Zu schön für die Computerwissenschaft?

Silvia Stegaru engagiert sich für Frauen im IT-Bereich

Dank ihren Leistungen gehört Silvia Stegaru zu den Forbes-Top 30 unter 30.

Eines der Projekte von Codette: ein praktischer Workshop mit Schülerinnen

Gruppenfoto im Rahmen einer Veranstaltung von Codette
Fotos: privat

„Die Mama hat zwei Töchter, die eine ist schön, die andere studiert an der Poli“ (Universität Politehnica). Ein Sylvester Stallone mit Perücke und geblümtem Hemd. Oder: Keine Frau kann Kinder kriegen, wenn sie den ganzen Tag lang am Computer arbeitet. So werden Frauen dargestellt, die an einer technischen Hochschule studieren. Sie werden manchmal rücksichtslos gehänselt oder ihnen wird von einer TU abgeraten, weil es für sie angeblich zu schwierig sei. Schulbücher für die Grundschule zeigen Frauen statt dessen als Blumenverkäuferinnen, Putzfrauen und Erzieherinnen.

Silvia Stegaru hat solche Bilder stur ignoriert und will diese Denkweise ändern. Mit 28 Jahren ist sie prämierte Ingenieurin, die erst unlängst Codette, eine Gemeinschaft für Frauen im IT-Bereich, auf die Beine gestellt hat. Stegaru betätigt sich auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Betreuerin für Frauen in dieser Branche. „Wir sprechen heutzutage so oft von Unternehmertum und Start-ups, doch es gibt so wenige Frauen, die in diesem Bereich arbeiten – das finde ich ein bisschen komisch. Letztendlich haben wir auch viele Ideen und Frauen repräsentieren 50 Prozent der Bevölkerung“, sagt sie. Gewissenhaft zählt sie anschließend technische Objekte auf, die von Frauen erfunden wurden: die Polyara-mid-Faser, die Kreissäge, die Feuertreppe, der Schalldämpfer, den Lok-Kamin, den Wankelmotor, die Rettungsinsel, die Hochbahn.

„Aber du bist zu schön, um dort zu studieren“, lächelt sie zwanglos, als sie die Worte wiedergibt, die sie vor der Aufnahmeprüfung an der Poli hören musste. Studieren wollte sie an einer einzigen Fakultät - der für Automatik und Computerwissenschaft in Bukarest, an der sie jetzt promoviert. Auch wenn ihre Noten sehr gut waren und sie am Gymnasium Spitzenleistungen im Fach Informatik hatte, wurde ihr immer wieder gesagt, dieses Studium sei zu schwierig für sie. Das war einigermaßen schmerzhaft: „Da gab es Jungs, die keine Leistungen wie ich hatten, doch ihnen rieten die Eltern nicht von einem Informatikstudium ab. Hingegen wurden Jungs mit diesem Vorhaben respektiert, als ob sie schon Ingenieure wären. Keiner konnte sich vorstellen, dass ich Ingenieurin werden kann“, erinnert sich Stegaru.

Nach dem Abschluss wurde sie als Ausnahme betrachtet, „als ob eine andere Person an meiner Stelle es nicht hätte schaffen können. Wenn das die Geschichten sind, die jungen Frauen im Gymnasium erzählt werden...“, Stegaru macht eine Pause. Sie denkt an die Lücke, die an der Uni entsteht: Im Gymnasium repräsentieren Mädchen in den Mathe-Informatik-Klassen die Hälfte der Schüler. An der Fakultät ändern sich die Zahlen dann brüsk: Nur ein Viertel der Studierenden sind Frauen. Stegaru hatte als Dozentin manchmal nur männliche Studenten im Unterrichtsraum. Dass sie schon von Anfang an sagte, „Ich bin Mitbegründerin einer Gemeinschaft für Frauen im Bereich Computerwissenschaften“ überraschte die Studierenden. „Sie sollen unsere Gründe verstehen und uns helfen“, begründet Stegaru ihre Herangehensweise. 

Die Entstehung von Codette

Hierzulande glaubt man, dass es keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt. „Doch es gibt viele Unternehmen in Rumänien, in denen weniger als zehn Prozent der Programmierer Frauen sind“, sagt Stegaru. Codette soll Frauen dabei helfen, Beziehungen aufzubauen, Probleme zu verstehen, Lösungen zu finden: „Man muss einfach wissen, dass man nicht alleine ist“, so Stegaru. Auf die Idee einer Gemeinschaft für Frauen in der IT-Branche kam sie nach einem Stipendium von einem bekannten US-amerikanischen Unternehmen: „Ich wurde zu einem Trainingsprogramm mit vielen Workshops eingeladen, mir wurde viel von der globalen Situation erzählt. Ich habe viel recherchiert und habe mich entschieden, einen kleinen Teil aus jedem Bereich auszuwählen und damit etwas aufzubauen“, sagt die Frau. So ist Codette entstanden. Die Gemeinschaft soll als sicherer Ort für Frauen fungieren. Zu einer Veranstaltung mit dem Namen Codette Stories wurden  drei Frauen eingeladen, die als Vorbilder gelten – Alexandra Anghel (Appticles), Ioana Culic und Irina Alexandru (Vector Watch). Das Publikum war jedoch gemischt, denn „wir wollten diese außergewöhnlichen Frauen der Welt zeigen, damit alle wissen, was für eine tolle Arbeit sie machen. Deshalb sollten auch Jungen anwesend sein, um diese Geschichten weitererzählen“, erklärt Stegaru.

Im Rahmen eines Projektes von Codette wurden auch Veranstaltungen zum Thema Stereotype organisiert. In einem anderen wurde eine Dozentin von der Soziologie-Fakultät eingeladen. Bei der Diskussion über die Wahrnehmung der Frau in den Schulbüchern für die Klassen 1-4 wurde dem Publikum klar, welche Frauenbilder dort übermittelt werden: Putzfrauen, Blumenverkäuferinnen und Erzieherinnen. „Ich war schockiert. Jungs können alles werden  - vom Unternehmer bis zum  Astronauten. Aber Mädchen sollen fleißig, ruhig und brav sein, während man den Jungs erlaubt, ausgelassen die Welt zu erkunden“, meint Stegaru. Das verbindet sie mit dem Benehmen der jungen Frauen bei den  praktischen Übungen: „Sie zögern, wenn sie mit Drähten arbeiten müssen. Dann sagen wir ihnen, dass es in Ordnung ist, wenn sie diese kaputt machen. Wichtig ist, dass sie etwas dabei lernen. Es ist sehr schwer für sie zu verstehen, dass es normal ist, einen Fehler zu machen“, meint sie.

Frauen im  IT-Bereich betreuen

Lehrer behandeln Schüle-rinnen oft vor dem Hintergrund ihrer eigenen, beschränkten Sichtweise zur weiblichen Rolle. Mädchen wird oft von technischen Studiengängen mit dem Verweis auf angebliche Nachteile abgeraten. Stegaru erzählt von einem konkreten Fall: Einer Schülerin hat eine Lehrerin gesagt, dass sie keine Kinder kriegen kann, wenn sie den ganzen Tag am Computer sitzt. „Sie denken gar nicht daran, dass man in diesem Bereich leicht einen Job bekommt, da die Nachfrage sehr groß ist, dass der Lohn gut ist, dass man rund um die Welt reist“, argumentiert Stegaru.

Seit Stegaru die Gemeinschaft leitet, betreut sie auch fünf Schülerinnen persönlich. „Ich bin sehr stolz auf sie und kann sagen, dass viele von ihnen mit größeren Problemen als ich konfrontiert wurden“, meint sie. Wenn Eltern, Lehrer und Kommilitonen einem sagen, dass man es nicht schaffen kann, dann fängt man irgendwann an, ihnen zu glauben. Deshalb wünscht sich Stegaru, dass man junge Mädchen in dieser Hinsicht mehr betreut. „Wenn diese Frauen jetzt einen Schritt machen, dann weiß ich, wie sich ihre Karriere in fünf, zehn Jahren entwickeln wird. Ich habe eine andere Perspektive - und das schätzen sie sehr“. Wer sonst soll ihnen helfen, wenn nicht eine proaktive wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Poli? „Die Eltern und Lehrer kommen aus einem anderen Milieu und haben vielleicht nicht alle Antworten; oder sie haben Antworten, die nicht korrekt sind“.

Warum Computerwissenschaft?

Stegaru verbindet in ihrer Doktorarbeit Computerwissenschaft mit dem Thema Ener-gieeffizienz: „Wenn ich mit den Resultaten zufrieden bin, werde ich vielleicht ein Start-up gründen. Oder es wird eine quelloffene Software sein. Ich weiss noch nicht. Es gibt nicht viele Softwareprogramme, die so genau sind wie meines“, überlegt sich die junge Frau. Immer wenn sie an Computerwissenschaft denkt, fallen ihr praktische Aspekte ein: „Computerwissenschaft soll man studieren, wenn man Medizin mag, dann könnte man ein medizinisches Software-Programm machen, das Leben rettet. Oder im Bereich Chemie könnte man einen Simulator für chemische Partikel machen. Oder einen Simulator für Erdbeben oder Wettervorhersage. Es gibt so viele Bereiche, in denen man Programmierung einsetzen kann. Ich kann keinen Bereich finden, wo es sich nicht lohnt, programmieren zu können“, schlussfolgert Stegaru heiter.

Sie findet, dass Programmieren bereichert, die Persönlichkeit entwickelt und eine neue Perspektive auf das Leben bietet. „Man muss einfach Kurse online suchen, viele sind kostenlos“, meint Stegaru. Man könnte sogar einen Job finden, denn  Arbeitgeber wollen nicht unbedingt Zeugnisse. Bei einem Vorstellungsgespräch muss man einfach ein Problem lösen. Wenn das nicht klappt, dann ist es kein Problem -  muss man weiter lernen und es wieder versuchen. „Viele Arbeitgeber lehnen dich im Moment ab, aber sie ermutigen dich, dich mal wieder zu bewerben, nachdem du noch ein bisschen dazugelernt hast. Du wirst da sowieso gebraucht. Von diesem Gesichtspunkt ist die IT-Welt sehr einladend“, meint Silvia Stegaru.