Der Blumenstrauß am Herzen Italiens

Ein runder Spaziergang durch die Stadt Florenz

Blick auf den Ponte Vecchio, eines der Wahrzeichen der Stadt Florenz

Die beeindruckende Kuppel der Santa Maria dei Fiori wurde von Brunelleschi in der ersten Hälfte des 15. Jh. gebaut.

Michelangelos „David” ist die Hauptattraktion der Galleria dell´Accademia.

Die Santa-Croce-Kirche ist die größte und eine der bedeutendsten Franziskanerkirchen Italiens.
Fotos: der Verfasser

Die Briten waren geteilter Meinung, Charles Dickens beeindruckte sie zutiefst: die Brücken, das Wasser des Arno, die Dächer, die Türme, die Paläste, der blaue Himmel – der Blick auf die Stadt Florenz war unübertrefflich. Der Romantiker Shelley brachte es auf den Punkt: Die toskanische Hauptstadt war schlichtweg das Paradies. Die Reise nach Italien war Anfang des 19. Jahrhunderts noch immer ein Muss für die englische Oberschicht. Sie blieb es auch weiterhin, aber an Florenz schienen britische Reisende kaum mehr Gefallen zu finden. So schrieb Walter Savage Landor, dass die Stadt eine der schmutzigsten Hauptstädte Europas sei. Heinrich Heine dagegen war sich sicher, dass die Stadt nichts Geringeres sei als der Blumenstrauß am Herzen der schönen Frau Italien. Etwa ein Jahrhundert später befand der Brite Aldous Huxley, dass Florenz nur eine zweitrangige Provinzstadt sei, die eine widerwertige gotische Architektur biete.

 

Um 1870 dachten das auch die Einheimischen. Damals wurde Firenze, die Stadt der Medici-Familie, die Stadt in der Brunelleschi, Giotto, Donatello, Michelangelo und Raffael gewirkt hatten, für wenige Jahr zur Hauptstadt des jungen Königreichs Italien. So machten sich damals Stadtplaner und Architekten an die Arbeit und rissen einen Teil der Altstadt ab, in fester Überzeugung, dass sie den Jahrhunderte alten Schmutz, den Dreck des Mittelalters beseitigen und der Stadt zum neuen Glanz verhelfen. Auf der heutigen Piazza della Repubblica stehen die Paläste des 19. Jahrhunderts, ihre neoklassische Pracht lässt aber den heutigen Besucher eher kalt.
Dieser wird sich zweifelsohne, mit dem Baedeker in der Hand, in dem Meer asiatischer, amerikanischer und europäischer Touristen verlieren, den Arno entlang spazieren, bis zum Ponte Vecchio, der alten, bebauten Brücke, die den Stadtteil Oltrarno und den Palazzo Pitti, die Residenz der Medici-Großherzöge, mit der Altstadt verbindet.
Von der Brücke führt der von Giorgio Vasari gebaute Korridor direkt zum Palazzo Vecchio, der in republikanischen Zeiten Palazzo della Signoria hieß, Sitz der Regierung des Stadtstaates Florenz. Dort, auf der Piazza della Signoria, spielte sich die Geschichte eines der mächtigsten und ruhmreichsten Stadtstaaten des Mittelalters und der Renaissance ab, dort ließ der Dominikaner Girolamo Savonarola 1498 den Scheiterhaufen aufstellen und das Fegefeuer der Eitelkeiten entfachen. Botticelli soll selbst einige seiner Bilder in die Flammen geworfen haben, kurz bevor die aufgebrachten Florentiner, denen der Borgia-Papst in Rom mit einem Interdikt gedroht hatte, den Mönch hängten und anschließend verbrannten. Einer schaute gespannt zu, bangte sogar um sein Leben, zog die richtigen Schlüsse und schrieb sie nieder: Niccolò Machiavelli, einer der berühmtesten Florentiner überhaupt.
Ein halbes Jahrhundert vor Machiavellis Wirken hatte der Aufstieg der Medici-Familie begonnen, Giovanni Medici und sein Sohn Cosimo hatten als Bankiers des Papstes ein Riesenvermögen angehäuft, die Künste gefördert und die Kathedrale Santa Maria dei Fiori, den Duomo von Florenz, fertiggestellt. Sie hatten als Baumeister Filippo Brunelleschi verpflichtet, der zwar zum Goldschmied ausgebildet wurde, jedoch mit der Domkuppel eine Meisterleistung der Frührenaissance vollbrachte, die ihresgleichen sucht.
Die Geschichte von Florenz, die zur Zeit von Dante Alighieri im 13. und 14. Jahrhundert von den Auseinandersetzungen zwischen den reichen Patrizierfamilien geprägt war, ist ab dem 16. Jahrhundert mit dem Schicksal der Familie Medici verbunden, die bis ins 18. Jahrhundert über die Toskana herrscht, bis sie im Mannesstamm erlöscht und von den Habsburgern ersetzt wird. Pietro Leopoldo, der spätere österreichische Kaiser Leopold II., regiert ein bitterarmes Land, doch er setzt Reformen durch, die aus dem Großherzogtum einen Musterstaat machen, dem die Habsburger noch lange nachtrauern werden; den Titel eines Großherzogs von Toskana behalten die österreichischen Kaiser bis 1918.
Aber es braucht keinen Schnellkurs in der Geschichte von Florenz, denn diese spürt man auf jeder Altstadtgasse, auf jeder Arno-Brücke, auf jedem der wichtigen Plätze, vor Michelangelos, Machiavellis und Galileis Gräbern in der Santa-Croce-Kirche oder in der Gruft der Medici in der San-Lorenzo-Kirche, und natürlich vor dem Duomo, wenn man bei Nacht auf die mächtige Kuppel und auf Giottos Campanile, den Glockenturm, blickt. Oder bei Sonnenuntergang, wenn man den Arno überquert hat und zur Piazzale Michelangelo hinaufspaziert. Der Platz bietet einen herrlichen Blick über die gesamte Stadt und die hügelige Toskana-Landschaft. Viel dürfte sich seit der Renaissance nicht verändert haben, die Domkuppel, der Campanile, der Turm des Palazzo Vecchio, die roten Dächer, die unendliche Menschenmenge, die auf dem Ponte Vecchio drängt. Hier, an diesem Arno-Ufer, liegt der Palazzo Pitti, die mächtige Residenz der Medici mit ihrem Garten, dem Giardino di Boboli, eine der schönsten Parkanlagen Italiens und ein Freiluftmuseum antiker und neuzeitlicher Skulpturen.
Wichtiger jedoch als die Kollektionen im Palazzo Pitti sind jene der Galleria degli Uffizi sowie der Galleria dell´Accademia. Ein Besuch beider Museen ist absolute Pflicht, die langen Warteschlangen muss man einfach in Kauf nehmen. Eine vorab gekaufte Firenze-Card gewährt Einlass zu allen florentinischen Sehenswürdigkeiten und bietet Sondereingänge, wo die Wartezeiten etwas kürzer sind. In den Uffizi, den ehemaligen Verwaltungsbüros der Unternehmerfamilie Medici, die das Bank- mit dem Staatsgeschäft geschickt zu verbinden wusste, wird hauptsächlich die der Stadt Florenz geschenkte Familiensammlung des Hauses Medici gezeigt. Die kinderlose Schwester des ebenfalls kinderlosen letzten Großherzogs, Gian Gastone, schenkte ihrer Heimatstadt wohl eine der reichsten Kunstsammlungen der Welt. Cimabues „Maestá”, Piero della Francescas Porträt des Herzogs und der Herzogin von Urbino, Botticellis „Die Geburt der Venus”, Da Vincis „Die Verkündigung”, Raffaels „Selbstporträt”, die weltberühmten Porträts Luthers und seiner Frau Katharina von Bora, Werke Lucas Cranachs des Älteren, sie sind alle in den Uffizi zu bewundern.
Die Galleria dell´Accademia wurde im 19. Jahrhundert extra für Michelangelos berühmten „David” gebaut, über Jahrhunderte war das Meisterwerk auf der Piazza della Signoria der Witterung ausgesetzt. Nun, im Vergleich zu „David” verblassen die anderen Exponate in der Galleria dell´Accademia, aber wer in der Warteschlange verharrt hat, sollte sie sich trotzdem anschauen. Und wer noch Zeit und Lust hat, wer unbedingt darauf besteht, so viel wie möglich von der florentinischen Renaissance-Kunst mitzunehmen, der gehe auch in das Museo Nazionale del Bargello, schaue sich die von Michelangelo entworfene Biblioteca Medicea Laurenziana neben der San-Lorenzo-Kirche an oder besichtige den Palazzo Medici Riccardi, den ersten Profanbau der Frührenaissance.
Ansonsten? Man hüte sich vor den Touristenfallen, es gibt sie an jeder Ecke. Aber kein Problem, wenn man trotz aller Vorsicht doch noch in eine fällt: Das Schokoladeneis im „Venchi” auf der Via del Calzaiuoli schmeckt zwar wunderbar, besser ist nur das Pistazieneis des sizilianischen „Don Nino” auf der Piazza del Duomo. Und die Brotzeit mit Schinken, Salami, Käse und einem Glas Prosecco in der kleinen, lustigen „La Pro-sciutteria” in der Via dei Neri ist eindeutig demselben Imbiss in der überdachten Markthalle „Mercato di San Lorenzo” vorzuziehen. Dort allerdings lohnt es sich nach oben zu gehen, wo junge Kerle die Pizza in den Steinofen werfen, die Pasta-Schüssel schwingen, lauthals singen, nach den verblüfften Touristen rufen und dabei eine Gelassenheit an den Tag legen, die man südlich der Alpen nicht vermuten würde.
Wenn man dann satt und glücklich noch einmal zwischen dem Dom und dem Palazzo Vecchio spaziert, wenn man sich noch einmal in der Menschenmenge auf dem Ponte Vecchio verliert, kommt einem ein einziges Buch in den Sinn. Jakob Burckhardts „Die Cultur der Renaissance in Italien”, dieses von mörderischen Monstern und feinsinnigen Humanisten, Condottieri und Kurtisanen bevölkerte Panorama, wie jüngst die „Zeit” zum 200. Geburtstag Burckhardts schrieb. In der Tat, eine Welt von Gewalt, Leidenschaft und Liebe, von Giftmord, Krieg und Dämonenbeschwörung, ein Fest der Medici, eine Bilderbuch-Landschaft. Ein Goldschmied, der eine Kuppel baut. Ein Genie, dessen Skulptur die Vollendung der Bildhauerkunst bedeutet. Ein Dichter, der sich die Hölle vorstellt und uns warnt, alle Hoffnung aufzugeben („Lasciate ogni speranza...”). Ein Humanist, der vom besten Herrscher aller Zeiten träumt. Sie alle waren einmal dort, in Florenz, man solle nur aufmerksam hinschauen.