Zukunft: „Bleiben oder gehen?“

Teresa Leonhard während des Theater-Workshops im Mai in Michelsberg

„Bleiben oder gehen?“ ist eine Frage, die junge Menschen überall auf der Welt beschäftigt. Bei der vorpommerschen Band „Feine Sahne Fischfilet“ heißt es: „Ich krieg hier langsam Angst allein zu sein. Ich kann euch gut versteh’n. Habt ihr Angst vorm in die Zukunft sehen? Was bleibt, wenn immer nur die Guten gehen?“ In Mecklenburg und Vorpommern stellt sich die Frage der Auswanderung aus wirtschaftlichen Gründen ebenso wie in Rumänien. Schon vor über 150 Jahren haben rund 200.000 Mecklenburger ihr Glück in der neuen Welt gesucht. Der Roman „Jürnjakob Swehn, der Amerikafahrer“ von Johannes Gillhoff erzählt die Geschichte eines armen Tagelöhners Sohnes, den es in die neue Welt gezogen hat und der gegen Ende seines Lebens seine Auswanderung und Liebe zur alten Heimat in Briefen an die in Mecklenburg gebliebenen Freunde verarbeitet.

Einen doppelten entgegengesetzten Weg hat Dr. Ellen Tichy gewählt. Die DAAD-Lektorin ist nicht nur in ein Auswanderungsland eingewandert, sie hat sich auch zusammen mit siebenbürgischen Schülern und Studenten dem Thema der Auswanderung gewidmet, vor dem vermeintlichen Verlassens des Landes. Aus einem Theaterprojekt mit Daniel Bucher, Schauspieler am Radu-Stanca-Nationaltheater und Teresa Leonhard, einer Musik- und Tanzpädagogin sowie Performancekünstlerin ist das Buch „99x Zukunft – Bleiben oder gehen“ entstanden. In diesem hat Ellen Tichy die Beiträge von mehr als 150 Schülern an rumänischen Schulen mit deutschsprachigem Unterricht in Siebenbürgen und Studenten aus deutschsprachigen Studiengängen der Lucian-Blaga-Universität gesammelt.

Ellen Tichy sagt, dass es „gerade die Absolventen deutschsprachiger Lyzeen sind, die sich für die Emigration entscheiden.“ Schon 2015 hatte die Germanistin 100 Schüler des Brukenthal-Lyzeeums in Hermannstadt über ihre Zukunftspläne befragt. Die Umfrage ergab, dass sich bereits die Hälfte der Schüler für ein Studium im Ausland entschlossen hatten und „fast alle Befragten dieser Zielgruppe nach dem Studium im Ausland zu leben und arbeiten beabsichtigen.“ Häufig genannte Argumente, erklärt Tichy, sind die besseren Studienmöglichkeiten im Ausland, die höheren Gehälter auf dem deutschsprachigen Arbeitsmarkt, aber auch der Wunsch, selbstständiger zu leben.

Eine Auswahl an Beiträgen der Schüler und Studenten hat Ellen Tichy der ADZ zur Verfügung gestellt. Sie alle geben einen interessanten Einblick in die Gedankenwelt junger Menschen. Darüber hinaus laden Ellen Tichy und Teresa Leonhard am heutigen Freitag zur Präsentation des Buches „99x Zukunft – Bleiben oder gehen“ sowie eines Dokumentationsfilmes über den Workshop in das Deutsche Kulturzentrum Hermannstadt ein. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr.

Der Erziehungsstil der Rumänen hat mich oft traurig gemacht

Mein Vater ist Deutscher und meine Mutter Siebenbürger Sächsin. Ich bin in Rumänien aufgewachsen, bin in einen rumänischen Kindergarten gegangen und dann bis zur zwölften Klasse in Schulen mit Deutsch als Muttersprache.

Ich hatte eine sehr schöne Kindheit in Rumänien. Ich werde nie vergessen, wie wir mit den Nachbarkindern abends Verstecken auf der Straße spielten. Die Landschaften in Rumänien sind wunderschön, gerade für Kinder ist es ein Geschenk in so einem Umfeld leben zu können. In den Sommerferien verbrachte ich ein paar Wochen in Deutschland. Deutschland hat mich schon immer beeindruckt. Die sauberen Straßen, die Toleranz, der Fleiß und die Leidenschaft der Deutschen haben mich beeindruckt. Es war das perfekte Land für mich. Mit 15 bemerkte ich, dass ich mich mit dem rumänischen Lebensstil nicht mehr identifizieren konnte. Nach jedem Urlaub in Deutschland konnte ich meine Gedanken nicht abschalten, sie waren noch in Deutschland. Ich fing an, immer kritischer über Rumänien zu denken und ich wurde unzufrieden.

Ich bin ein sehr affektiver Mensch und manchmal konnte ich in Rumänien deswegen nicht mithalten. Die Unfreundlichkeit des Personals in öffentlichen Institutionen hat mich oft verletzt. Ich habe es immer mit Deutschland verglichen, wo die Zufriedenheit des Kunden an erster Stelle stand und man immer schön angelächelt wurde. Der Erziehungsstil der Rumänen hat mich oft traurig gemacht. Ich bemerkte, dass Talente nicht gefördert werden und wie Eltern bei ihren Kindern Gewalt anwenden. In Rumänien gibt es nicht immer klare Grenzen und Richtlinien und ich persönlich brauche das, es ist ein Bedürfnis von mir. Ich habe vor, nach Deutschland zu ziehen, obwohl ich weiß, dass die Trennung von meinen Eltern schwer sein wird. Ich weiß, wenn ich in Rumänien bleibe, werde ich keine Ruhe haben. Ich möchte soziale Arbeit studieren und in Deutschland eine Familie gründen. Ich identifiziere mich einfach viel mehr mit Deutschland und den Deutschen.

Deshalb sehe ich die Sache so, dass wir alle die nationale Pflicht haben, hier zu bleiben und diese Probleme zu lösen

„Bleiben oder gehen?“ ist heutzutage eine Kontroverse in Rumänien. Viele Menschen, vor allem Jugendliche wählen, im Ausland zu studieren, aber auch Erwachsene gehen, um zu arbeiten und kommen nicht mehr zurück. Meiner Meinung nach sollten die Menschen in Rumänien bleiben, denn man kann hier auch etwas machen, wenn man das will. Erstens bietet Rumänien viele Perspektiven und Möglichkeiten, die aber nicht genutzt sind. Deshalb sehe ich die Sache so, dass wir alle die nationale Pflicht haben, hier zu bleiben und diese Probleme zu lösen. Wenn alle klugen Menschen weggehen, gibt es keine Chance für Rumänien mehr. Zweitens haben wir ziemlich gute Universitäten, die weltweit anerkannt sind. Oft suchen andere Länder, wie zum Beispiel Dänemark oder Deutschland, rumänische Ärzte oder Informatiker usw. Deshalb sollten wir uns die Frage stellen, warum wir anderen Ländern helfen sollten und nicht unserem schönen Land. Trotzdem ist es wahr, dass viele Systeme in Rumänien nicht gut funktionieren. Das kommt aber daher, dass zu viele weggehen. Es gibt nicht viele gut ausgebildete Ärzte, obwohl unsere Medizin-Hochschulen gut sind. Wenn aber alle Absolventen hier blieben, wäre das nicht mehr der Fall. Das Motiv des Weggehens ist vor allem das Gehalt. Rumänische Unternehmen bieten nicht so große Gehälter wie die Unternehmen aus dem Ausland. Man sollte trotzdem beachten, dass sich die Situation langsam verbessert, denn auch der Staat erhöht den Mindestlohn jährlich.

 Zusammenfassend bin ich sicher, dass ich in Rumänien bleiben will, denn hier ist meine Familie und mein ganzes Leben. Außerdem liebe ich den rumänischen Lebensstil, mit Partys und Spaß. Rumänien ist ein schönes Land und man kann hier alles machen, wenn man Interesse hat!

Ich werde Rumänien nie verlassen

Viele junge Menschen wollen wissen, wie ihre Zukunft aussieht. Kein Mensch kann das wissen. Viele von ihnen gehen ins Ausland, weil es dort einen besseren Lohn oder bessere Lebenskonditionen gibt. Viele denken aber nicht daran, dass sie weit weg von der Familie sind, und dass sie die Familie vermissen. Ich würde aus meinem Land nicht weggehen, weil ich mein Land liebe. Ich weiß schon, dass es im Ausland mehr Möglichkeiten gibt, aber ich werde meine Familie und meine Freunde nicht für mehr Angebote verlassen. Ich kann das nicht machen. Ich fühle mich gut in meinem Land und ich bin stolz auf mein Land. Ich werde Rumänien nie verlassen.

Meine Kindheit wurde von der Idee geprägt, dass ich mein Land verlassen muss

Meine Kindheit wurde von der Idee geprägt, dass ich mein Land verlassen muss. Ich bin eine dynamische Person, die Veränderungen mag und vom Unbekannten angezogen ist. Die Monotonie meines Lebens war immer ein Hindernis auf dem Weg meiner persönlichen Entwicklung. Die Tatsache, dass ich in einer bestimmten Kultur und Mentalität geboren wurde, bedeutet nicht, dass ich sie akzeptieren muss.

Persönlich glaube ich, dass Rumänien mir nicht viele Vorteile in Bezug auf meine Entwicklung als Teil einer Gesellschaft gebracht hat. Die niedrigen Gehälter, die Menschen die deswegen frustriert sind, der Mangel an Aktivitäten, die das Gehirn eines Kindes trainieren und viele andere Probleme haben zu meiner Unzufriedenheit mit der Lebensqualität geführt und zu meiner Überzeugung, dass ich wenigstens eine Fremdsprache lernen und ins Ausland gehen muss. Deswegen bin ich an der Fakultät für Literatur und Kunst, Englisch-Deutsch-Abteilung.

Rumänien ist ein versteckter Goldschatz

In den letzten Jahren sind immer mehr Rumänen ausgewandert. Entweder waren es zukünftige Studenten oder arbeitslose Menschen, die ihr Leben in fremden Ländern verbessern wollten und nicht mehr heimkehren. Gründe für diese Entscheidung waren zu wenig Arbeitsplätze und geringe Löhne. Deshalb taucht immer öfter die Frage auf, ob man gehen oder bleiben soll.

Es gibt viele Meinungen, die zur Auswanderung ermutigen. Ein Beispiel dafür wären die besseren Lebensbedingungen. Im Ausland gibt es höhere Löhne, billigere Lebensmittel und ein steigendes Lebensniveau. Ein anderes Proargument ist die Unabhängigkeit, die man als Student gewinnt, wenn man sich dem neuen Leben anpasst. Das Leben im Ausland muss aber nicht immer besser als das in Rumänien sein. Erstens kann man auch sehr viele Möglichkeiten in Rumänien finden, obwohl sie ein bisschen mehr „versteckt“ sind. Zweitens gibt es im Vaterland alles, was man gut kennt: Familie, Freunde, Heim. Drittens, die Rumänen müssten mit ihrer Arbeitskraft das Land unterstützen und nicht weglaufen. Man kann hier etwas schaffen, wenn man es will.