Zimmer frei

Symbolfoto: pixabay.com

„Gratis-Appartement oder Garçonnière zu vergeben! Wahlweise in rustikaler Familienpension oder im luxuriösen Sterne-Hotel. Jedes Zimmer mit Seeblick und Zugang zum üppig blühenden Garten. Mietfreies Wohnen, gerne lebenslänglich. Und natürlich mögen wir Ihre lebhafte Kinderschar – bringen Sie doch am besten gleich die ganze Sippe mit. Auch für Verpflegung sorgen wir selbstverständlich, unser Obst- und Gemüsegarten steht zu Ihrer freien Verfügung.“ Dies würde ich in die Anzeige schreiben...

Zu schön um wahr zu sein? Doch genau dieses großzügige Angebot unterbreiteten wir an einem strahlend schönen Frühlingswochenende den zahllosen Obdachlosen, Wohnungssuchenden, Flüchtlingen und Asylanten, die seit Tagen unser Häuschen umkreisten. Mal schüchtern, mal forscher auf der Suche, mal dreist ans Fenster klopfend, so manch einer hatte sich auch schon in die gute Stube hineinverirrt. Dort konnten wir sie beim besten Willen nicht gebrauchen. Doch schön langsam taten sie uns leid...

Zwei Stunden vorher: „Was hast du mit der Säge vor?“ fragt mein Göttergatte argwöhnisch, während vom Holzbock vor mir ein Bambusstückchen nach dem anderen auf den Boden fliegt. Alle gleich lang, etwa zehn Zentimeter, auf einer Seite offen, auf der anderen der Knoten, der die Hohlräume des Bambusrohrs trennt. „Und überhaupt – du musst sie sooo halten!“ Zack, schon ruht sein Arbeitshandschuh fest auf meinem Bambusstab und der andere grapscht sich die Säge. „Wie konnte ich nur vor dir überleben?“ liegt mir auf der Zunge, während er geräuschvoll quietschend ein Bambusröhrchen produziert. Freilich melodischer, sicherer, eleganter als ich es jemals könnte. Ich schlucke die Frage herunter und flöte stattdessen: „Schatz, haben wir noch so einen Kamin-Ziegelstein mit Loch in der Mitte? Es kann auch gerne ein kaputter sein.“ Großzügig bringt er mir einen halben. „Was wird das überhaupt?“ fragt er, als ich auch noch beherzt in den Lehmeimer fasse und die Bambusstäbchen mit der Pampe zusammen in das halbrunde Loch des Ziegels drücke. Ohne eine Antwort abzuwarten, murmelt er grinsend: „Rückfall in die Kindheit“ – und schlurft von dannen.

Gut eine halbe Stunde sehe ich nichts mehr von ihm. Das hätte mir verdächtig vorkommen müssen. Denn während ich mein vollendetes Kunstwerk zufrieden in der Sonne hin und her drehe, hält mir mein Göttergatte plötzlich ein ganz ähnliches Gebilde unter die Nase: „Mach doch hier bitte auch noch Lehm rein.“ Das ist ja nicht zu fassen! Ein ganzer (unkaputter) Kaminziegel (nur er darf das!), und im mittigen Loch thront eine ausgehöhlte Kokosnuss, das Innere mit Schilfwedeln weich ausgepolstert. Ringsum ebenfalls Bambusstäbchen, die die hohle Nuss im Rahmen fixieren. Und nun soll ich sein viel schöneres, viel größeres Konkurrenzobjekt auch noch mit meinem Dreck zusammenpappen. Selbst Schuld, ich hatte ihm ja gestern Abend die Bauanleitung vorlesen müssen...

Doch das höhere Ziel heiligt die unlautere Vorgehensweise. Einhellig stellen wir unsere Kreationen in der Veranda auf. Meine „kleine Familienpension“ für Unterschlupf suchende Wildbienen, sein „Luxushotel“ für Hummelfamilien – und einzeln lebende Bienchen, denen es nichts ausmacht, in einer bescheidenen Röhren-Garçonnière neben der protzigen Kokosnuss-Villa zu hausen. Nun bleibt nur noch abzuwarten, wann sie einziehen, die Obdachlosen, die Flüchtlinge und Asylanten. Herzlich willkommen im Insektenhotel!

Erster Nachtrag, eine Woche später: Noch immer kein Mieter eingezogen – dafür hat ein dreister Spinnerich prophylaktisch vor alle „Hotelzimmer-Eingänge“ ein Netz gebaut!
Zweiter Nachtrag, im Hochsommer: Die immer noch unbewohnten Sozialwohnbauten ignorieren wir mittlerweile geflissentlich. Naja, wenigstens sehen sie hübsch aus vor unserer Holzveranda. Bis ich bei einer Ausmisteaktion auf dem Dachboden ein wahrhaft zauberhaftes Gebilde entdecke. Dasselbe Röhrengefüge, doch pittoresk aus rotem Lehm, klebt das Wildwespenheim an einem alten Stuhlbein. Von bestechender Schlichtheit und Symmetrie, solide und gleichzeitig ästhetisch. Cucuteni-Gefäße sind ein grober Dreck dagegen!

Nächstes Jahr werden wir uns mehr bemühen.