Die Altstadt in Hall

Die Größte unter den Schönsten

Altstadt mit Sparkassengasse | Fotos: Mag. Ignazius Schmid

Fresko Fegefeuer

Haller Pfarrkirche

Österreich ist reich an schönen, historischen Altstädten. Welche die schönste ist, das hängt von den persönlichen Vorlieben ab. Welche aber die größte ist, das lässt sich leicht nachmessen. Halls Altstadt ist 5,55 Quadratkilometer groß. Und so darf sich Hall in Tirol als eine der schönsten und die größte Altstadt in West-Österreich nennen; sie ist sogar größer als die der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck. Von welcher Seite her auch immer man sich nähert, eines ist sofort klar: man nähert sich einer historischen mittelalterlichen Stadt.

Urkundlich erwähnt wurde sie erstmals 1256. Kommt man von Süden, fällt einem sofort das Wahrzeichen der Stadt ins Auge, der Münzerturm in der Burg Hasegg. Die Burg war das Eckbauwerk der Stadtbefestigung. Schon im 13. Jahrhundert wurde im hinteren Halltal Salz abgebaut. Ritter Nikolaus von Rohrpach war da aktiv geworden, und so wurde die Haller Saline zum  wichtigsten Lebensnerv der Stadt; ihr verdankte sie ihren immensen Reichtum. Hasegg mit seinem 46 Meter hohen Münzerturm, der 1480 den alten Wachtturm ersetzte, diente dem Schutz der Salzsudanlagen und des Schiffsverkehrs auf dem Inn. Im Turm befand sich das Salzlager, bis auch die Münzenprägung 1567 hierher verlegt wurde. Sigismund der Münzreiche hatte sie von Meran nach Hall geholt, und durch Ferdinand II. wurde sie 80 Jahre später vom Gut Sparberegg in die Burg Hasegg verlegt. Von hier trat die Münze mit der Walzenprägemaschine ihren weltweiten Siegeszug an und trug das ihre zu weiterem Reichtum Halls bei. Der Guldinertaler, aus dem in der Folge der Taler und schließlich der Dollar wurde, war der Euro des Mittelalters, und der spätere Maria-Theresientaler, der im gesamten Orient ein Zahlungsmittel war, sind noch heute ein Begriff.  

St. Nikolaus, das Zentrum der Stadt

Der unübersehbare Mittelpunkt Halls ist die Pfarrkirche St. Nikolaus auf dem Oberen Stadtplatz. 1281 wurde eine kleine Kirche ebendort erstmals urkundlich erwähnt. Sie war aber in der aufstrebenden Stadt bald zu klein und erfuhr schon 70 Jahre später die erste von drei Erweiterungen. Bei der Erweiterung von 1420 wurde aus dem einschiffigen Langhaus eine dreischiffige Kirche, bei der aus Platzgründen der Altarraum im Grundriss abgeknickt wurde. Ursprünglich war der Turm von St. Nikolaus Stadtturm, von dem aus zwei Wächter Tag und Nacht die Stadt bewachten und Brände, Unruhen oder hohe Besuche ausriefen. Beim schweren Erdbeben vom 17. Juli 1670 stürzte der gotische Turm ein. Der diensthabende Wächter hatte gerade die zweite und gleichzeitig seine letzte Stunde ausgerufen, als er mit den Trümmern in die Tiefe stürzte, was er nicht überlebte. Der zweite Wächter aber schlief und war so fest in Decken gehüllt, dass er die Katastrophe überlebte. Für ihn hatte sich Schlafen als lebensrettend erwiesen … Der Turm wurde in barockem Stil wieder aufgebaut und läutete damit die Barockisierung der ganzen Kirche ein. Das Gemälde des Hochaltars schuf der flämische Maler Jan Erasmus Quellinus, als er auf der Durchreise nach Italien in Hall Station machte. Der Altar wird zu den verschiedenen kirchlichen Festen umdekoriert, zu Ostern mit einer Figur des Auferstandenen, im Advent mit einem Bild von Maria Verkündigung oder zu Weihnachten mit einer historischen Bretterkrippe. Ein Brauchtum zu Christi Himmelfahrt führte zur spöttischen Bezeichnung der Einwohner von Hall als „Haller Kübel“: An diesem Festtag wurde einst eine Jesusstatue an einem Seil in die Höhe gezogen, um die Himmelfahrt anschaulich darzustellen.  Einmal riss das Seil und die Figur zerschellte am Boden. Einige fromme Kirchgänger sammelten schnell die Bruchstücke in einem Kübel und zogen nun diesen mit den Scherben hinauf. „Aufi muass er“, sagten sie – Tradition ist eben Tradition! In und um die mit Wandgemälden und Figuren reich ausgestattete Kirche entstanden auch einige Kapellen. Eine davon ist die Waldlaufkapelle. Ritter Florian von Waldlauf stiftete sie 1500. Sie beherbergt seine große Reliquiensammlung, die zum sogenannten „Haller Heil-tumsschatz“ wurde.

Architektonische Schätze sonder Zahl

Besonders bemerkenswert ist auch die Magdalenen-Kapelle, 1330 urkundlich genannt. Sie wurde doppelgeschossig gebaut. Das Untergeschoss wurde später profaniert und ist heute ein Geschäftslokal. Das Obergeschoss ist ein gotisches Gewölbe. Von den beeindruckenden  Wandfresken ist die Darstellung des Jüngsten Gerichts ein nochmaliger Höhepunkt. Es ist die Kapelle der Bergknappen und hier gedenkt man der Gefallenen der Weltkriege. 

Hall darf sich mit Recht „kirchenreich“ nennen: die Jesuiten-Kirche, die Heilig-Geist-Kirche, die Herz-Jesu- Basilika … übertreffen sich gegenseitig mit kostbarer Ausstattung. Die Herz-Jesu- Basilika gehört zum ehemaligen Damenstift der Töchter des Herzens Jesu. Das Kloster wurde 1567 von Erzherzogin Magdalena von Österreich, einer Tochter Kaiser Ferdinands I. gegründet. Nach der Profanierung durch Kaiser Josef II. im Jahr 1783 wurde es nach 131 Jahren wieder feierlich eingeweiht und die Töchter des Herzens Jesu halten hier wieder ewige Anbetung. Sie leben sehr zurückgezogen und werden in der Bevölkerung ihrer weißen Tracht wegen „die weißen Tauben“ genannt. Sie beherbergen das „Schweizer Christkindl“, eine holzgeschnitzte spätgotische Figur des Jesuskindes, die einstmals den Inn heruntergeschwemmt wurde. In Reformationszeiten wurde sie im Schweizer Engadin in den Inn geworfen, blieb schließlich im Haller Innrechen hängen und wurde von den Schwestern liebevoll aufgenommen. Am Armgelenk trägt es einen silbernen Reliquienbehälter, in dem sich Spielkartenreste befinden. Wie sie da hineingekommen sein sollen, wird so erzählt: die Frau eines spielsüchtigen Trunkenboldes flehte das Jesuskind um Hilfe an. Als der Ehemann wieder einmal beim Saufen und Spielen war, fehlten ihm plötzlich drei wichtige Karten. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt, und das Spiel musste abgebrochen werden. Später fand man die fehlenden Karten in der Hand des Jesuskindes. Der Mann aber war von seiner Spielsucht geheilt. 

Im Laufe der Jahrhunderte entstanden zahlreiche Kirchen und Klöster, die Salvatorkirche, das Augustinerinnen-, das Franziskanerinnen- und das Klarissenkloster, die Barmherzigen Schwestern, die Salesiane-rinnen, die Kreuzschwestern. Es sind jedoch nicht nur sakrale Bauwerke, die das Haller Stadtbild prägen. Von den hunderten Gebäuden, die die mittelalterlichen Gassen bilden, könnte wohl jedes einzelne eine interessante Geschichte erzählen. Eines davon ist das Guarinonihaus, das ehemalige Gerichtsgebäude und ab 1600 das Wohnhaus von Dr. Hippolit Guarinoni, seines Zeichens Stadtphysicus, Schriftsteller, Botaniker, fanatischer Prediger. Ein schönes Mosaikbild an der Hauswand erinnert an ihn. 

Mangelnde Hygiene – die Schwäche des Mittelalters

Zu den größten Verdiensten Guarinonis in Hall zählt die Förderung strenger Hygienemaßnahmen. Denn so schön diese historischen Gebäude heute auch anzuschauen sind, das Leben im Mittelalter war, vor allem der mangelnden Hygiene wegen, nicht sehr angenehm. Die offenen Abwasserrinnen in der Mitte der Gassen, Ritschen genannt, erzählen davon. Hier landete alles, was an Unrat zusammenkam, Viehmist, menschliche Fäkalien, Verdorbenes. Dem Regen blieb es überlassen, eine geringe Spülung der rutschigen, stinkenden Ritschen zu übernehmen. Für hohe Besuche wurde der Bach über die Ritschen zum Inn hinunter umgeleitet, anders war dem Unrat nicht gründlich Herr zu werden – so bekam wenigstens der Landesfürst einen besseren Eindruck. Wie gut, dass wir jetzt eine Neuzeit-Hygiene haben! 

Eine andere Einrichtung wirft ebenfalls ein Licht auf die Zustände damals: Im Eingangsbereich des Gasthauses Kuttenwirt gab es ein öffentliches Pissoir. Die gesamte Brühe wurde in Fässern gesammelt, von den sogenannten „Fetzweiber“ täglich geholt und in die Salmiakfabrik gebracht. 

Oder da war noch der verrufene Gritschwinkel, in dem 300 Jahre lang die Henker wohnten. Zu ihren angestammten Aufgaben des Köpfens und Hängens kam noch die Herstellung des „Armesünderfetts“, das sie aus gekochten Leichenteilen gewannen und als Allheilmittel verkauften. Unvorstellbare Zustände!  

Eine andere Facette des sozialen Lebens zeigt die Geisterburg in der Agramsgasse. Der Agramsturm diente ab 1450 als Waffenlager, das im 19. Jahrhundert ausgedient hatte. Das Bräuhaus der Stadt richtete nun hier einen Gastgarten ein. Im Verlauf der Umbauarbeiten des Kellers stieß man auf hunderte von Knochen und Schädeln. Vor über 300 Jahren waren die damals feindlichen Bayern sengend und verwüstend durch das Inntal gezogen. Im Agrams-turm wurden 300 Mann als Besatzung einquartiert. Die gewaltige Wut der Haller entlud sich in einem Blutbad, bei dem die gesamte Besatzung niedergemetzelt wurde. Zur Verheimlichung der Untat wurden die Leichen an Ort und Stelle verscharrt. Nächtliches Wimmern und schauriges Heulen war zu hören, das Klagen der Geister der ermordeten Bayern, hieß es. Heute wird im Gastgarten Pizza mit viel Knoblauch serviert – den Geruch können Geister nicht ausstehen,  sie ergriffen schleunigst die Flucht. Nur der Name „Geisterburg“ blieb erhalten. 

Rathaus

Da eine Stadt nicht nur mit Frömmigkeit und Grausamkeiten regiert werden kann, bedarf es auch der segensreichen Einrichtung eines Rathauses. In Hall – wie könnte es anders sein – ein historisches Gebäude. 1303 erhielt Hall das Stadtrecht von Herzog Otto von Kärnten und Tirol. Die ehemalige Stadtburg, das „Königshaus“, steht am Oberen Stadtplatz. 1406 schenkte es Herzog Leo-pold IV., Graf von Tirol, der Stadt. Es dient bis heute als Rathaus. Die alte Balkendecke, die historische Tür zur Ratsstube und das Täfer der Feststube sind original erhalten. Alles wirkt dauerhaft und vertrauenerweckend. Kein Wunder, dass es der beliebteste Trauungssaal von Tirol ist – so solide fängt man doch gerne an … 

Mit Salz hat alles begonnen – damals, als Ritter Nikolaus von Rohrpach 1270 den ersten Salzbergstollen im Halltal geschlagen hat. Seit 1967 ist er stillgelegt, aber Hall hat dem Salz seinen grossen Reichtum zu verdanken, mit dem letztlich auch die Architektur seiner faszinierenden Altststadt finanziert werden konnte. Um den Kreis zu schließen, ist es durchaus angebracht, das nachgebaute Bergwerkmuseum mitten in der Stadt zu besuchen.