Auf der Suche nach dem deutschen Bukarest

Mini-Serie Bukarest – Teil 2: Wie Zuwanderer aus dem deutschen Sprachraum die rumänische Hauptstadt prägten

Die Lipscani-Straße im Altstadtzentrum. Fotos: George Dumitriu

Meisterwerk von Oskar Maugsch: die Rumänische Kreditbank

Von Carol Benisch vollendet: die katholische Kathedrale zum Heiligen Josef

Das Storck-Museum im Fachwerk-Stil

Von wegen Klein-Paris: Bukarest verdankt einen großen Teil seiner Anlagen deutschen Architekten. Für die ersten Parks – den Cișmigiu, den König Michael I. Park und den Botanischen Garten, der ursprünglich im Zentrum lag – rief König Karl I. deutsche Gartengestalter ins Land. Der erste Professor für Bildhauerei, Karl Storck, war ein Einwanderer aus Hanau. Auch seine Söhne Frederic und Carol haben prägende Spuren hinterlassen. Der Bukarester Markt im Zentrum war vom 16. bis zum 19. Jh. stark vom Handel mit Leipzig geprägt. Der erste Bierfabrikant, Wilhelm Höflich, kam aus dem schlesischen Oppeln und ließ sich unter seinem Spitznamen „Oppler“ hier einbürgern. Sein schärfster Konkurrent, der bayrische Brauer Erhard Luther, wurde später Hoflieferant des Königshauses. Ja, selbst die rumänische Königsdynastie hat deutsche Wurzeln: Karl I. und Ferdinand I. stammten aus dem Hause Hohenzollern-Sigmaringen.


Heute allerdings muss man den deutschen Einfluss auf das Stadtbild fast mit der Lupe suchen. Schuld sind Erdbeben, Umplanung, Modernisierungen oder der Zahn der Zeit. So gestaltet sich die Tour auf den Spuren des deutschen Bukarest nicht als Marathon architektonischer Prachtbauten - sondern vielmehr als Suche nach Geschichten, die sich um historische Stätten und Figuren ranken, als Appetithäppchen für Kenner und Genießer…

Die Zeit geht anders in Bukarest

Kaum ein anderer Stadtteil hat in den letzten Jahren sein Gesicht so gewandelt wie das Altstadtzentrum. Um 2000 war es noch von verstaubten Antiquitätenläden, Buchantiquariaten, Brautmodegeschäften, einer Glasbläserei zum Zuschauen und Läden mit zauberhafter handgefertigter Glasware geprägt - die jedoch abends ihre Rolläden herunterließen und die Straßen einsam und leer der Dunkelheit überließen. Heute brodelt dort das touristische Leben. Bars, Clubs, Restaurants, internationale Hotels, exquisite Tee-Läden und Modeschmuckgeschäfte bevölkern die Straßen. Die bekanntesten sind Lipscani und Smârdan. Letztere hieß bis 1878 „Ulița Nemțească“ - deutsches Gässchen. Erstere hingegen bezieht ihren Namen von der sogenannten „lipscanie“, dem Großhandel mit Waren aus Leipzig. Lipscani-Straßen gibt es daher nicht nur in Bukarest, sondern z. B. auch in Craiova, Slatina, Caracal und Râmnicu Vâlcea.

Wie die intensive kommerzielle Beziehung zwischen Leipzig und Bukarest begann? In der Zeitschrift des Bukarester Stadtmuseums, „București in 5 Minute“ (April 2018), erzählt Museumsdirektor Adrian Majuru die Geschichte der beiden Händler, die gleichzeitig aus ihrer jeweiligen Heimatstadt fortzogen. Ziel des Walachen war der Markt in Leipzig. Der Sachse aus Leipzig, ein Uhrmacher, reiste in umgekehrter Richtung. In Bukarest wollte er seine Ware feilbieten und sich mit seinem Handwerk am Handelsknotenpunkt zwischen Orient und Okzident dauerhaft niederlassen. Dort angekommen, musste er jedoch entdeckten, dass die Uhren auf dem Balkan anders gingen... Zeit hatte man in der Walachei massenhaft - niemand hatte Interesse an den seltsamen feinmechanischen Mechanismen. Kurz vor der Verzweiflung begegnete er der Karawane des Walachen, der gerade aus Leipzig zurückgekehrt war. Dieser klagte ihm das umgekehrte Problem: Weil die Händler aus der Walachei keine Uhren hatten, hatten sie den Leipziger Markt verpasst. So wurden sie die ersten Kunden des Deutschen – und dieser der erste Uhrmacher Bukarests.

Der Kommerz zwischen den beiden Städten entwickelte sich zu einer neuen Form des Handels, der „lipscanie“. Im 18. Jh. führten mehrere Routen nach Leipzig: eine von Bukarest entlang der Donau über Wien; eine nördlich durch Prag und Sachsen; eine von Kronstadt/Brașov über Siebenbürgen und Ungarn, eine über die Karpaten über Krakau und Breslau durch Schlesien und eine aus dem Norden der Moldau über Ruthenien.

Im 19. Jahrhundert war das gesamte wirtschaftliche Leben in Bukarest deutsch geprägt. Deutsche Zuwanderer waren Händler, Glaser, Schmiede, Drucker, Metzger, Schlosser, Schreiner, Bildhauer, Maler, sogar einen Homöopathen gab es in Bukarest. Die Wirtschaftszeitung „România Economic˛“ erschien zweisprachig, deutsch-rumänisch. Ausgrabungen in der Lipscani Straße förderten die Ruinen einer „Berliner Bankgesellschaft“ (1910-1930) zutage.

Deutsche Architektur

Der Spitzname „Klein-Paris“ sei ungerechtfertig, meint Architekt Adrian Crăciunescu. Vielmehr sei Bukarest von deutschen Baumeistern geprägt, wie eine Flut an Dokumenten beweist (ADZ vom 21.11.2014: „Warum Bukarest anders ist“). Die französische Hauptstadt sei nur Verwaltungsvorbild gewesen.

Auf der Suche nach deutscher Architektur stoßen wir in der Strada Stavropoleos 6-8 auf das imposante Gebäude der Rumänischen Kreditbank, erbaut von Oskar Maugsch. Der 1857 in Jassy/Iași geborene Architekt, der in Dresden studiert hatte und 1894 die rumänische Staatsbürgerschaft erhielt, erbaute ferner die Banca de Scont (1903) an der Kreuzung zwischen Lipscani und E. Carada, den BCR-Palast (1911-1913) und den Versicherungspalast (1907-1914) am Universitätsplatz, die Villen von Elena G. Cantacuzino (1899) und der Direktorin der Zentralen Mädchenschule (1894), beide in der Strada Polona (arhivadearhitectura.ro).

Der Suțu-Palast (1833-1835), Sitz des Bukarester Stadtmuseums, geht auf Pläne der Wiener Baumeister Conrad Schwink und Johann Veit zurück. Das Museum „Theodor Aman“ (1868) in der Strada Rosetti 6 stammt vom deutschen Architekten Franz Schiller, das Außendekor schuf Karl Storck.

„Karl von der Walachei“

Ein weiterer Name, untrennbar mit Bukarest verbunden, ist Carol Benisch, 1822 als Karl Franz Böhnisch im heutigen Tschechien geboren. 1840 war der knapp 25-Jährige von Prinz Nicolae Bibescu-Brâncoveanu in die Walachei gerufen worden. Er sollte dem Schweizer Johann Schlatter bei der Restaurierung der oltenischen Klöster Arnota, Tismana, Horezu und Bistrița helfen. 1865 wurde er Chefarchitekt von Bukarest, wo er insgesamt 50 Jahre wirkte und die erste Architektenvereinigung Rumäniens gründete. Für die Vollendung des von Friedrich Schmidt begonnenen, durch den Unabhängkeitskrieg unterbrochenen Bau der katholischen Kathedrale zum Hl. Josef (Strada Gen. H. M. Berthelot 19) wurde Benisch vom Vatikan mit dem Beinamen „Carol Vallaquiensi“ - „Karl von der Walachei“ - ausgezeichnet.

Die Künstlerfamilie Storck

Karl Storck aus Hanau kam 1849 als Graveur und Silberschmied nach Bukarest, wo er für den Juwelier Josef Resch arbeitete. Bald begann er , sich für Stuckkunst zu interessieren und ließ sich für drei Jahre in München speziell dafür ausbilden. Fortan fertigte er Büsten und andere Bildhauerarbeiten und wurde schließlich als erster Professor für Bildhauerei an die Schule der Schönen Künste berufen, die sein Freund, der Maler Theodor Aman, gegründet hatte.

Einige Werke Storcks sind im Museums „Frederic Storck und Cecilia Cuțescu Storck“ (Strada Vasile Alecsandri 16) zu sehen, der ehemaligen Residenz seines Sohnes Frederic. Andere zieren die Hauptstadt: die Statue aus Carrara-Marmor von Mihai Cantacuzino vor dem Colțea-Spital, der Arzt Carol Davila in Bronze vor der Universität für Medizin und Pharmakologie. Auch seine Söhne Frederic (Fritz) und Carol wurden namhafte Bildhauer.

In deren Schatten steht der kaum bekannte Architekt Johann Storck, der die Fachwerk-Villa von Frederic und Cecilia Storck 1911 konzipierte. Die Friese mit zoomorphen und vegetalen Motiven an der Fassade stammen von Frederic Storck, die Skulpturen und Wandmalereien innen realisierten Frederic und Cecilia. Die Ausstellung zeigt neben der Kunstsammlung des Ehepaars auch Arbeiten aller Storcks. Zu den bekanntesten Werken Frederics gehören Porträts von König Karl I. und dessen Gemahlin Elisabeth, die Statue der „Wahrheit“ auf dem Bukarester Justizpalast, die Grabdenkmäler seines Vaters (Büste) und Bruders auf dem evangelischen Friedhof, sowie einer der Riesen aus dem Ensemble „Grotte der Giganten“ (1906) im Carol I. Park.

Heutige Orte der Deutschen

Ein Stück zeitgenössisches deutsches Bukarest bietet das Kulturhaus „Friedrich Schiller“ in der Batiștei-Straße 15. Dort finden nicht nur Deutschkurse statt, sondern auch Veranstaltungen zur deutschen Sprache und Kultur. Außen bröckelt die Fassade, doch die Innenräume der Villa bestechen mit aufwändigem Stuck, prächtigen Kachelöfen, riesigen Spiegeln und Kassettendecken. Am Bau des Komplexes, der einst auch das Nachbarhaus, ehemaliger Sitz der US-Botschaft, umfasste, soll Carol Benisch beteiligt gewesen sein. Ab dem 19. Jahrhundert logierte dort die Familie Blaremberg, die auf Waldemar (Vladimir) Blaremberg zurückgeht. Der Adlige aus Flandern (heute Belgien) war zur Zeit der russischen Besetzung (1828-1834) als hoher Offizier von Odessa nach Bukarest versetzt worden. 1830 heiratete er Pulcheria Ghica, die Schwester des später von den Türken und Russen zum Herrscher der Walachei ernannten Fürsten Alexandru Ghica.

Auch die Evangelische Stadtpfarrkirche in der Strada Luterana 2 ist ein Treffpunkt der evangelischen deutschen Minderheit und germanophiler Bukarester. Dort werden noch Gottesdienste in deutscher Sprache abgehalten, Konzerte und Ausstellungen organisiert. Für den Bau der dreischiffigen Basilika - 1851 bis 1853 vom deutschen Architekten A. Mohnbach im eklektischen Stil entworfen - wurde unter den Bukarester Gemeindemitgliedern gesammelt.

Bemerkenswert: Wikipedia nennt als berühmte Spender König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, aber auch Katholiken wie Kaiser Franz Joseph von Österreich oder den Komponisten Franz Liszt, sowie den orthodoxen Prinzen Gheorghe Bibescu. Die große Orgel (1912), ein Instrument, das in keiner evangelischen Kirche fehlt, stammt aus der Werkstatt E. F. Walcker in Ludwigsburg, die auch die Orgel für das Bukarester Athenäum (1932) baute. Die kleine Orgel, 1796 von Johannes Prause geschaffen, wurde 1995 aus Magarei/Pelișor nach Bukarest gebracht.