Zwischen Notwendigkeit und Chance

Ein Kolloquium über duale Berufsausbildung nach deutschem Vorbild in Temeswar

Die Vorzüge der dualen Berufsausbildung wurden überzeugend dargestellt.
Foto: Zoltán Pázmány

Das Publikum, das zu dieser Veranstaltung kam, war ungewöhnlich: Lehrer, Schulleiter, Klassenlehrer überwogen, die für Schüler verantworten, die (mit ihren Eltern, versteht sich) vor der ersten großen Entscheidungsfrage ihres Lebens stehen: Wohin in der Neunten? Neben dem theoretischen Unterricht an allgemeinbildenden oder Fachlyzeen steht ihnen ab dem kommenden Schuljahr nämlich der arg in Verruf geratene „technologische Unterricht” (das ist ungefähr das, was nach Auflösung des früher bekannten Berufsschulunterrichts übrigblieb und wo meist diejenigen Jugendlichen hingehen mussten, die sonst nirgendwo angenommen wurden), aber auch, erstmals gesetzlich geregelt und verankert (seit April 2017), der duale Berufsschulunterricht nach deutschem Vorbild als Alternative zur Verfügung.

Um letzteren ging es bei dem Kolloquium. Das Konsulat Deutschlands in Temeswar, der Deutschsprachige Wirtschaftsclub DWC „Banat”, das Ministerium für Nationale Erziehung und das Nationale Zentrum für die Entwicklung des Berufsschul- und technischen Unterrichts luden dazu ein, gemeinsam mit dem Schulamt Temesch, dem Kreisrat und der Präfektur in Temeswar. Tagungsort: der Multifunktionssaal des Kreisrats Temesch. Dass nach der ersten Pause praktisch etwa die Hälfte der direkt Angesprochenen, die Lehrer, aus dem Saal hinausgeschlichen waren, das ist Usus in diesem Land (die Journalisten machen es vor, indem sie nie unter den Letzten verschwinden – auch diesmal) und tat der Qualität der Veranstaltung keinen Abbruch.

Denn hier wurden nicht nur die Prinzipien des dualen Berufsschulunterrichts einmal mehr klar und deutlich unterstrichen (durch Konsul Rolf Maruhn und Hartmut Koschyk, MdB, den Beauftragten der Bundesregierung für Minderheitenfragen, der mit einer exzellenten Idee kam, die wohl inzwischen von der anwesenden Staatssekretärin des Bildungsministeriums, Ariana Oana Bucur, an ihren Chef, den inzwischen zurückgetretenen Bildungsminister Pavel Năstase, weitergegeben wurde), sondern auch Erfahrungsberichte unterbreitet, die es in sich hatten. Vor allem aber wurden drei Absolventen des diesjährigen Abschlussjahrgangs der dualen Berufsschulklasse am Temeswarer „Ferdinand I.”-Kollegium vorgestellt, die durch Wissen, Charme, Selbstbewusstsein im öffentlichen Auftreten und soziale Umgänglichkeit das Auditorium für sich einnahmen. Über sie wird in unserer Zeitung noch separat zu berichten sein.

Natürlich wurde auch zu Vorsicht und verfrühten Erwartungen an einen Qualitätssprung auf der Ebene der spezialisierten Berufsausbildung nach dem deutschen dualen System gewarnt: „Das deutsche System der dualen Berufsausbildung ist über Jahrhunderte gewachsen”, zitierte Konsul Maruhn aus einem Positionspapier des Auswärtigen Amts zum Thema. Zur greifbaren Veranschaulichung hatten die Veranstalter zwei deutsche Handwerksgesellen eingeladen, die in Hermannstadt auf der Walz sind und die mit ihrem Outfit Historie suggerierten.

Konsul Maruhn verwies auf das Zusammenwirken von Handelskammern (als Vertreter der Wirtschaft – auf Rumänien bezogen: auch deren Rolle und Funktionsweise muss neu austariert werden), Staat (als Nutznießer und Geber – im Materiellen, etwa von Schulgebäuden und der Mit-Ausbildung von Trainern, letztendlich aber auch als Garant der allgemeinen Anerkennung der Abschlusszeugnisse) und den Arbeitnehmern, die durch ihre Vertretungen ein Mitspracherecht in der Festlegung der Curricula haben, durch die bessere Ausbildung auch bessere Löhne garantiert bekommen. Das deutsche System sichert inzwischen deutschlandweit 328 Ausbildungsberufe auf diese Weise und ist eine dreifache Win-Situation, in welcher das Sprichwort „Handwerk hat goldenen Boden” konkretisiert wird. Dass inzwischen in vielen Ausbildungsberufen bereits die Wertschöpfung während des Praktikums in den Vertragsunternehmen zu einem „Return of Investment” führt, ist ein zusätzlicher Gewinn des Systems und den Ausbildungsbetrieben sehr lieb. Gesamtgesellschaftlich trägt das System entscheidend zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit bei – im Saal wurde das als Kontrast registriert: „Und bei uns haben die Lyzeumsabsolventen, die an keiner Hochschule studieren, nichts Brauchbares in der Hand und sitzen zuhause rum!” Vielleicht hatte der Gesetzgeber auch diesen Aspekt im Auge, denn in Rumänien können auch Quereinsteiger bis zur Erreichung des 27. Lebensjahrs noch in die duale Berufsausbildung einsteigen. Allerdings: die Zahl der auf dualem Weg erlernbaren Berufe liegt in Rumänien erst bei höchstens zehn.

Dass es rumänienweit noch schwerwiegende Mentalitätsprobleme mit der Akzeptanz der Berufsausbildung an sich – und sei es auch die duale – gibt, gab fast jeder Redner zu bedenken. Selbst diejenigen, die in der dualen Berufsausbildung bereits als erfolgreich gelten – die heutige Staatssekretärin Ariana Oana Bucur (im Saal anwesend und als Garantin des Systems für Rumänien betrachtet, weil eine Insiderin – sie hat in Kronstadt zusammen mit dem dortigen deutschen Wirtschaftsclub auch viel Zurückhaltung überwinden müssen), ebenso die beiden Temeswarerinnen Alina Bratu (Direktor für Kommunikation bei Continental Automotive Romania) und Luminiţa Filip, Schulleiterin des Technischen Kollegs für energetische Berufe „Regele Ferdinand I“, oder  Eduard Dobre, Direktor von Kolping-Rumänien.

Sie sprachen das Mentalitätsproblem offen an, sie zeigten aber auch Wege auf, wie es zu überwinden ist: durch Offenheit, durch Transparenz, durch offensives Zugehen auf die Interessensgruppen, durch Einladungen zu Werks- und Schulbesichtigungen usw. In diesem Sinn werden auch die Kurzfilme und andere Medien genutzt, die es inzwischen als Werbematerial gibt – nur ist zu hoffen, dass sie eingehender und zweckgebundener nachbereitet werden, als auf dieser Konferenz (auch aus Zeitgründen) praktiziert. Darauf sich zu verlassen, dass sie aussagekräftig genug sind, um von sich aus zu wirken und Einfluss auszuüben, wäre ein Fehler. Mentalitätsänderungen sind Generationsaufgaben. Dazu sind Kurzfilme zu wenig.

Interessant ist, dass sich diesmal auch die lokalen Behörden durchaus positiv zu Wort meldeten. Kreisratspräses Călin-Ionel Dobra (PSD), der sich auch bei anderer Gelegenheit als ungewöhnlich offen und pragmatisch erwies, stellte die Frage der dualen Berufsausbildung in den Kontext der Westmigration der qualifizierten rumänischen Arbeitskräfte und das darauf folgende „Defizit an Kompetenzen“ der Nachrückenden auf dem Arbeitsmarkt, von „Gleichgewichtsstörungen auf dem Arbeitsmarkt“ und der „Notwendigkeit permanenter Anpassung“ an dessen Anforderungen. Präfekt Mircea Băcală, der auch bei anderer Gelegenheit seine Unterstützung für Initiativen zur Verbesserung des Arbeitskräfteangebots äußerte, suggerierte dem deutschsprachigen Wirtschaftsclub DWC „Banat“, Protokolle der Zusammenarbeit mit schulischen Ausbildungsstätten zu initiieren und so schnell wie möglich das Stadium von Pilotprojekten hinter sich zu lassen. Den interessantesten – weil weitreichendsten – Vorschlag unterbreitete aber Hartmut Koschyk (MdB, CSU), der sich auch in diesem Bereich mit der ihm charakteristischen Begeisterung vor den Karren spannte: Es sei an der Zeit, dass Rumänien mit Deutschland einen Vertrag über den Ausbau der dualen Berufsausbildung abschließt, so wie es ihn u. a. mit Frankreich, Griechenland, der Slowakei und weiteren Ländern bereits hat. Dadurch wären ganz andere künftige Wege einer effektiven Zusammenarbeit in diesem Bereich gegeben.
Allerdings: Die jüngste Regierungskrise in Rumänien, der Rücktritt der PSD-Minister , all die künstlich geschaffenen neuen Entwicklungshürden könnten ein neues Hindernis auch auf dem Weg zur rumänienweiten Verallgemeinerung des dualen Berufsausbildungswegs nach deutschem Muster werden.