Zukunft beginnt jetzt

Festrede von Benjamin Józsa, Geschäftsführer des DFDR, beim Treffen auf dem Huetplatz in Hermannstadt am Samstag, dem 26. Mai 2018 (I)

Benjamin Józsa bei der Festrede
Foto: Beatrice Ungar

Wenn von Zukunft die Rede ist in den letzten Wochen und Monaten, dann meist mit einem Fragezeichen versehen. Ob in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo ein irrlichternder Präsident alles in Frage stellt, was bisher politischer Konsens gewesen ist, in Syrien, wo Stellvertreterkriege der Großmächte zunehmend drohen, aus dem Ruder zu laufen, oder beim Expansionsdrang des furchterregenden Nachbarn im Osten, Russland, überall stellt man sich bange Fragen, wie eine Zukunft aussehen mag und ob eine friedliche Zukunft überhaupt noch möglich ist. Und weil mittlerweile die Welt vernetzt ist wie nie zuvor, können Ereignisse, die Tausende Kilometer von uns entfernt stattfinden, große Auswirkungen auf unser tägliches Leben haben.

Auch die rumänische Politik bietet nicht gerade Anlass zur Entspannung. In Bukarest ist eine unheilige Allianz an der Arbeit, alles, was einem Rechtsstaat heilig ist, in die Luft zu sprengen und uns wirtschaftlich mit einer Hypothek zu belasten, an der noch unsere Enkelkinder werden tragen müssen. Zukunft? Mehr als ungewiss.

Dafür wird im Forum verstärkt über die Zukunft nachgedacht, nach außen hin, aber vor allen Dingen nach innen. Nach außen hin haben wir einmal mehr unsere Stimme gegen Korruption erhoben und uns der Bürgerinitiative beigesellt, die unter dem Slogan „Ohne Straftäter in politischen Ämtern“ für eine Gesundung der Politik an der Dâmbovița kämpft. Wir glauben nach wie vor, dass eine saubere Politik in Rumänien möglich ist, die frei von Klüngel und Günstlingswirtschaft rechtsstaatlichen europäischen Werten verpflichtet ist. Und dass eine freie Justiz den Bürger vor der Willkür der Mächtigen schützt und nicht die Mächtigen vor dem Gesetz.

Nach innen hin haben wir uns in einen Strategieplanungsprozess begeben, in einem Umfang, wie es seit Gründung des Forums noch nicht der Fall gewesen ist. Unzeitgemäße Gedanken? Jetzt wo die Zukunft hüben und drüben bedroht scheint, denken wir darüber nach, wie unser Forum im Jahr 2030 aussehen könnte? Das Land brennt und die Alte kämmt sich, wie unsere rumänischen Freunde es in ihrem unübertroffenen Sprüchereichtum formulieren?
Könnte man glauben.

Doch hat das Forum seit seiner Gründung eine lange Tradition in unzeitgemäßen Gedanken. In den Umbruchtagen des Jahres 1989 gegründet, als die überwiegende Mehrheit der Rumäniendeutschen auf gepackten Koffern und Kisten saß und nur einen Gedanken hatte, „möglichst schnell weg von hier“, war eine Zukunft im Land genauso denkbar wie Filme auf einem Telefon schauen. Die Zeitläufte schienen anders. Kriegsfolge, Deportation, Enteignung, Perspektivlosigkeit, Unterdrückung und Elend haben jedes seinen Teil dazu beigetragen, dass ein Völkchen, das Tataren und Türken jahrhundertelang getrotzt hatte, keine Zukunft mehr im eigenen Land sah. Und es war ja auch so! Der Umbruch, bei dem man sich die Freiheit um den Preis von so vielen Menschenleben erkauft hatte, war eines, doch die kommunistische Hydra, die schon in den ersten Monaten des Jahres 1990 so augenfällig bei den ethnischen Zusammenstößen in Neumarkt/Târgu Mureș, aber vor allen Dingen bei den Bergarbeiterunruhen, den sogenannten „Mineriaden“, ihren Kopf emporreckte, zeigte, dass es nicht leicht werden würde. Und es wurde nicht leicht.

Damals gab es einige wenige, die einen Traum hatten. Die an eine Zukunft in Siebenbürgen, im Banat, im Sathmarland oder in der Bukowina glaubten. Die den Aderlass, den der Wegzug der Mehrheit darstellte, zwar registrierten, aber unbeirrt weitermachten.

Unzeitgemäß war es, an ein vielhundertjähriges Schulwesen zu glauben, das wider Erwarten trotz Fehlens rumäniendeutscher Schüler mit deutschlernenden Rumänen weiterhin am Leben erhalten wurde.

Unzeitgemäß war der Gedanke, landespolitisch wie kommunalpolitisch aktiv zu werden und mit der Maxime „nicht ohne uns über uns sprechen“ ein allseits geschätzter politischer Faktor im In- und Ausland zu werden.

Unzeitgemäß war der Gedanke, im Jahr 2000 einen bis dato kaum bekannten Physiklehrer als Bürgermeisterkandidaten aufzustellen, den später allseits geachteten Bürgermeister Hermannstadts und jetzigen Präsidenten Rumäniens, Klaus Johannis.

Unzeitgemäß war es, an die Rettung und Erhaltung des materiellen Kulturerbes zu glauben, in einer Zeit, als ein Bild mit einem Kirchenpelz als Decke für ein Romapferd als Sinnbild für das „finis saxo-niae“ kursierte.

Unzeitgemäß war es, entgegen der damaligen wirtschaftlichen Vernunft die „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“ als Tageszeitung weiterzubetreiben, als die einzige deutsche Tageszeitung Südosteuropas und unverzichtbares Informationsmedium der Rumäniendeutschen.

Doch zu all diesen Erfolgen gesellten sich nach und nach auch Versäumnisse. Das erste – und folgenschwerste – war, dass man die ersten zwei Jahrzehnte kaum etwas für eine mittel- und langfristige Zukunftsplanung tat, geschweige denn für eine Zukunftsstrategie. Gab es ein Problem, wurde es gelöst, brauchte man einen Mandats- oder sonstigen Funktionsträger, wurde er, getreu dem Motto „bisher war immer jemand da, wenn man ihn gebraucht hat“, gefunden. Mit anderen Worten, man kümmerte sich um das Dringende statt um das Wichtige.

Das zweite Versäumnis – eng mit dem ersten verbunden – war der Mangel an einer kohärenten und nachhaltigen Jugendarbeit.

Da beide Aspekte eng miteinander verzahnt sind, sodass man sie nicht wirklich trennen kann, möchte ich sie zusammen ausführen.

Als ich im Jahr 1991 zum Jugendforum kam, galt der Grundsatz, dass die Jugend gut sei für Stühle tragen und Plakate kleben, aber ansonsten den Mund zu halten habe und tunlichst keine neuen Ideen äußern sollte, bis man irgendwann spät im Erwachsenenalter als voll genommen werden konnte. In einer Zeit, wo sich die Welt anschickte, ins Computerzeitalter zu schießen und Firmengründer in den frühen Zwanzigern normal waren und Großes vollbrachten, leistete sich das Forum den Luxus einer Weltanschauung des 19. Jahrhunderts, die dazu führte, dass es eine Nachwuchskraft nach der anderen verlor, ohne etwas dagegen zu tun. Erst 1998, mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft deutscher Jugendorganisationen (ADJ), wurde zaghaft begonnen, dem Mangel abzuhelfen.

In der Kommunalpolitik erhielt das Forum zur Jahrtausendwende einen großen Schub mit der Wahl Johannis´ zum Bürgermeister und vier Jahre später einen noch größeren, mit dessen fulminanter Wiederwahl und dem Einzug von 16 Stadträten (von 23) in den Stadtrat Hermannstadts. Mit den großen politischen Erfolgen der Anfangszeit und vor allen Dingen mit dem Projekt Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2007 war plötzlich ein glänzender Aufschwung von Hermannstadt und implizite des Forums möglich.

Auch heute ist mir noch der Wahlabend 2004 in die Erinnerung eingegraben. Eine gelöste Stimmung herrschte im Großen Saal, fast sogar Ausgelassenheit, wie wir wissen eine Seltenheit bei den Siebenbürger Sachsen. Wir, die jüngeren Semester, die in den Stadtrat gewählt wurden und auch die, die sich auf den unwählbaren Plätzen befunden hatten, machten uns Gedanken darüber, wie es weitergehen würde. Man müsste sich die Bereiche aufteilen, dachten wir, jeder was er am besten könne, Kurse besuchen, lernen, sich Fachwissen aneignen... Doch nichts dergleichen geschah. Die Initiativen wurden von keinem gebündelt. Der Aufbruchsmoment, in dem man eine Konsolidierung der Personaldecke des Forums und ein Heranziehen neuer Kräfte hätte in Angriff nehmen sollen, wurde ungenutzt verstreichen gelassen.

Fünf Jahre später wurde ein erneuter Anlauf unternommen, über die Zukunft des Forums zu sprechen. Zwanzig Jahre nach Gründung des Forums war es allerhöchste Zeit, sich Gedanken zu machen, ob die Wege, die eingeschlagen wurden, noch zeitgemäß sind und ob eine Anpassung des Kurses nötig sein sollte. Mit im Boot war auch die Evangelische Kirche A.B., die dieselben Gedanken umtrieben: Mitgliederschwund, fehlende Jugend, knappe Ressourcen für viel zu viele Aufgaben. Infolge dieser Tagung entstand ein Tagungsband, der die Gedanken um „Zukunft und Perspektiven“ zusammenfasst, doch da sich lediglich das Siebenbürgenforum und das Hermannstädter Forum diese Initiative zu eigen machte, blieb sie strikt auf diesen lokalen Wirkungskreis beschränkt.

Diese paar Eckdaten habe ich bloß angeführt um noch einmal zu unterstreichen: Ein Weiter so kann es nicht mehr geben. Wir können nicht so tun, als wären wir immer noch 300.000 und auf ein paar Talente, die gehen, kommt es nicht mehr an. Unsere Baustellen sind mittlerweile überall. In der Schule fehlen an allen Ecken und Enden Lehrer. Im Stadtrat von Hermannstadt sind die reiferen Jahrgänge überrepräsentiert. Mitarbeiter (auch hauptamtliche) sind schwer bis gar nicht zu finden. Und die Jugendgruppen sind geschrumpft, weil selbst die wenigen Rumäniendeutschen im Alter zwischen 14 und 25 den Weg nicht mehr zu den Jugendforen finden.

Langer Rede kurzer Sinn – es musste etwas getan werden.

(Fortsetzung am Dienstag, dem 5. Juni 2018)