

Wer Gottes Wunder in seinem Leben entdeckt, der soll das nicht für sich behalten. Der soll es weitersagen und weitertragen, auch in Form eines Liedes. Viele Menschen erleben, dass Singen eine heilende Wirkung hat. Es unterstützt Gefühle der Freude und Dankbarkeit oder lässt sie neu entstehen, je nach Text, Melodie und Rhythmus. Aber auch Gefühle wie Trauer, Ärger und Verzweiflung lassen sich durch Singen besser bewältigen, wenn sie in Form eines Liedes nach außen getragen werden.

Ein neues Lied singen, heißt es in Psalm 98. Die alte, ewig gültige göttliche Botschaft in neue Worte und Klänge fassen. Es ist die Botschaft von dem, der unseren Lebensweg segnend begleitet. Von dem, der den Tod besiegt und uns neues Leben zugesagt hat. Immer wieder haben Menschen diese Botschaft neu in Texte und Melodien verwandelt. Im Singen eines Liedes Gott zu loben und zu danken für alles, was er uns an Gutem geschenkt hat, das stärkt unsere Zuversicht und unseren Glauben.