Bulgarien: Zwischen Hauptstadt und Schwarzmeerküste

Weliko Tarnovo und Plowdiw gelten als die schönsten Städte des Landes

Das Gebäude des Ethnographischen Museums in Plowdiw ist wohl das schönste Beispiel für die Häuser der Nationalen Wiedergeburt.

Plowdiws römisches Theater ist nach 2000 Jahren heute wieder Schauplatz für Konzerte und Theateraufführungen.

Im Zentrum Plowdiws liegen die Moschee und das römische Stadion direkt nebeneinander.
Fotos: die Verfasserin

Die meisten Touristen in Bulgarien zieht definitiv die Schwarzmeerküste an, darunter viele Rumänen und Deutsche. Während die weißen Sandstrände besonders im vom Tourismus noch nicht überlaufenen Norden ein perfektes Ziel für einen Erholungsaufenthalt bieten, sollten kultur- und geschichtsinteressierte Urlauber sich allerdings die beiden Städte Weliko Tarnovo und Plowdiw nicht entgehen lassen.

 

Von der rumänisch-bulgarischen Grenze aus braucht man mit dem Auto gerade mal zwei Stunden, bis man den alten Sitz der bulgarischen Zaren inmitten schönster Berglandschaften erreicht. Das Flusstal, in dem Weliko Tarnowo liegt, wurde schon um 5500 v. Chr. zum ersten Mal besiedelt. Ihre Blütezeit erlebte die Stadt, nachdem die Zaren-Brüder Assen und Peter 1185 gegen die byzantinische Herrschaft rebelliert und das Zweite Bulgarische Reich gegründet hatten. Tarnowgrad, wie sie damals hieß, wurde dessen Hauptstadt und erlangte große Bedeutung auf der Balkanhalbinsel. 200 Jahre später wurde die Stadt von den Osmanen eingenommen - in dem riesigen Reich konnte sie nicht mehr bestehen und die ruhmreiche Zeit war vorbei. Im Andenken an die vergangene glanzvolle Ära erhielt Tarnowo allerdings später den Beinamen Weliko, was auf bulgarisch „groß“ bedeutet.


Zarenburg Zarewez  


Diese ehemalige Größe ist auch heute für den Besucher nicht zu übersehen: Auf dem Hügel Zarewez am östlichen Stadtrand erhebt sich in einer imposanten Burganlage der ehemalige Sitz zahlreicher Zaren des mittelalterlichen Bulgariens. Nach ihrer Zerstörung durch die Osmanen im Jahre 1393 wurde die Festung in Anlehnung an ihre einstige Pracht aus den Zeiten des Zweiten Bulgarischen Reiches erst im kommunistischen Bulgarien des 20. Jahrhunderts wieder aufgebaut. Seitdem umgibt erneut eine gewaltige Festungsmauer den Hügel, in deren Mitte Touristen zwischen den Ruinen von über 400 Häusern und 18 Kirchen spazieren können. Auch die Grundmauern des königlichen Palastes und der Felsen, von dem Verräter in den Tod gestürzt wurden, können erkundet werden.

Im Zentrum der Anlage auf dem höchsten Punkt steht die Patriarchenkirche, deren Inneres überrascht: Statt mit prunkvollen Ikonen sind die Wände mit modernen, in Naturfarben gehaltenen Wandmalereien versehen, die Szenen aus der bulgarischen Geschichte darstellen.

Von der Bergspitze aus kommt man natürlich nicht umher, die Aussicht auf die Stadt und die umliegende Landschaft zu bewundern. Hier, an den Nordhängen des Balkangebirges, stechen helle Felsformationen aus den dichten Laubwäldern heraus. Unzählige Wanderpfade schlängeln sich darin bergauf bergab und führen an Wasserfällen vorbei zu Lichtungen und Aussichtspunkten. Apropos Aussicht: An vielen Abenden kann man nach Sonnenuntergang ein Farbspektakel auf den Festungsmauern von Zarewez bewundern. Begleitet von Chorgesängen wird mit dieser beeindruckenden Licht-Show der Glanzzeit des Zweiten Bulgarischen Reiches gedacht.


Historisches Zentrum


Tief im Tal hat der Fluss Jantra aus dem einen Stadtufer eine lange Landzunge geformt. Hier, erreichbar vom historischen Stadtkern über eine Brücke, steht das 1985 im Andenken an die Zarenfamilie Assen erbaute kriegerische Denkmal, neben der Burg Zarewez ein Symbol der Stadt. Direkt daneben auf dieser ansonsten dicht bewachsenen Halbinsel ragt das imposante Gebäude des Nationalen Kunstmuseums zwischen Bäumen und Büschen hervor.

Auf der anderen Seite des Flusses liegt, nicht weit von der Jantra entfernt, die Gurko-Straße. Als älteste Straße der Stadt wurde sie nach dem russischen General Josef Wladimirowitsch Gurko benannt, unter dessen Führung Weliko Tarnowo im Russisch-Türkischen Krieg 1877 von den Osmanen befreit wurde. Die Häuser, die man heute hier sehen kann, stammen zumeist aus der bulgarischen nationalen Wiedergeburt im 18. und 19. Jahrhundert und verkörpern den ganz eigenen Stil einer damals aufstrebenden Gesellschaft. In einigen von ihnen, die zu Hausmuseen ausgebaut worden sind, kann man sich in die damalige Zeit zurückversetzen lassen.
Einige Höhenmeter weiter oben erstreckt sich das alte Handwerker- und Händlerviertel, in dessen kleinen Läden rechts und links der gepflasterten Gässchen noch heute Handwerkern bei der Arbeit zugesehen werden kann. Lederwaren, Schmuck, Töpferwaren und traditionelle Süßigkeiten sind nur einige der angebotenen Souvenirs, die Touristen in Flanierlaune anlocken.


Schipkapass


Auf der etwa dreistündigen Autofahrt gen Süden von Weliko, wie die Bewohner ihre Stadt liebevoll nennen, nach Plowdiw, überquert man den Schipkapass, der in der Vergangenheit immer wieder von großer militärischer Bedeutung war. Die hier stattgefundene Schlacht vom Januar 1878 gilt im bulgarischen Nationalbewusstsein als der entscheidende Kampf für die Befreiung Bulgariens durch die Russen von der osmanischen Herrschaft. Ein Denkmal erinnert an die gefallenen russischen und bulgarischen Soldaten. Mit einer Höhe von 1185 Metern über dem Meeresspiegel bietet der Gebirgspass zudem herrliche Aussichten auf die umgebende Landschaft.


Künstlerviertel


Mit Plowdiw erreicht man das kulturelle Zentrum Bulgariens - zumindest für den Sommer 2019. Denn dann wird Plowdiw Europäische Kulturhauptstadt sein. In Vorbereitung darauf hat sich die Stadt in einen Wahn des Wandels gestürzt. Überall wird neu gepflastert, gebaut, gestrichen und gepflanzt. Kulturelle Projekte sprießen aus allen Ecken und seit Langem leerstehende Häuser füllen sich mit Leben. Zentrum des Geschehens ist hierbei vor allem das Kapana-Viertel: Das alte Handwerkerviertel ist selbst für Einheimische ein wahrhaftes Labyrinth aus Gassen, was ihm seinen Namen gegeben hat: „Kapana“ ist Bulgarisch für ‘Falle’. Nachdem das Viertel zu Zeiten des Kommunismus verlassen wurde und Stück für Stück zerfiel, unterstützt die Stadt nun frische Geschäftsideen, indem sie einige der Räumlichkeiten für ein Jahr mietfrei zur Verfügung stellt. Einzige Bedingung: Das Projekt muss einen künstlerischen Anspruch haben. Das umfangreiche und vielfältige Kulturprogramm für den Sommer 2019 kann bereits unter plovdiv2019.eu eingesehen werden.


Sechs Hügel und sechs Namen


Plowdiw ist mit gut 340.000 Einwohnern nach Sofia die zweitgrößte Stadt des Landes. Beeindruckend: Die Stadt südlich des Balkangebirges ist die älteste dauerhaft besiedelte Stadt Europas. Vor gut 6000 Jahren ließen sich hier die ersten Menschen nieder. Um 5000 v. Chr. besiedelten dann die Thraker einen der Hügel, bauten dort eine Festung und nannten sie Eumolpias. Heute erstreckt sich Plowdiw über ganze sechs Hügel, sodass der Besucher stets urige Steintreppen erklimmen kann, an deren Ende sich hervorragende Aussichten auf das historische Stadtzentrum und die umliegende Landschaft ergeben.

Im vierten Jahrhundert v. Chr. nahm Philipp II. von Makedonien, Vater von Alexander dem Großen, die Siedlung ein, gründete sie neu und nannte sie bescheiden Philippopolis, Stadt Philipps. Im Jahre 72 v. Chr. wurde das heutige Plowdiw römisch. Ab dann hieß es Trimontium, da es sich zu jener Zeit bereits über drei Hügel erstreckte. Im Ersten Bulgarischen Reich machte der Bulgare Khan Krum die Stadt zu einem militärisch wichtigen Stützpunkt und nannte sie Pupulden. Nach verschiedenen Belagerungen wurde sie schließlich Teil des Osmanischen Reichs. Filibe, wie die Türken von der nun florierenden Metropole sprachen, wurde das Zentrum der Nationalen Wiedergeburt Bulgariens.
Der Russisch-Türkische Krieg brachte Plowdiw zunächst noch keine Befreiung von der osmanischen Herrschaft. Erst acht Jahre später, am 6. September 1885, dem heutigen Tag der Wiedervereinigung, verkündeten Aufständische in Plowdiw die Vereinigung Südbulgariens mit dem restlichen Land.

Der heutige Ortsname tauchte das erste Mal im 15. Jahrhundert auf und entwickelte sich wohl aus dem thrakischen Namen Pulpudeva, wobei „deva“ Stadt bedeutete und „pulpu“ auf die thrakische Version des Namens von Stadtgründer Philipp II. zurückzuführen ist.


Römisches Erbe


Für den stärksten Besuchermagneten Plowdiws sind definitiv die Römer verantwortlich: Am Berghang zwischen zwei Hügeln liegt ein immenses römisches Theater, das zu Kaiser Trajans Zeiten erbaut worden sein soll. Entdeckt wurden seine Überreste durch Zufall nach einem Erdrutsch in den 70er Jahren. Für etwa 7000 Zuschauer bietet das antike Theater bei Konzerten und Theateraufführungen jeden Sommer Platz - seine Akustik beeindruckt die Stadtbewohner und Besucher somit auch nach 2000 Jahren wieder.

Etwa um die gleiche Zeit wie das Theater entstand in Plowdiw ein Bauwerk, das für mehr als viermal so viele Zuschauer ausgelegt war: das römische Stadion. Unter der heutigen Haupteinkaufsstraße gelegen kann der Besucher zwar nur das gebogene Ende der riesigen Wettkampfstätte begehen, doch ein mensionen des Stadions kann in einer 3D-Show direkt vor Ort gewonnen werden.


Vielfalt im Stadtkern


Die romantische Altstadt Plowdiws mit ihren schmalen Gassen, Pflastersteinen und vielen Treppen ist architektonisch von den Häusern der Nationalen Wiedergeburt des 19. Jahrhunderts geprägt. Sehr gut restauriert beherbergen viele der Häuser mit den überhängenden oberen Etagen und kunstvollen Verzierungen heute Museen, Galerien und Pensionen.

Das Zentrum des historischen Stadtkerns bildet in Plowdiw erfrischender Weise ein muslimisches Gotteshaus: Die heutige Dschumaja-Moschee wurde im 15. Jahrhundert neu gebaut, stammt aber ursprünglich aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. An bedeutenden Kirchen mangelt es in Plowdiw ebenfalls nicht: Die älteste Kirche mit gut erhaltenen Fresken ist die des Heiligen Konstantin und der Heiligen Helena, gewidmet Konstantin dem Großen und seiner Mutter.
Sowohl in Weliko Tarnovo als auch in Plowdiw werden kostenlose Stadtführungen von motivierten Bewohnern angeboten, die einen sehr guten Überblick über Geschichte und aktuelle Kultur geben.